Am 14. Mai gibt Joshua Bell zusammen mit Daniel Harding und dem Swedish Radio Symphony Orchestra ein Konzert in Nürnberg. Im BR-KLASSIK-Interview spricht der Geiger über sein ungewöhnliches Programm, die Wandlung vom Wunderkind zum erwachsenen Musiker - und warum Streit etwas Positives sein kann.
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BR-KLASSIK: Joshua Bell, Sie spielen bei Ihrem Konzert in Nürnberg ein ungewöhnliches Programm - keines der bekannten Violinkonzerte, sondern "Tzigane" von Ravel und Chaussons "Poème". Was reizt Sie an dieser Kombination?
Joshua Bell: Das ist eine schöne Abwechslung. Man muss ja nicht immer Bruch, Mendelssohn oder Tschaikowsky spielen, auch wenn ich diese Konzerte natürlich sehr mag. Es wird großen Spaß machen, diese beiden Werke aufzuführen. Obwohl sie beide von französischen Komponisten stammen, sind sie trotzdem sehr verschieden. Deshalb passen sie auch gut zusammen. Das "Poème" von Chausson gehört zu meinen Lieblingsstücken. Für mich zählt es zu den wunderbarsten Kompositionen für Violine und Orchester. Und Ravels "Tzigane" ist fantastisch und auch für das Publikum ein äußerst interessantes Werk. Beide Stücke spiele ich schon seit meiner Jugend, sie gehören also irgendwie zu mir.
Wenn man früh zum Star wird, besteht die Gefahr, dass man aufhört, weiter zu lernen.
BR-KLASSIK: Über Wunderkinder sagt man ja allgemein, das eigentliche Wunder sei, wenn sie als Erwachsene tatsächlich Karriere machen - so wie das Ihnen geglückt ist. Das Kind geht weg, aber das Wunder muss bleiben. Wie haben Sie den Übergang geschafft?
Joshua Bell | Bildquelle: Richard Ascroft
Joshua Bell: Meine Karriere begann vor 35 Jahren, als ich mit 14 mein Debüt beim Philadelphia Orchestra unter Leitung von Riccardo Muti gab. Ich hatte allerdings nie den Eindruck, eine Wandlung vollziehen zu müssen. Es war eher ein kontinuierlicher Lernprozess. Ich habe das Gefühl, immer besser zu werden und ständig dazuzulernen. Wenn man schon sehr früh zum Star wird, besteht die Gefahr, dass man aufhört, weiter zu lernen. Dafür gibt es in der Geschichte ja einige Beispiele: Man wird von allen als der Größte bezeichnet, spielt 200 Konzerte im Jahr - dann bleibt weder Zeit noch Raum für eine künstlerische Weiterentwicklung. Ich hatte Glück, bei mir verlief alles recht langsam. Mit 12 Jahren habe ich mit dem Unterricht bei dem Geiger Josef Gingold angefangen. Er selbst hatte bei Eugène Ysaÿe studiert. Chausson hat sein "Poème", das ich in Nürnberg spielen werde, für Ysaÿe komponiert. Diese Beziehung zwischen meinem Lehrer und Ysaÿe ist auch einer der Gründe, warum ich das "Poème" aufführe. Gingold hat mich immer ermutigt, Kammermusik zu spielen und stets von anderen zu lernen. Ich sollte mein Repertoire immer erweitern, um nicht in meiner Entwicklung stehenzubleiben.
Wenn ich jetzt Aufnahmen aus meiner Teenagerzeit anhöre, ist mir das unangenehm.
BR-KLASSIK: Wenn Sie jetzt Stücke spielen, die Sie in Ihrer Jugend schon mit Ihrem Lehrer erarbeitet haben - benutzen Sie heute vielleicht neue Notenausgaben? Das machen ja manche Künstler, damit sie nicht immer dieselben Fingersätze spielen, sondern das jeweilige Werk von Grund auf neu studieren.
Joshua Bell: Mein Lehrer Gingold hat mir tatsächlich einige völlig verrückte Fingersätze für das "Poème" gezeigt, die Ysaÿe selbst so verwendet hatte. Wir haben uns sehr viel darüber unterhalten. Aber auch wenn er mir bestimmte Fingersätze gezeigt hat, wollte er mir trotzdem die Möglichkeit lassen, meinen eigenen Weg zu gehen. Er hat mich angeleitet. Es war sehr entscheidend, dass er mir nie vorgeschrieben hat, wie ich eine Phrase spielen sollte. Er hat mich immer ermutigt, eigene Ideen zu entwickeln. Als ich dann keinen Unterricht mehr nahm, habe ich mich nicht völlig allein gelassen gefühlt. Ich wusste, wie ich ein neues Stück einstudieren kann. Wenn ich jetzt Aufnahmen aus meiner Teenagerzeit anhöre, ist mir das unangenehm. Jetzt spiele ich natürlich ganz anders. Die großen Werke begleiten einen das ganze Leben, man begibt sich sozusagen auf eine Reise mit ihnen. Das verändert sie immerzu. Da ich inzwischen auch mehr dirigiere - ich bin Musikdirektor der Academy of St-Martin-in the Fields in London - kann ich noch mehr neues Repertoire entdecken und mich als Musiker weiterentwickeln.
Wenn man seine musikalische Ideen verteidigen muss, werden sie fundierter.
BR-KLASSIK: Jetzt sind Sie mit Daniel Harding als Dirigent unterwegs. Können Sie, da Sie ja seit einiger Zeit auch selbst dirigieren, sich nun besser in die Aufgaben eines Dirigenten einfühlen? Es besteht ja zwischen Solist und Dirigent manchmal durchaus ein etwas angespanntes Verhältnis - ich denke da zum Beispiel an Glenn Gould und Leonard Bernstein, die sich nicht über ein gemeinsames Tempo einigen konnten.
Daniel Harding | Bildquelle: Decca
Joshua Bell: Dieses Beispiel von Bernstein und Gould ist sicher das bekannteste. Daniel Harding ist übrigens auch ein ehemaliges Wunderkind. Ich habe ihn kennengelernt, als er gerade einmal 16 Jahre alt war. Damals hat er schon die großen Orchester dirigiert. Wir kennen uns schon sehr viele Jahre, aber wir hatten auch unsere Auseinandersetzungen während der Orchesterproben. Da gab es sogar einige Spannungen. Aber wir sind gute Freunde, so hat es sich immer schnell wieder gelöst. Es gibt immer wieder Spannungen -trotzdem arbeite ich gern mit anderen Dirigenten zusammen. Bei vielen Violinkonzerten - Beethoven, Brahms, sogar Tschaikowsky - dirigiere ich inzwischen selbst. Für die Stücke, die ich jetzt spiele, brauche ich aber einen Dirigenten. Und es freut mich sehr, dass es jetzt Daniel Harding macht.
BR-KLASSIK: Wirklich gut streiten kann man also nur mit Freunden?
Joshua Bell: Oh ja, es ist wie ein Streit in der Familie. Man fühlt sich gut dabei. Solche Auseinandersetzungen entstehen, wenn man eine klare musikalische Vorstellung hat. Einer meiner besten Freunde ist der Cellist Steven Isserlis. Wir spielen sehr viel Kammermusik zusammen. Und obwohl wir so dick befreundet sind, streiten wir uns manchmal ganz schön heftig über Musik. Wenn man eine große Leidenschaft für etwas empfindet und dann nicht einer Meinung ist, kann das durchaus Spannungen hervorrufen. Doch wenn man seine musikalische Ideen verteidigen muss, werden sie fundierter und man lernt immer etwas dabei.
Das Interview führte Bernhard Neuhoff für BR-KLASSIK.
Sendung: "Leporello" am 11. Mai 2017, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK
Sonntag, 14. Mai 2017, 20.00 Uhr
Nürnberg, Meistersingerhalle
Maurice Ravel:
"Tzigane", Konzertrhapsodie für Violine und Orchester
Ernest Chausson:
Poème für Violine und Orchester op. 25
Gustav Mahler:
Symphonie Nr. 5 cis-Moll
Joshua Bell (Violine)
Swedish Radio Symphony Orchestra
Leitung: Daniel Harding