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Kritik – Wiener Staatsoper Asmik Grigorian glänzt in Puccinis "Turandot"

An der Wiener Staatsoper inszeniert Claus Guth Puccinis letzte Oper fernab von allen Chinaklischees als Kammerspiel einer traumatisierten Frau, die ihre Aggression nach außen wendet. Das holpert manchmal im Wechsel von Abstraktion und Realismus, aber Asmik Grigorian in der Titelpartie trägt das Ganze – und verweist auch Jonas Kaufmann auf die Plätze.

Puccinis "Turandot" an der Wiener Staatsoper mit Jonas Kaufmann und Asmik Grigorian. | Bildquelle: Monika Rittershaus

Bildquelle: Monika Rittershaus

Das ist der Abend der Sopranistin Asmik Grigorian. Sobald sie als Turandot ihr "In questa reggia" anstimmt, im Hochzeitskleid und mit langen weißen Haaren, mit priesterlich geöffneten Armen und den Handflächen nach oben, sobald sie den "grido della morte" beschwört, den Todesschrei ihrer angeblichen Vorfahrin Lou-Ling, mit gleißend sicheren, aber vor innerer Glut lodernden Spitzentönen, verletzlich und doch von eiserner Stärke, sobald diese hohen H‘s im schönsten Sinn durch Mark und Bein gehen und einen die Gänsehaut überschauert, da beginnt das eigentliche Drama und fängt Giacomo Puccinis "Turandot" erst so recht zu wirken an. Und man spürt: Diese Turandot ist eine traumatisierte Braut, die sich nicht traut. Denn sie spricht von sich selbst, sie macht sich nicht die Vergangenheit als Schutzmantel zu eigen, sondern ist gefangen in einem schrecklichen Lebensmoment, einem Moment, in dem, so kann man sich zusammenreimen, Hochzeit und Vergewaltigung in schrecklicher Weise eins geworden sein müssen.

Marco Armiliato dirigiert mit Schallkraft

Bis dahin, so verstand man da plötzlich, hatten sich alle anderen eigentlich nur recht verdienstvoll angestrengt – mit unterschiedlichem Ergebnis. Der Dirigent Marco Armiliato zum Beispiel, der diese Produktion mittelfristig von Franz Welser-Möst übernommen hat, den seine Krebserkrankung bekanntlich zu einer längeren Pause zwingt. Armiliato ist ein Opernkapellmeister wie er im Buche steht, dieser Kenner und Routinier dirigiert im Wesentlichen eine wunderbar beherzte, bestens einstudierte Repertoirevorstellung, und Chor wie Orchester folgen ihm dabei aufmerksam und mit beachtlicher Schallkraft. Für eine vollgültige Premiere im höchsten Sinne fehlte es allerdings noch an souveräner, kluger Durchleuchtung all jener merkwürdigen, schillernden, kühnen Klangvaleurs, die Puccini unter dem Vorwand des "exotischen" Schauplatzes in seine Musik integriert und die doch sein letztes, unvollendet gebliebenes Werk zugleich in die frühe Moderne des 20. Jahrhunderts einreihen. Zudem gab Armiliato immer wieder einem Hang zur Breite nach, als wollte er die Trennungslinie zwischen erhabenem Zelebrieren und richtiggehendem Schleppen exakt vermessen.

Jonas Kaufmann mehr Vortragskünstler als Stimmprotz

Etwas Mühe hatte an diesem Abend auch Kristina Mkhitaryan, zumindest bei den reinen Lyrismen der Liù: Ihrem Sopran von gedeckter Farbe liegt die dramatische Aufwallung des dritten Aktes besser. Wirklich anstrengen aber musste sich Jonas Kaufmann bei seinem späten szenischen Rollendebüt als Calaf. Dieser Tenor war ja immer mehr Vortragskünstler als bloßer Stimmprotz. Aber das Gefühl, auf ein etwas höheres Kraftkapital zurückgreifen zu können, hätte ihm wohl mehr musikalische und auch szenische Bewegungsfreiheit verschafft. Doch heißt es mittlerweile ökonomisch umgehen mit den Reserven, auf die Technik achten – und das kann und tut er. Freilich, die zarten Phrasen etwa von "Non piangere, Liù" zogen klanglich etwas blass vorüber, die baritonal-kehlige Stimme entfaltete sich im Forte besser. Überraschend wagte er gegen Ende des zweiten Aktes auch die Phrase mit dem eingelegten hohen C, wenn sie auch eher pflichtbewusst als fulminant gelang. Und im "Nessun dorma" störte sich das Publikum an kleinen Intonationstrübungen nicht, sondern jubelte dem Star zu, weniger der gerade gebotenen, achtbaren Leistung: Auf vereinzelte "Bis!"-Rufe, also eine verlangte Wiederholung der Arie, wurde gottlob nicht gehört . . .

Inszenierung mit Rückgriff Sigmund Freud und Franz Kafka

Puccinis "Turandot" an der Wiener Staatsoper mit Jonas Kaufmann und Asmik Grigorian. | Bildquelle: Monika Rittershaus Puccinis "Turandot" an der Wiener Staatsoper mit Jonas Kaufmann. | Bildquelle: Monika Rittershaus Angestrengt hat sich natürlich und vor allem auch der Regisseur Claus Guth. Er zielt auf ein Kammerspiel von zeitloser Aktualität, fernab allen pseudochinesischen Brimboriums. Seine schon erwähnte Grundidee: Turandot ist selbst einst zum Opfer eines Mannes geworden und richtet ihre Aggression nun nach außen. Guth versucht also, das Märchen teils psychologisch zu knacken, bebildert es aber auch auf symbolistische Weise – und zwar mit ständiger Rücksicht auf Sigmund Freund und Franz Kafka. Da fügen sich auch die Videos (Rocafilm – Roland Horvath) mit einer riesigen Turandot wie hinter einer Milchglasscheibe, die Blut verschmiert. Der Wechsel von Realismus und Abstraktion, von strenger, wenn auch oft etwas wackelig ausgeführter Choreographie (Sommer Ulrickson) und Natürlichkeit leuchtet nicht durchwegs ein. Liù zum Beispiel hat im ersten Akt vier Doppelgängerinnen, mit denen sie so rituell abgezirkelt und mit starrer Armhaltung einherschreitet, als seien sie alle direkt von antiken Fresken herabgestiegen. Dass daneben Dan Paul Dumitrescu als blinder Timur am Wanderstock umherstapft, lässt ihn wie ein Relikt aus einer früheren Inszenierung wirken. Die Minister Ping, Pang und Pong (Martin Hässler, Norbert Ernst, Hiroshi Amako) sollen im Dienst eine Art Marionettentrio vorstellen, gönnen sich dann aber in ihrer großen Szene ein Feierabendbierchen im Unterhemd. Das passt schon, aber die Szene bleibt musikalisch blass, zusammen mit ihrem Gesang. Und den Chor zuerst wie für eine konzertante Aufführung an der Rampe Platz nehmen zu lassen, wo er allzu laut ist, und später über weite Strecken hinter die Bühne zu verbannen, wo ihm dann etwas klangliche Präsenz fehlt, nur damit dem Regisseur die Menschenmassen nicht in die Quere kommen, enttäuscht handwerklich.

Hofstaat erinnert an Regime in Nordkorea

Etienne Pluss hat für all das einen Raum geschaffen, der hinter einem schwarzen Rahmen auf der Vorderbühne einen erhöhten Guckkasten zeigt: zuerst die Antichambre, dann das Schlafzimmer der Turandot. Dort kauert die Prinzessin in ihrem Bett, umgeben von vier Statistinnen in rosa Kleidchen und mit übergroßen weißen Puppenköpfen, die ihre Gefühle widerspiegeln: Zeichen für ihren Rückzug in ein Mädchendasein, zumal das vermeintlich intime Schlafzimmer vor allem Ort der Politik und des Strafvollzugs ist. Zuvor hat eine Putzfrau noch am Blutfleck des Vorgängers herumgewischt; in der Rätselszene muss Calaf dann in einem genau eingehaltenen Ritual gefesselt knien, der Henker wartet für alle Fälle schon mit dem Beil. Den geschäftig herumwuselnden Hofstaat dieses totalitären Regimes kleidet Ursula Kudrna in mintgrüne Einheitsanzüge, die an Nordkorea gemahnen: Hier scheint jeder ein Rädchen einer kafkaesken Bürokratiemaschine zu sein. Freudianisch inspiriert ist hingegen die große, mit Stahl verstärkte Flügeltür, eine Übernahme aus der Freudwohnung in der Berggasse.

Asmik Grigorian zeigt ihre ganze Klasse

Puccinis "Turandot" an der Wiener Staatsoper mit Jonas Kaufmann und Asmik Grigorian. | Bildquelle: Monika Rittershaus Puccinis "Turandot" an der Wiener Staatsoper mit Asmik Grigorian. | Bildquelle: Monika Rittershaus Der komplett gespielte, von Franco Alfano komponierte Schlussteil bildet nach Turandots Arie szenisch wie musikalisch den zweiten großen Höhepunkt. Mit immer wieder expressiv knirschenden Klängen macht Alfano die verschiedenen Stufen klar, die die Beziehung zwischen Turandot und Calaf zu einer glaubwürdigen Vereinigung unbedingt noch braucht. Arturo Toscanini hat bekanntlich die Uraufführung als Fragment dirigiert und erst ab der zweiten Vorstellung Alfanos Ergänzung verwendet – allerdings so brutal zusammengestrichen, dass es an Rufmord an diesem Komponisten grenzt, wie nun auch in Wien zu hören ist. Und Claus Guth nützt die Chance, die Protagonisten psychologisch zusammenzuführen. Hier zeigte Asmik Grigorian wieder ihre Klasse: Mag sein, dass die Turandot eine gefährliche Grenzpartie für sie darstellt, aber seit ihrer Salome hat man diese ja keineswegs vordergründig schöne, aber immer elektrisierende Stimme und die kluge Darstellung so spontan überzeugend im Einklang erlebt. Und Kaufmann konnte nun, wo er nicht mehr sparen musste, gut mithalten.

Ein fesselndes Endes des Opernabends

Und am Schluss? Man muss nicht gleich mit dem bösen, angeblich von Arnold Schönberg stammenden Bonmot kommen, dem zufolge Puccini der sei, der "dem Lehár alles vorgeäfft" habe, um die finale Pointe zwar verständlich, in der Ausführung aber um einen Hauch zu operettennahe zu finden. Nachdem sich das Paar zu seiner wechselseitigen Liebe bekannt hat, wird sofort staatstragend Hochzeit gefeiert – und das geht nur nach Reglement, ohne Körperkontakt, mit meterweit voneinander aufgestellten Thronsesseln. Calaf ist ratlos, Turandot aber hält das alles nicht mehr aus, wirft ihre Schärpe ab, packt ihn und brennt mit ihm durch.

Sendung: "Allegro" am 8. Dezember ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (6)

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Dienstag, 19.Dezember, 11:47 Uhr

Melania

Calaf

Seit Jahren wissen viele, die von Musik verstehen, das J.Kaufmann technisch schwach ist. ( milde gesagt).
Warum wird er dermassen gefeiert ist mir ein Rätsel. Und die Gagen die er kassiert, darüber möchte ich lieber schweigen.
Jedenfalls als Calaf blieb er im Schatten den stimmsicheren A. Grigorian!

Montag, 11.Dezember, 19:35 Uhr

ST

Wenn die Meinungen aufeinanderprallen, ist Leben

Ich habe die Inszenierung ganz unvoreingenommen und unvorbereitet angesehen und -gehört, spontane Entscheidung, Billigplatz, und ich war überrascht und elektrisiert. Ein antikes Märchen wurde zum lebendigen ewig gültigen Drama. Ich fand es großartig, aber ich verstehe auch alle, die es gerne etwas herkömmlicher hätten. Aber gerade diese aufeinanderprallenden Ansichten zeigen: das ist Kunst, wie sie sein soll. Packend.

Samstag, 09.Dezember, 12:59 Uhr

MK

Packende Turandot

Es gibt viele Inszenierungen, die einen Opernstoff mit absurden Mitteln versuchen, in die Jetztzeit zu bringen. Diese Neuinszenierung gehört nicht dazu. Zusammen mit den stimmigen Kostümen, den Video Einspielungen und einem Bühnenbild, das nicht stört, ist diese Turandot eine packende Referenz zu durchaus auch gegenwärtigen Diktaturen. Dank einer großartigen Asmik Gregorian ein außergewöhnlicher Genuss.

Freitag, 08.Dezember, 16:29 Uhr

Fred Keller

TURANDOT FIASKO IN WIEN

Komme soeben vom Levit / Thielemann Konzert im Wiener Musikverein. Kaum zu glauben das gestern und heute das Wiener Orchster spielt.

Ein Regisseur der mit DER Puccini Chor Oper nichts anzufangen weis soll zu Hause bleiben. Verdient die
Berufsbezeichnung nicht. Kalaf der stürmische Dränger kommt wie der Dritte Mann aus einem Kanaldeckel und sucht Türen......und bleibt einen Abend lang ein Hängschultrig langweilig in einem schlechten Kostüm .
Momentan als gelungen zu bezeichnen die Turandot von Asmik Grigorian, hoffentlich bleibt es so! Mässig die Liu mit einer wenig lyrischen Darbietung - als Mondäne präsendiert. - !x und nie mehr wieder.

Freitag, 08.Dezember, 12:57 Uhr

W.H.

"Chinaklischees"

Ich glaub, ich würde lieber die mit "Chinaklischees" (hey, das Stück spielt in China, da schadet doch wohl ein chinesisches Ambiente nicht) vollgestopfte Ausstattung sehen, wie sie vor wenigen Jahren in "Mission Impossible - Rogue Nation" zu sehen war. Drehort: die Wiener Staatsoper. Auf den Extranervenkitzel des Attentats auf den österreichen Kanzler (oder war es der Bundespräsident?) könnte ich freilich verzichten.

Wenn man nach Venedig fährt, zieht es einen ja auch zum Markusplatz. Man kann natürlich auch seinen Urlaub im örtlichen Schlachthaus verbringen, um alle "Venedigklischees" zu meiden.

Freitag, 08.Dezember, 11:48 Uhr

Friedrich Holt

bmBravo für die Kritik

Danke für die Qualität dieser Kritik. Das sollte der Maßstab sein. Hier erfahre ich etwas zu Sängern, Dirigent und Inszenierung. Es wird kundig und kritisch eingeordnet. Gegenüber den meisten sonstigen Kritiken hier die über ein nichtssagendes Adjektiv zu den Mitwirkenden nicht hinauskommen und lobhudeln, ist das eine Offenbarung.

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