Schall ist ein faszinierendes Phänomen. Dabei nehmen wir die meisten Geräusche unserer Umgebung gar nicht bewusst wahr. Der Schallkünstler Peter Androsch will das ändern. Bei seinem Reverb-Festival am 16. September in Regensburg will er den Menschen die Ohren in besonderer Weise öffnen.
Bildquelle: Stadt Regensburg/Stefan Effenhauser
BR-KLASSIK: Peter Androsch, heute Morgen habe ich in Hinblick auf unser Gespräch mal bewusst auf die Geräusche in der S-Bahn geachtet: Ein Reißverschluss, drei ziemlich unangenehm quatschende Frauen, die Ansage der S-Bahn, Türgeräusche, der Wind draußen, Musik aus meinen Kopfhörern... Da hat man ziemlich schnell genug. Eigentlich müsste man es doch lassen, sich die Geräusche bewusst zu Gemüte zu führen, oder?
Peter Androsch: Ich glaube, dass in dem Wort "Person" schon ziemlich viel drinsteckt: "Per sonare" heißt auf Lateinisch "durchklingen". Das sagt schon, dass wir eigentlich nur Wesen sind, die Schall absorbieren und generieren. Wir nehmen ihn auf und erzeugen ihn auch. Schall ist etwas durch und durch Positives, wird aber meist negativ beurteilt - jeweils abhängig von der kulturellen Situation. Dieses Gefühl, dass etwas zu viel wird, kommt interessanterweise immer dann, wenn es gesellschaftliche Krisen gibt. Die erste Ruhehalle, von Dr. Sommer in Dresden, wurde in den Zwanzigerjahren erdacht und gebaut. Damals gab es die große Weltwirtschaftskrise. Man hatte das Gefühl, dass alles zu viel wird, alles auf einen einstürzt.
BR-KLASSIK: Wann wird denn ein Hintergrundgeräusch zu Lärm?
Bildquelle: © Florian Schwarz Peter Androsch: Lärm ist eigentlich jeder nicht gewollte Schall. Da sieht man schon, wie vielfältig das ist - auch an den Sprachen: Das deutsche Wort "Lärm" kommt vom lateinischen bzw. italienischen Ausdruck "all'arme" - "zu den Waffen"; das schafft also eine eher kriegerische Assoziation. Das englische "noise" kommt vom lateinischen "nausea". Das steht für Schwindel und Seekrankheit. Also geht es da eher um die Orientierungslosigkeit. Das französische "bruit" ist eher das Brausen - fast so etwas wie ein Bienenschwarm, der uns verfolgt. Also die Idee von Lärm ist so unterschiedlich - auch historisch und persönlich. Leider ist es so, dass die technische Akustik Lärm fast nur auf Lautstärke zurückführt: Laut wäre dann böse und leise ist gut. Wir wissen selbst, dass dies dem Leben gar nicht entspricht.
Lärm ist jeder nicht gewollte Schall.
BR-KLASSIK: Es ist unglaublich, womit Sie auf Geräusche aufmerksam machen: Sie haben eine Schallschleuse gebaut, es gibt sogenannte Phonographien… Wo kommen Ihnen die Ideen - wenn Sie mit offenen Ohren durch die Gegend gehen?
Peter Androsch: Ich bin alt genug, da ist mir schon vieles vorgekommen (lacht). Aber ich würde sagen, dass ich ein Schallkünstler bin. Alles, was irgendwie mit Schall zu tun hat, interessiert mich. Und wenn man das noch mit meiner zweiten großen Leidenschaft verbindet, nämlich Politik und Gesellschaft, blickt man anders auf die Phänomene. Schall ist für mich ein gesellschaftlicher Bereich. Ich glaube oft, dass man am Zustand der akustischen Umwelt viel besser die gesellschaftlichen Zustände ablesen kann als in den anderen Bereichen.
BR-KLASSIK: Nehmen Sie uns mal mit nach Regensburg. Wie klingt diese Stadt in Ihren Ohren?
Peter Androsch: Regensburg ist natürlich schon etwas ganz Besonderes, weil es dort diese riesige, völlig intakte Altstadt gibt. Wenn wir uns die Stadt als Instrument vorstellen - oder als Klangraum, in dem verschiedene Instrumente gespielt werden wie Fahrräder oder Autos, dann sieht man, dass diese Instrumente in einem unterschiedlichen Umfeld immer anders klingen - wie eine Geige, die in einem kleinen Raum anders klingt als in einem großen Konzertsaal. Deshalb hat Regensburg ganz eigene klangliche Phänomene, und das macht die Stadt ganz anders als zum Beispiel München, Frankfurt, Wien oder Linz. Derart große Klangflächen wie in München haben wir in Regensburg nicht. Nicht ohne Grund wird Regensburg die "nördlichste Stadt Italiens" genannt.
Raum und Hall sind eigentlich identische Begriffe.
BR-KLASSIK: Die Minoritenkirche in Regensburg hat eine recht ausgefallene Akustik. 19 Stunden wird Ihr Konzert dort dauern. Damit stellen Sie Wagners "Ring" mit knapp 16 Stunden in den Schatten - zumindest, was die Länge angeht. Wird es auch emotional so aufwühlend werden?
Peter Androsch: (lacht) Ich habe die 19 Stunden nicht geschrieben. Ich habe für diesen Zeitraum versucht, eine Klangkathedrale zu erschaffen, die ein bisschen nachstellt, wie der Tagesablauf in einem Kloster ist; die Minoritenkirche war ja früher eine Klosterkirche. Das beginnt um fünf Uhr morgens mit der Prim und endet um Mitternacht mit der Matutin. Wichtig ist mir darin klar zu machen, dass der Raum und der Hall eigentlich identische Begriffe sind - das sieht man ja an den Worten "Halle" und "Hall", die denselben Ursprung haben. Ein zweiter Gedanke fasziniert mich ganz besonders: dass der lange Hall in den Kirchen gewollt ist. Das ist kein Versehen und auch kein Makel des Raums, im Gegenteil: Wenn Sie an den gregorianischen Choral denken, dann geht der erst richtig auf durch den Hall. Der gregorianische Choral muss sich in die Kirche ergießen wie ein Fluidum, und damit können wir die Quelle des Halls nicht mehr orten. Das ist auch wichtig, denn früher dachte man, wenn man die Quelle orten könne, wäre das schon eine Anmaßung gegen Gott - man hätte dann Gott gehört und geschaut. Da sind so viele kulturelle und historische Dinge drinnen, eines faszinierender als das andere.
Die Fragen stellte Sylvia Schreiber für BR-KLASSIK.
Samstag, 16. September, von 5.00 - 24.00 Uhr in der Minoritenkirche im Historischen Museum Regensburg
Informationen zum Programmablauf finden Sie hier.
Sendung: Leporello am 14. September ab 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK.
BR-KLASSIK berichtet über das REVERB-Festival in Allegro am 18. September ab 6.05 Uhr.