In den letzten drei Wochen stand Joyce DiDonato fünfmal als Sesto auf der Bühne der Met. Am Samstag wird die sechste und letzte Vorstellung dieser Wiederaufnahme-Serie aus dem Jahr 1984 live auf BR-KLASSIK übertragen.
Bildquelle: Simon Pauly
BR-KLASSIK: Wie wichtig war es Ihnen, den Sesto nun erstmals an der Met zu singen?
Joyce DiDonato: Ich bin sehr glücklich. Denn für mich gehört die Rolle des Sesto zu den bedeutendsten Partien eines Mezzosoprans. Mozart ist sowieso der wichtigste Komponist in meiner ganzen Karriere. Ich habe meine Debüts an der Met und auch an der Bayerischen Staatsoper als Cherubino gegeben. Mozart ist ein fester Bestandteil in meinem Repertoire von Anfang an. Sesto habe ich bisher noch nicht so oft gesungen, deshalb wollte ich diese Partie auch unbedingt hier an der Metropolitan Opera singen. Vor allem, wenn die Vorstellung in alle Welt übertragen wird.
BR-KLASSIK: Die Sesto-Arie "Parto, Parto" wird nicht selten zum Höhepunkt des Abends. Die Stimme muss da kräftig, sicher und sehr klar sein – sowohl im unteren als auch im oberen Register. Hinzu kommen die Koloraturen. Können Sie die Arie, neben aller Perfektion die Ihnen da abverlangt wird, auch genießen?
Joyce DiDonato: Das ist genau mein Ziel. Ich möchte dieses außergewöhnliche Werk voll und ganz genießen können – aber nicht vorrangig. Zunächst einmal möchte ich die Zuhörer begeistern. Ich muss in jeder Vorstellung mein Bestes geben. Zugleich verspüre ich den Drang, dieser herrlichen Figur Leben einzuhauchen. Wenn ich nach der Vorstellung zurückblicke, fühle ich eine tiefe Zufriedenheit. Während der Vorstellung bewege ich mich allerdings immer nur von Situation zu Situation. Ich lenke meine ganze Konzentration auf die Stimme und auf das Spiel. Ich beobachte, ob ich angespannt oder entspannt bin, ob ich mit dem Maestro zusammen bin, ob die Lautstärke und die Artikulation stimmen. Ich fühle mich, als müsste ich eine Multiplayer-Maschine auf der Bühne in Gang halten. Die ganze Maschinerie läuft – aber ohne bewusstes Zutun. Dadurch bleibe ich für Inspiration und den Zauber dieser Musik offen. Es ist also immer wieder eine neue Erfahrung.
Ich mag es, wenn ich auf der Bühne eine starke Persönlichkeit sein kann.
BR-KLASSIK: Im Gegensatz zu Kolleginnen vergangener Generationen gehören Sie zu jenen modernen Sängerinnen, die Hosenrollen geradezu lieben, die sich für Genderaspekte interessieren und sich gerne in Männerrollen ausprobieren. Was fasziniert Sie daran, einen jungen Mann wie Sesto auf der Bühne darzustellen?
Joyce DiDonato als Sesto, hier zusammen mit Elza van den Heever als Vitellia | Bildquelle: © Richard Termine / MET Opera Joyce DiDonato: Ich denke bei Sesto eigentlich gar nicht an den jungen Mann. Für mich ist er in erster Linie die Figur Sesto. Ich singe Rosina, Agrippina, Didon, Cherubino. Das Geschlecht ist für mich nicht wichtig. Bei Romeo oder Sesto steht für mich deren dramatische Entwicklung im Verlauf der Oper im Mittelpunkt. Sie ist normalerweise viel dramatischer als die von weiblichen Figuren. Bei den jungen Männern verfolgen wir ihren Reifeprozess. Ich mag es, wenn ich auf der Bühne eine starke Persönlichkeit sein kann. Das erwartet man von Frauenrollen nicht so sehr. Ich mag es auch, dass das ganz offen vor einer Menge Leute geschehen kann. Ich finde es toll, kantig, stark und impulsiv auftreten zu können. Auch das ist nicht immer möglich.
Mir gefällt es, wenn ich den Menschen vermitteln kann, wie ein künstlerischer und kreativer Prozess abläuft, und wie man sich eine Inspiration erarbeitet.
BR-KLASSIK: Zwischen Ihren Auftritten als Sesto an der Met haben Sie sich Zeit genommen, immer wieder an die Carnegie Hall zurückzukehren, um dort Ihre außergewöhnliche Masterclass-Serie mit vier jungen talentierten Sängern fortzusetzen. Was war das konkret für ein Projekt?
Joyce DiDonato: Ich werde immer wieder gebeten, Meisterkurse oder Unterricht zu geben. Da ich ja immer noch sehr viel selber singe, habe ich dafür nicht so viel Zeit. Ich wollte diese Kurse in der Carnegie Hall in die ganze Welt übertragen lassen, damit Studenten überall die Möglichkeit haben, die Entwicklung von Gesangsstudenten über vier Tage hinweg mitverfolgen zu können. Das Ganze ist sehr intensiv. Ich unterrichte sie vormittags, allein und ohne Zuschauer. In dieser Zeit schaffen wir sehr viel. Die öffentlichen Kurse am Nachmittag werden übertragen. Wir konnten oftmals wirklich unglaubliche Fortschritte beobachten. Mir gefällt es, wenn ich den Menschen vermitteln kann, wie ein künstlerischer und kreativer Prozess abläuft, und wie man sich eine Inspiration erarbeitet. Im letzten Kurs hat eine Sopranistin eine Bellini-Arie mitgebracht, die sie noch nicht kannte. Wir haben eine halbe Stunde nur an den ersten zehn Takten gearbeitet. Ich hätte auch noch zwei Stunden weitermachen können. Ich liebe es, wenn ich Zeit habe, so in die Tiefe zu gehen.
BR-KLASSIK: Eine andere wichtige Unternehmung der letzten Zeit war Ihr Projekt „In War and Peace – Harmony through Music“. Ein Programm, in dem es um das Thema Krieg und Frieden in der Barockoper geht. Was hat Sie dazu inspiriert, und wie hat es sich entwickelt? Sie waren damit ja auch weltweit unterwegs und das Ganze gibt es inzwischen auf CD und DVD. Wenn Sie darauf zurückblicken, war das der Erfolg, den Sie sich dafür erhofft haben?
Bildquelle: © Website www.inwarandpeace.com Joyce DiDonato: Die Premiere dieses Projekts fand vor zweieinhalb Jahren in Brüssel statt. Seither waren wir damit überall in Europa, in Nordamerika, in Moskau, in Istanbul, und vor Kurzem auch in Seoul, Peking, Shanghai, Abu Dhabi. Im Herbst setzen wir die Tour in Südamerika fort und arbeiten uns dann wieder Richtung Norden nach oben, um das Projekt bewusst im Kennedy Center in Washington D.C. abzuschließen. Diese Stadt spielt eine entscheidende Rolle in der Frage um Krieg oder Frieden. "In War and Peace" wurde unter dem Eindruck der schrecklichen Terroranschläge – vor allem denen in Paris im November 2015 - ins Leben gerufen. Ich wollte diese tröstliche und zugleich provokante Musik von vor vierhundert Jahren nutzen, um zu zeigen, dass unsere Gesellschaft heute immer noch die gleichen Erfahrungen macht. Zudem war es mir auch wichtig, auch auf das Bedürfnis nach individuellem Friedens in uns hinzuweisen. Die Resonanz des Publikums war fantastisch. Meine Frage ans Publikum, wie jeder einzelne von ihnen seinen Frieden findet, wurde von vielen beantwortet. Damit wollte ich erreichen, dass die Leute darüber nachdenken und diese Frage vielleicht auch nach dem Konzert mit nach Hause nehmen. Ich hatte die Gelegenheit, für Diplomaten und Scheichs zu singen. Oder im National Performing Arts Center in Peking - nicht weit vom Platz des Himmlischen Friedens. Damit konnte ich eine kühne und offene Botschaft des Friedens vermitteln. Seither sehe ich Programmgestaltung ganz anders. Seither bin ich noch überzeugter von der transformativen Kraft der Musik. Oper war immer schon politisch. Ich möchte aufstehen und zeigen, daß ich etwas zu sagen habe und zwar über den Frieden. Ich habe gespürt, dass das Projekt beim Publikum einen tiefen Eindruck hinterlassen hat. Mich hat es in jedem Falle völlig umgehauen.
BR-KLASSIK überträgt "La clemenza di Tito" aus der Metropolitan Opera am Samstag, den 20. April live.