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Ian Bostridge - Pöbelei bei Schubertiade "Da habe ich einfach die Beherrschung verloren"

Ian Bostridge war nicht der erste Künstler, der von einem pöbelnden Mann bei der Schubertiade verbal attakiert wurde - auch Matthias Goerne traf es am Vorabend. Jetzt schildert Bostridge den Vorfall aus seiner Sicht in der WELT. Warum holte der aufgebrachte Tenor den Pöbler auf die Bühne und wie ging es ihm danach?

Tenor Ian Bostridge | Bildquelle: Simon Fowler für Warner Classics

Bildquelle: Simon Fowler für Warner Classics

Ian Bostridge hatte nach dem Konzert am Freitagabend gerade als Zugabe Schuberts berühmtes Lied "Die Forelle" gesungen, als sich der Zwischenfall ereignete: "Deutsch lernen!" habe ein Mann lautstark in den Applaus des Publikums hineingerufen, berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Nationalistischer Zwischenruf?

Inzwischen ist eine gute Woche vergangen - nun schildert Ian Bostridge den Vorfall aus seiner Sicht. Schon am Vorabend soll der pöbelnde Zuschauer einen Auftritt des deutschen Sängers Matthias Goerne gestört haben, also denke Bostridge nicht, der Zwischenruf sei nationalistisch oder rassistisch gemeint gewesen, sagte der Tenor gegenüber der WELT. Direkt nach dem Ausruf habe Ian Bostridge sich allerdings sehr einsam gefühlt auf der Bühne: Der Applaus nach der Störung sei für ihn missverständlich gewesen und hätte ja auch Zustimmung für den Pöbler bedeutet haben können. Doch schnell war klar: Das Publikum war definitiv auf der Seite des Sängers. Nach dem Konzert habe er auch viele aufmunternde Kommentare bekommen, sagte Bostridge weiter im WELT-Interview.

"Dass die Zuschauer den Störer so heftig ausgebuht haben, ist sicher ein Hinweis darauf, wie viele Sorgen wir uns gerade alle machen über den neuen Nationalismus unserer Tage. Aber der Akt selbst, die Störung, war glaube ich kein Beleg für wachsenden Nationalismus. Der Mann ist wahrscheinlich einfach nur wütend auf alles Mögliche", so Jan Bostridge im WELT-Interview.

Der Störenfried der Schubertiade

Autor der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Patrick Bahners erlebte den Vorfall am 26. August hautnah, so schildert er die Situation: "Es entsteht zunächst absolute Stille. Man spricht von der Schrecksekunde, aber was heißt das? Hier: völlige Passivität. Bostridge und Drake auf der Bühne sind erschüttert, wir im Saal tun und sagen erst einmal nichts." Dann seien erste Buhs erklungen, die sich an den weißhaarigen Mann richteten, der sich am Rand des Konzertsaals aufhielt. Das Publikum hätte durch Klatschen seine Solidarität mit dem Künstler zum Ausdruck gebracht. Bostridge sang eine weitere Zugabe und verließ dann plötzlich die Bühne. Zielsicher steuerte der Sänger auf den älteren Herrn zu, der ihn zuvor angepöbelt hatte. "Bostridge tut nun, was unsere Aufgabe gewesen wäre," schreibt Patrick Bahners weiter. "Er arretiert den Mann, bringt ihn auf die Bühne und bittet ihn, sich zu erklären. Was der nicht zustande bringt. Er wird wieder ausgebuht." Beendet worden sei die Szene durch einen Mitarbeiter der Schubertiade, der den Mann nach draußen brachte.

Ian Bostridge - Beschäftigung mit Schubert

Ian Bostridge singt seit 17 Jahren bei der Schubertiade in Hohenems und Schwarzenberg. Seit seinem Debüt im Jahr 1999 tritt er zusammen mit seinem Klavierbegleiter Julius Drake immer wieder bei dem renommierten Festival auf, das sich intensiv dem Schaffen Franz Schuberts widmet. Das Konzert fand im Rahmen einer Reihe statt, bei der nach und nach alle rund 600 erhaltenen Liedkompositionen Schuberts vorgetragen werden. Ian Bostridge trägt gerade im englischsprachigen Raum für die Popularität des deutschen Liedgutes bei. Er ist außerdem ein Interpret, der sich als studierter Historiker auch intensiv mit der Entstehungsgeschichte und dem geschichtlichen Kontext von Liedern beschäftigt. In seinem Buch über Schuberts "Winterreise" betrachtet er den Liederzyklus außerdem unter philosophischen und naturwissenschaftlichen Aspekten. Dabei setzte sich Bostridge auch mit den etymologischen Wurzeln der deutschen Wörter auseinander - und übersetzte die Liedtexte für sein Buch ins Englische.

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