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Kritik – "Juditha triumphans" in Innsbruck Ein Oratorium als Oper

Mit einem Vivaldi-Schwerpunkt verabschiedet sich Alessandro de Marchi nach 14 Jahren als künstlerischer Leiter der Innsbrucker Festwochen Alter Musik. Drei szenische Aufführungen des venezianischen Geigers, Priesters und Komponisten Antonio Vivaldi waren 2023 zu sehen: das Drama in musica "Olimpiade", die Opera seria "La fida ninfa" und zuletzt szenisch das einzige erhaltene Oratorium: "Juditha triumphans".

"Juditha Triumphans von Antonio Vivaldi" bei den Innsbrucker Festwochen für Alte Musik 2023. Anastasia Boldyreva (Holofernes), Sophie Rennert (Juditha) & Chor. | Bildquelle: © Birgit Gufler

Bildquelle: © Birgit Gufler

Der Stoff über die schöne, fromme israelische Witwe Judith, die ins in Lager des assyrischen Feldherrn Holofernes gelangt und ihn durch ihre Schönheit bezaubert, ihm jedoch, als er betrunken einschläft, den Kopf abschlägt und auf diese Weise die israelische Stadt Betulia vor der Belagerung rettet, ist schon oft behandelt worden. Vivaldi beziehungsweise der Librettist Giacomo Casetti haben den Stoff aus dem Alten Testament aktualisiert. Es spiegelt einen Sieg Venedigs im venezianisch-österreichischen Türkenkrieg bei der Belagerung von Korfu 1716 wider. Der Feldherr, der die Schlacht im August gewonnen hatte, war bei der Uraufführung im November 1716 anwesend. Judith ist insofern eine Allegorie für Venedig, ihr Lobpreis ist ein Lobpreis Venedigs.

Juditha triumphans": Oratorium über Psychologie und Erotik

Doch in erster Linie geht es in diesem Oratorium nicht um Krieg, sondern um Affekte, um Psychologie, um widerstreitende ambivalente Gefühle und um tiefe Zuneigung und Erotik. Holofernes, wenn auch im Libretto als "Barbar" bezeichnet, ist durchaus sympathisch gestaltet, Judith scheint ihn auch wirklich zu lieben. Hat sie ihn nicht eigentlich boshaft getäuscht? Die Ermordung nimmt jedenfalls nur einen kurzen Moment in diesem Oratorium ein.

Inszenierung mit liturgischem Charakter

Szene aus "Juditha Triumphans" bei den Innsbrucker Festwochen für Alte Musik | Bildquelle: © Birgit Gufler Bildquelle: © Birgit Gufler Geschrieben wurde "Juditha triumphans" für das Waisenhaus "Ospedale della Pietà" in Venedig, als Ort von viel gerühmten Musikveranstaltungen war dieses Haus ein Anziehungspunkt für viele Venedig-Besucher, etwa Goethe oder Rousseau. Für eine szenische Umsetzung war das Oratorium nicht konzipiert. Ausschließlich Frauen und Mädchen traten im "Ospedale della Pietà" auf, wobei die ausschließlich weiblichen Stimmen des Chores nur hinter Gittern zu hören waren: Die Frauen durften sich nicht in der Öffentlichkeit zeigen. Die Inszenierung von Elena Barbarlich – eine Koproduktion mit dem Teatro La Fenice – hat fast liturgischen Charakter, stilisiert auch die Kostüme: in roten Gewänden, beinahe Messgewändern, der Frauenchor.

Ausschließlich mit Frauenstimmen besetzt

Szene aus "Juditha Triumphans" bei den Innsbrucker Festwochen für Alte Musik: Sophie Rennert (Juditha) & Anastasia Boldyreva (Holofernes)  | Bildquelle: © Birgit Gufler Sophie Rennert (Juditha) & Anastasia Boldyreva (Holofernes) | Bildquelle: © Birgit Gufler Dass ausschließlich Frauenstimmen zu hören sind – vier Mezzosopranistinnen und ein Sopran – ist äußerst eindrucksvoll, denn es macht hellhörig für die verschieden Farben und Affekte in Vivaldis Musik. Vor allem Sophie Rennert als Juditha beindruckt durch viele Schattierungen, zart, dann wieder in dunklen Tiefen berührend; fast tenoral kräftig Anastasia Boldyreva – sie singt unter anderem auch Carmen – als Holofernes; die höchste Stimmlage hat Arianna Vendittelli, die einen Eunuchen singt. Dieser Eunuch ist zwar Diener des Holofernes, aber zum Schluss feiert gerade er die triumphierende Judith: Friede statt Unterwerfung im Finale also. Am nachdrücklichsten aber wirken Arien, wenn sie im Zusammenspiel und wie Echo von Soloinstrumenten, Blockflöten oder Viola d´amore erklingen, insbesondere wenn Juditha auf den Klagen einer Taube – dem betörenden klarinettenartigen Klang einer Chalumeau – antwortet.

Innsbruck: eine Fachmesse für Alte Musik

Die Innsbrucker Festwochen Alter Musik bestehen seit 47 Jahren, sind also eine der traditionsreichsten Einrichtung für eine historische informierte Aufführungspraxis. Dirigenten wie Nicolaus Harnoncourt und dann vor allem René Jacobs haben sie geprägt. Alessandro de Marchi hat nicht nur das szenische Angebot erweitert, sondern Innsbruck geradezu zu einer Fachmesse für Alte Musik gemacht, ein eigenes Orchester der Festwochen gegründet, Meisterkurse und den Cesti-Wettbewerb ins Leben gerufen. Um Musizierfreude an mehreren Orten der Stadt ging es ihm: im Theater, im Schloss Amras und auf öffentlichen Plätzen. Mit Antonio Vivaldi ließ sich das in seiner Abschiedssaison gut exerzieren. 

Sendung: "Allegro" am 24. August 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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