Schwarze, düstere Literatur aus der Feder von Fjodor Dostojewskij - 1928 vertont von Leoš Janáčeks. An der Bayerischen Staatsoper gibt es am Pfingstmontag "Aus einem Totenhaus" in einer neuen Produktion. Regie führt Frank Castorf, der damit sein Debüt am Nationaltheater gibt. Am Pult steht die Australierin Simone Young.
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Premiere an der Bayerischen Staatsoper
"Aus einem Totenhaus" - ein Vorbericht
Vier Jahre lang war der russische Schriftsteller Fjodor Dostojewskij Mitte des 19. Jahrhunderts in einem sibirischen Lager gefangen. Aus politischen Gründen ließ Zar Nikolaus II. den jungen Künstler verhaften und verbannen. Dostojewskij hat diese harten Jahre hinterher verarbeitet, in seinem autobiographischen Roman "Aus einem Totenhaus". 1928 vertonte Leoš Janáček den Stoff - es wurde seine letzte Oper.
Die Oper, die Leos Janáček aus Dostojewskijs persönlichen Roman-Erinnerungen komponiert hat, dauert gerade einmal 100 Minuten. Die allerdings haben es in sich, findet Regisseur Frank Castorf: "Es sind 1,5 Stunden, aber die sind in einer Simultaneität, Komplexität vorhanden. Auch in dem Sporadischen, wo nur zwei Sätze gesagt werden, hat man das Gefühl, dass Menschen, wenn sie in so eine Ausnahmesituation kommen, dass man wissen muss, dass es etwas gibt, was es überall gibt. Und was nicht schön ist."
"Nicht schön" ist in diesem Stück krass untertrieben. Was Dostojewskij und Janáček uns zeigen, ist eine Art Kollektivdrama, in dem die brutale und verrohte Lageratmosphäre die eigentliche Hauptrolle spielt. Einzelne Figuren treten sporadisch heraus und berichten von ihrem Schicksal. Mörder, Verbrecher, Räuber, und dazwischen der politische Gefangene Gorjantschikow, Dostojewskijs "Alter Ego".
Dirigentin Simone Young hört trotzdem auch lichte Momente: "Ich höre Musik als Farben. Bei dieser Musik wäre es unfair zu sagen, sie sei grau. Sie ist silbergrau. Vieles ist düster vom Timbre, aber die durch Orchestrierung wird es hell: ob es eine expressive Oboe ist oder ein Moment einer Celesta oder ein Hauch der Flöte - es gibt immer Lichtblicke darin. Wo Menschen sind, gibt es immer auch Menschlichkeit."
Das ganze Interview mit Simone Young
Bildquelle: © Wilfried Hösl Frank Castorf arbeitet wie beim Bayreuther "Ring" mit dem Bühnenbildner Aleksandar Denić zusammen und setzt auf das Drastische des Stoffes: "Wir wollten etwas Veristisches. Das, was ja bei Janáček auch zu hören ist: Holztüren, Hämmer, das Feilen, Ambosse. Die Grundmetapher sind die Ketten. Die Menschen, egal, ob sie ihre Notdurft verrichten, ob sie im Lazarett waren, oder arbeiten - 10 kg schwere Ketten!"
Die Grundmetapher sind die Ketten.
Im Zentrum der Drehbühne steht das hölzerne Lager mit seiner Enge, seiner Gedrücktheit, seinem Stacheldrahtzaun. Eine sibirische Katorga, mit Assoziationen an Gulag und KZ. Kein Freiraum, keine Intimsphäre, auch durch die zusätzlichen Kameras und Videos, die Castorf gern benutzt. Je brutaler es auf Castorfs Bühne zugeht, unter den Gefangenen, desto mehr irritiert, verwundert, besticht Janáčeks Musik.
Gespielt wird in der Staatsopern-Neuproduktion erstmals die Originalfassung der Oper, gerade erst wissenschaftlich veröffentlicht. Simone Young erklärt die Vorteile: "Es gibt wirklich extreme Stellen, wo 3 Piccolo-Flöten und 3 Posaunen spielen und sonst niemand. Das war für die Kollegen von Janáček, die das Werk nach seinem Tod zum Verlag gebracht haben, zu arg. Und da haben sie die Partitur ein bisschen ergänzt, da ein bisschen Harfe, da ein Horn, das hat das Ganze verweichlicht, romantisiert. Das wurde alles revidiert, wir spielen puren Janáček."
Die Premiere am 21. Mai 2018 aus dem Nationaltheater können Sie ab 18:00 Uhr auf BR-KLASSIK hören. Bereits ab 17:30 Uhr meldet sich Annika Täuschel mit aktuellen Informationen und Interviews zur Neuinszenierung live aus dem Foyer des Münchner Nationaltheaters.
"Aus einem Totenhaus" ist keine klassische Oper, sondern ein Drama über Menschen, in ihren schwachen und anstandslosen Momenten. Eine Geschichte aber auch von Hoffnung und Mitgefühl, dort, wo man sie gar nicht erwarten würde.