Als er 2016 zum Bayerischen Staatsballett kam, rümpften erst mal viele die Nase. Inzwischen hat es sich aber auch unter den letzten Nörglern herumgesprochen, dass Igor Zelensky das Bayerische Staatsballett auf ein Spitzenniveau gehoben hat. Seit Samstag läuft die BallettFestwoche 2018. BR-KLASSIK hat den Ballettchef Zelensky kurz vor dem Morgentraining getroffen.
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BR-KLASSIK: Das erste Wochenende der BallettFestwoche mit der Premiere von "Portrait Wayne McGregor" ist vorbei, was hat Sie an den Choreographien von Wayne McGregor beeindruckt?
Igor Zelensky: Wayne McGregor ist für mich absolut einzigartig. Er hat seine ganz eigene Sprache. Ich verfolge seine Arbeiten schon seit meiner Zeit als Tänzer. Und über die Jahre hat sich die Qualität unglaublich weiterentwickelt. Jetzt ist er ein großer Meister, er hat den Status eines Gurus. Viele versuchen seinen Stil zu kopieren, aber er ist nun mal einzigartig und keiner kommt an ihn heran. Von meinem Blickwinkel der akademischen Schule ist er sowieso ein Phänomen, weil er ja seine Ballettausbildung nicht abgeschlossen hat. Er ist ein Naturtalent, vom Streetdancer ist er zum Modernen Stil gekommen und danach erst zum klassischen Ballett. Schritt für Schritt entwickelte er seine Kunst.
Wayne McGregor hat den Status eines Gurus.
BR-KLASSIK: Wayne McGregor fordert Ihre Compagnie auf eine andere Art heraus, als das bei klassischen Choreographien wie z.B. von John Cranko der Fall ist. Was lernen die Tänzer dazu?
Igor Zelensky: Zuallererst muss ich sagen, dass McGregor eine unglaubliche Energie hat, eine enorme Ausstrahlung. Mit seinem psychologischen Einfühlungsvermögen fokussiert er alle auf sich und eint die Compagnie. Wie ich schon sagte, er hat etwas von einem Guru. Ein bisschen kommt das Feeling auf, als wäre man in einer Sekte. Und dazu kommt außerdem, dass er seine ganz eigene Tanzsprache hat. Alle wollen mit ihm arbeiten, sind fasziniert von seiner Energie. Und die Tänzer sind jung, strotzen vor Kraft und sind absolut bereit, alles zu erlernen, was er sagt, was er verlangt: Die verrücktesten Schritte, Körperhaltungen, die einfach unmöglich erscheinen. Sie geben alles, um diese neue Form des Choreographierens zu realisieren.
Wir wollen, dass das Haus voll ist.
BR-KLASSIK: Die BallettFestwoche bietet in diesem Jahr neben der Moderne von McGregor auch wichtige Choreographen der Neoklassik - wie Cranko, Neumeier oder auch das Ballett "Anna Karenina" von Christian Spuck. Wie wichtig ist die Pflege der Klassiker für Ihre Compagnie?
Igor Zelensky: Ich bin sehr glücklich, dass ich Teil dieser Institution bin, also zur Bayerischen Staatsoper gehöre. John Cranko war hier, Konstanze Vernon, Ivan Liška. Jeder hat seinen Geschmack, sein Herzblut in seine Arbeit mit dem Ballett einfließen lassen. Und dieses fantastische Repertoire ist mein Erbe. In dieser Woche zeigen wir einen Querschnitt daraus. Dazu kommt, dass wir hier in München mit 2.100 Sitzplätzen eines der größten Opernhäuser in Europa haben. Und mein Job als Ballettdirektor ist es, eine Mischung aus ganz verschiedenen Stücken anzubieten. Ich kann nicht einfach machen, worauf ich persönlich Lust habe. Für jeden Geschmack im Publikum muss etwas dabei sein. Wir wollen ja, dass das Haus voll ist. Und meine Pflicht ist es darum, Klassik, Moderne und Zeitgenössisches im Repertoire zu haben. So wie es die Oper ja auch macht.
BR-KLASSIK: Neun Vorstellungen an neun Tagen hintereinander, was bedeutet das konditionell für die Tänzer des Bayerischen Staatsballetts?
Igor Zelensky: Das ist natürlich schmerzhaft und anstrengend. Aber im Vergleich zu anderen Compagnien geht das. Wenn ich mich an meine Zeit in New York erinnere, da habe ich neun Vorstellungen in der Woche getanzt und das ging so über ein halbes Jahr. Ich finde, die BallettFestwoche ist eine wunderbare Herausforderung für die Tänzer und eine gute Chance zu zeigen, was wir können. Oper hat als Kunstform in Deutschland eine lange Tradition, aber das Ballett ist eben noch jung, vielleicht etwas mehr als 75 Jahre alt. Wir sind aus der Oper heraus entstanden, am Anfang wurde ein bisschen während der Opernvorstellung getanzt und erst allmählich hat sich Ballett als eigene Kunstform emanzipiert. Für meinen Geschmack ist die Aufteilung im Spielplan trotzdem nicht optimal: 78 Ballettvorstellungen, die Oper hingegen kommt auf 250.
Es ist unser Traum, eines Tages mehr Vorstellungen geben zu dürfen.
BR-KLASSIK: Bereits im Vorfeld waren viele Vorstellungen ausverkauft, nur wenige Karten gibt es noch. Würden Sie sich die BallettFestwoche noch ein paar Tage länger wünschen?
Igor Zelensky: Das Haus hat eine alte Tradition, die Programmaufteilung zwischen Ballett und Oper steht fest. Und natürlich ist es unser Traum, eines Tages mehr Vorstellungen geben zu dürfen. Das ist aber eine etwas verzwickte Situation, in der Diplomatie gefragt ist. Aber wir geben unser Bestes und schätzen es, hier arbeiten zu dürfen. Es gibt ein exzellentes Orchester, fantastische Dirigenten; die Garderoben, das Make-up, die Kostümabteilung, die Beleuchtung - es ist einfach eines der perfektesten, professionellsten Häuser auf der ganzen Welt. Vielleicht, wenn wir hart genug arbeiten, gibt uns der Intendant oder der Kunstminister hoffentlich eines Tages ein paar Vorstellungen mehr. Es geht ja schon los: Wir sind zum Beispiel im Prinzregententheater aufgetreten. Aber das ist eben nicht zu vergleichen mit dem Opernhaus.
Es ist eines der perfektesten, professionellsten Häuser auf der ganzen Welt.
BR-KLASSIK: In den letzten Jahren hatte das Staatsballett immer auch mindestens eine Gastcompagnie zur BallettFestwoche eingeladen. In diesem Jahr nicht. Warum?
Igor Zelensky: Weil wir selbst tanzen wollen, und weil wir mehr tanzen wollen. Deshalb haben wir auch eine neue Premiere in die Festwoche gelegt. Für mich war sie ein großer Erfolg! Aber ich bin gespannt, wie das Publikum am Ende der Woche reagiert, wie die Kritiker reagieren. Ich habe bereits eine Statistik gesehen und danach sind wir so gut verkauft, wie in den letzten zwanzig Jahren nicht mehr.
BR-KLASSIK: Legen Sie am nächsten Montag, wenn dann die BallettFestwoche zu Ende ist, erst einmal eine Verschnaufpause ein oder stehen Sie um zehn Uhr bereits wieder an der Stange zum Training?
Igor Zelensky: Ja sicher. Wir haben ab Juli genug Zeit zum Ausruhen. Das nächste Programm muss langsam vorbereitet werden: "Raymonda". Und wir beginnen mit dem Einstudieren eines Ballettabends, in dem vier junge Choreographen gezeigt werden, lauter junge Talente. Anschauen kann man sich das dann im Prinzregententheater. Außerdem tanzen wir noch das normale Repertoire, dafür müssen die Tänzer gut in Form sein. Ab 10. Juli gehen wir in die Sommerpause. Und dann, im September, beginnen wir gleich mit einem fantastischen neuen Ballett, ein Abend in drei Teilen, mit drei unterschiedlichen Komponisten, alle choreographiert von George Balanchine: "Diamonds". Bühnenbild und Kostüme kommen direkt aus New York. Das wird sicher ein wunderbarer Abend für das Münchner Publikum.
Sendung: "Leporello" am 17. April 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK