"Ihr Husten stört Besucher und Künstler. Wir halten daher für Sie Kräuterbonbons bereit" - so steht es im Programmheft der Kölner Philharmonie zur Konzert-Aboreihe "Sonntags um vier". Am vergangenen Sonntag hätte es bei einigen Zuschauern aber weit mehr gebraucht als ein Kräuterbonbon. Doch was war geschehen?
Bildquelle: Marco Borggreve
Der iranische Cembalist Mahan Esfahani ist zu Gast in der Kölner Philharmonie, zusammen mit der Alte-Musik Formation "Concerto Köln". Für diesen Abend haben die Musiker ein Programm zusammengestellt mit Musik von Johann Sebastian und Carl Philipp Emanuel Bach, aber auch Modernes steht auf dem Programm: Werke von Fred Frith, Henry Mikolaj Górecki und Steve Reich, einem bekannten Vetreter der "Minimal Music". Eine ungewöhnliche Zusammenstellung - für manche Zuhörer zu ungewöhnlich. Obwohl das musikalische Programm lange bekannt gewesen ist, scheinen so manche überrumpelt worden zu sein von Reichs „Piano Phase“. Ihrem Ärger machen sie schon vor dem ersten Ton Luft. Als Mahan Esfahani zur Einführung in das Stück ein paar Worte auf Englisch sagt, ruft jemand im Saal: "Sprechen Sie gefälligst Deutsch".
Der Cembalist beginnt zu spielen, doch nach kurzer Zeit bricht Unruhe im Saal aus. Zuhörer rufen "Genug!", sie buhen, zischen und schreien - Esfahani versucht noch, mit dem aufgebrachten Publikum zu kommunizieren. "Wovor haben Sie Angst?", fragt er immer wieder. Die Menge beruhigt sich aber nicht und Esfahani unterbricht das Stück - und macht dann gemäßigt weiter, mit Carl Philipp Emanuel Bach.
Das war eine der spannendsten Erfahrungen in meinem bisherigen Leben.
Nach dem Vorfall äußerte sich der Cembalist gestern auf seiner Facebook-Seite: "Ich bin mir ziemlich sicher, dass es das erste Mal war, dass ein Cembalo-Konzert tumultartige Zustände hervorgerufen hat. Beeindruckend." Und weiter: "Das war eine der spannendsten Erfahrungen in meinem bisherigen Leben. Und das ist genau das, was ich mir für mein Instrument wünsche: Weg von der Idee, dass Musik nur ein sachlich schönes Ding nach dem Morgenkaffee ist." Im Falle des Konzerts in Köln handelte es sich dabei aber um den Nachmittagskaffee. Ein überwiegend älteres Publikum besucht am Sonntag-Nachmittag die Konzert-Aboreihe "Sonntags um vier", um "danach wieder beschwingt nach Hause zu gehen", wie es Sebastian Loelgen, der Pressesprecher der Kölner Philharmonie beschreibt.
Loelgen versucht zu erklären, wie es zu den Aufständen im Publikum kam. Der Protest der Zuhörer habe sich nicht gegen Mahan Esfahani gerichtet, sondern gegen das Werk "Piano Phase". "Minimal Music ist eine Herausforderung für die Zuhörer: Es wiederholt sich sehr viel, die Tonabfolgen ändern sich minimal. Man muss sich drauf einlassen können - das haben manche im Saal wohl nicht geschafft." Bis zu 1.800 Menschen seien im Saal gewesen, der Großteil davon friedlich, betont der Pressesprecher. Nur einige wenige hätten sich respektlos benommen. "So einen Aufstand wie am Sonntag hatten wir in der Philharmonie noch nie."
Die Kölner Philharmonie möchte jetzt ein Zeichen setzen und hat Mahan Esfahani sofort wieder zu sich eingeladen. Der Iraner soll das von manchen Zuhörern verschmähte "Piano Phase" am 1. März 2017 in der Kölner Philharmonie aufführen - dann aber in voller Länge.
Lesen Sie hier auf br-klassik.de ein exklusives Interview mit Mahan Esfahani zu seinen Erlebnissen in Köln.
Kommentare (5)
Donnerstag, 10.März, 10:44 Uhr
Peter
Wirklich nur das Publikum?
Das Publikum hat sich zweifelsohne unhöflich benommen, insofern, als dass man mit dem Buh-Rufen bis zum Ende des Stückes hätte warten müssen. Ich finde es aber überaus erstaunlich, dass insbesondere Herr Esfahani (und auch viele kommentierenden Seiten, u.a. der BR) das Problem sogleich beim Publikum sieht. Als ausübender Künstler würde ich mir doch zumindest die Frage stellen, inwieweit ich für die Reaktionen unter Umständen auch selbst verantwortlich bin. Das kann an mangelnder Vermittlung liegen (die - eben weil sie auf Englisch geschieht, nicht erfolgreich ist), an mangelnder Legitimität der Aufführung (inweiweit ist es der Idee des Stückes entsprechend und überhaupt eine spielerische Leistung, Piano Phase mit Cembalo und Tonband zu einem Clicktrack auf den Ohren zu spielen?) und auch an der Qualität der Darbietung selbst (auch z.B. daran, ob die Beschallung qualitativ gelungen war). Ich denke, man sollte nicht den Fehler begehen, das Publikum in diesen Fragen zu unterschätzen.
Mittwoch, 02.März, 15:20 Uhr
uske
Rassismus?
Leider ist es nicht mehr unbedingt üblich in einem deutschen Konzertsaal auch eine (dringend erforderliche) Einführung in ein moderneres Werk, das nicht auf den Original-Instrumenten aufgeführt wird, in deutscher Sprache zu geben. Schade. Es hat aber nichts mit Rassismus zu tun, da in dem Abo (Musik um 4 Uhr sonntags - überwiegend Barockmusik) ein älteres Publikum sitzt, das überwiegend nicht in der Schule Englisch gelernt hat.
Mittwoch, 02.März, 10:01 Uhr
paul richter
bravo, Mehan !!!
endlich mal eine spannende Nachricht aus der sogenannten "klassikszene"
schade, dass wir nichts über das weitere Programm erfahren konnten
Mittwoch, 02.März, 09:58 Uhr
Dr. Klaus Vornberger
Konzert in Köln
Ich liebe Klasissche Musik und bin kein Freund von Minimal Music, aber der Anstand, einen Künstler ungestört ein begonnenes Werk zu Ende spielen zu lassen, versteht sich von selbst. Im Anschuss kann jeder durch Beifall oder andere Äußerungen sein Ge-oder Mißfallen kund tun. Schade, was da in Köln passiert ist und gut, die Entscheidung, den Künstler ein weiteres Mal einzuladen.
Mittwoch, 02.März, 05:30 Uhr
Gernot Nagel
Schande
Köln in aller Munde... Wieder einmal daneben benommen. Das gehört heutzutage offensichtlich zum guten Ton. Ich will es einfach nicht glauben, aber die 'guten' alten Zeiten sind anscheinend nicht mehr weit. Konzertbesuch und menschliches Niveau sind leider nicht immer gepaart. Ich schäme mich.