Nicht zum ersten Mal verantwortet Simone Young die musikalische Seite einer Neuproduktion an der Bayerischen Staatsoper. Am 21. Mai ist die australische Dirigentin in der Premiere von Leoš Janáčeks "Aus einem Totenhaus" zu erleben. Welche Farbe sie mit dieser Oper verbindet, verrät sie im Interview. Denn als Synästhetin stellt sie einen besonderen Bezug zwischen Klängen und Farben her.
Bildquelle: © Monika Rittershaus
Das Interview zum Anhören
BR-KLASSIK: "Aus einem Totenhaus" ist eigentlich keine typische Oper. Es ist eher ein Kollektivdrama, aus dem manchmal einzelne Figuren herausstechen, die dann genauso auch wieder darin verschwinden. Was für eine musikalische Atmosphäre erleben wir in diesen 100 Minuten?
Simone Young: Dieses Stück ist ganz besonders, weil es keine richtige Handlung gibt. Es beginnt und endet im Gulag: dem Totenhaus. Zu diesem ziemlich düsteren und deprimierenden Stoff schreibt Janáček aber betörend schöne Harmonien, extrem konfrontierend an manchen Stellen von den Dissonanzen her, aber eben mit wunderschönen Melodien. Man hat das Gefühl, das sind Erinnerungen an volkstümliche Melodien, wie sich das ein Gefangener in einem Gulag vorgestellt hat, der an frühere Zeiten denkt. Und da kommen diese acht, zwölf oder 16 Takte: Keine von diesen Melodien bleiben lange Zeit. Und das ist es, was das Stück rettet, um nicht zu schwarz und zu deprimierend zu sein. Es ist dieses Gefühl, dass da jemand ist, der das Ganze aus dem Blickwinkel der Güte und Menschlichkeit betrachtet.
BR-KLASSIK: Wenn Sie dem Stück eine Farbe geben sollten, welche würden Sie wählen?
Die Dirigentin Simone Young | Bildquelle: © Berthold Fabricius Simone Young: Das ist schwer, da ich auch Synästhetin bin und insofern höre ich die Musik als Farben. Bei dieser Musik ist es unfair zu sagen, dass vieles grau ist. Aber sie ist silbergrau. Es gibt vieles, das irgendwie düster ist vom Timbre her. Aber die Orchestrierung hält immer Lichtblicke bereit, ob es eine expressive Oboe ist, ob es die Celesta oder ein Hauch von Flöte ist. Aus dem Orchestergraben gibt es dagegen immer wieder Rasseln von Ketten. Und auch auf der Bühne sind alle Menschen mit Ketten gefesselt. Frank Castorf hat das auf die Bühne übertragen: dass alle immer gefesselt sind.
BR-KLASSIK: Frank Castorf ist jemand, der zu Dostojewski praktisch eine lebenslange Verbindung in seiner Theaterarbeit hat. Und er ist ein Regisseur, der lieber mehr bohrt als zu wenig, um an den unangenehmen Kern der Sachen und der Menschen zu kommen. Deshalb wird es garantiert kein "Totenhaus" light auf der Bühne geben. Geht das konform mit Ihrer Vorstellung von der Partitur?
Simone Young: Ja, absolut. Man möchte nichts vertuschen. Und Frank Castorf arbeitet kompromisslos an dem Dostojewski-Stoff - aber die Musik kommt nicht zu kurz. Und ich finde, Inszenierung und Musik stehen nicht in Konkurrenz zueinander, sondern bieten unterschiedliche Niveaus, wie man dieses Werk verstehen kann.
BR-KLASSIK: Bei diesem Stück von Janáček braucht es eine besondere Vorbereitung, ein besonderes Wissen. Vielleicht auch nur eine besondere emotionale Haltung. Denn es ist eine spezielle Oper.
Simone Young: Ich bin immer dafür, dass man sich vorbereitet. Sich ein bisschen mit der Synopsis des Stückes zu beschäftigen, schadet nie. Aber man muss offen bleiben. Es ist eine wilde Fahrt, auf der man sich einfach mitreißen lassen soll.
Das Interview wurde von der Redaktion an die Schriftsprache angepasst.
Sendung: "Allegro" am 17. Mai 2018, 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Im Gespräch bei KlassikPlus, 17. Mai 2018, 19:05 bis 20:00 Uhr auf BR-KLASSIK