Das frühe Barocktheater war sehr experimentierfreudig. Aus dem antiken Stoff um Jason und Medea schufen Textdichter Giacinto Andrea Cicognini und Komponist Francesco Cavalli eine völlig eigene Story. Die Oper "Il Giasone" ist eine befremdliche, aber interessante Ausgrabung, die die Bayerische Theaterakademie jetzt auf den Spielplan gesetzt hat.
Bildquelle: Franz Kimmel
Kritik
"Il Giasone" in München
Natürlich rumpelt es ganz gewaltig, das Gewitter tobt und der Sturm peitscht ebenfalls über die Bühne, wie im Barocktheater üblich. Doch das alles täuscht: Diesmal geht die Geschichte von Jason und Medea gut aus. Für Leute, die diesen tragischen Mythos aus der Argonauten-Sage der griechischen Mythologie kennen, ziemlich irritierend, wie vieles an dieser Oper von Francesco Cavalli (1602 - 1676). Doch womöglich waren die Zeiten damals nicht aufgelegt für blutige Schauerlegenden, denn Anfang 1649, bei Uraufführung, war ja gerade erst der Westfälische Friede geschlossen worden, nach dreißig Jahren Krieg.
Außerdem gab es im Uraufführungsort Venedig jede Menge soziale Konflikte aufzuarbeiten, wie dem Programmheft in aller Ausführlichkeit zu entnehmen war. So wurde die Rolle der Frauen gerade neu definiert, da stand eine Rachefurie wie Medea, die sich und ihre Kinder umbringt, ziemlich im Weg. Also nahm Textdichter Giacinto Andrea Cicognini (1606 - 1649) nur die berühmten Namen und strickte seine eigene Story drumherum, das frühe Barocktheater war sehr experimentierfreudig und die Erwartungshaltung beim Publikum noch eine ganz andere als in späteren Jahren. Alle Achtung, dass die Theaterakademie August Everding diese fürwahr befremdliche, aber interessante Ausgrabung auf ihren Spielplan setzte.
Regisseur Manuel Schmitt verlegte die Handlung irgendwo an die Säulen des Herkules: Der athletische Superheld ist dauernd damit beschäftigt, wie Obelix schwerste Gegenstände hin- und herzuschleppen, in diesem Fall keine Hinkelsteine, sondern Kapitelle, halb ionisch, halb korinthisch. An allen Mitwirkenden klebt der Kalk, womöglich auch Marmorstaub. Lauter steinerne Zeugen der Vergangenheit, die für einen Moment lebendig wurden - oder nur so tun, denn in dieser Oper sind sie alle weniger Personen aus Fleisch und Blut als Allegorien, Sinnbilder. Amor lenkt ihre Geschicke, Zeus wacht darüber. Selbst Jason, der doch mit Medeas Hilfe das Goldene Vlies erkämpft, wirkt seltsam antriebslos, auch er nur eine Marionette der himmlischen Geister. Manuel Schmitt und sein Ausstatter Bernhard Siegl machten daraus einen Gespensterreigen, sie misstrauen den Helden wie den Göttern und lassen am Ende alle miteinander kuscheln, als ob sie ihre steinernen Herzen anwärmen wollten.
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Musikalisch ist das leider nicht sonderlich spannend, obwohl Dirigentin Maria Fitzgerald es an nichts fehlen lässt: Nicht an komödiantischem Einsatz, nicht an Innigkeit, nicht an Tempo. Cavalli hatte halt nicht die dramatische Innenspannung eines Claudio Monteverdi und war auch kein großer Psychologe. Das alles wirkt eher wie harmloses venezianisches Erbauungstheater für die oberen Zehntausend. Gleichwohl überzeugten die Solisten, fast allesamt Studierende der Theaterakademie, durch ihr unverstelltes, anrührendes und hoch bewegliches Spiel, darunter Elmar Hauser in der Titelrolle als Giasone, Fee Suzanne de Ruiter als Medea und Marianna Herzig als Isifile. Lauter Suchende am Beginn ihrer Karriere, denen das Happy End unbedingt zu gönnen ist. Und wann wird schon mal gelacht, wenn Medea auf der Bühne steht? Eben!
Sendung: "Allegro" am 25. Oktober 2022, ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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