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Komponistin Kaija Saariaho wird 70 Ohren auf und durch!

Als Kaija Saariho Komposition studieren wollte, lehnte man sie ab. Sie sei halt eine Frau, hieß es zur Begründung. Dennoch wurde die scheue Finnin zur meistgespielten Komponistin unserer Zeit. Das liegt auch an ihrem Kopfkissen.

Kaija Saariaho | Bildquelle: Andrew Campbell

Bildquelle: Andrew Campbell

Offene Ohren. Was heißt das eigentlich? Im Falle von Kaija Saariaho: die Grenzen des Hörens verlassen, die Grenzen des eigenen Landes verlassen und die Grenzen der Realität verlassen. Seit ihrer Kindheit wirbelt es in ihr. Sie flattert durch Tagträume, und nachts kann sie nicht schlafen, weil das Kopfkissen ununterbrochen Musik spielt. Die Mutter solle es doch bitte ausschalten. Aber eine blühende Fantasie, wie Saariaho sie hat, lässt sich nicht einfach so stilllegen.

In unseren Träumen ist alles aufgebrochen, nichts folgt einer linearen Logik. Das inspiriert mich.
Kaija Saariaho

Trotzdem ist der Weg zur Komponistin für Saariaho voller Hürden. Sie wächst in Helsinki als Tochter eines Metallarbeiters auf, ist schüchtern und spielt mittelgut Orgel und Klavier. 13 Jahre lang besucht sie eine Rudolf-Steiner-Schule. Dort wird sie zwar künstlerisch gefördert, aber Komponistin werden? Das erscheint ihr völlig unmöglich. Nicht zuletzt fehlen ihr Vorbilder, andere Frauen, die es geschafft haben.

An der Sibelius-Akademie lehnt man sie als Frau ab

Kaija Saariaho | Bildquelle: Priska Ketterer Kaija Saariahos Opern werden an den renommiertesten Häusern aufgeführt, ihre Orchester- und Kammermusik ist weltweit zu hören. | Bildquelle: Priska Ketterer Heute, wo kaum eine Komponistin so oft gespielt wird wie Saariaho, wo ihre Opern an den renommiertesten Häusern aufgeführt werden und ihre Orchester- und Kammermusik weltweit zu hören ist, wo sie zahlreiche Preise abgeräumt hat (u.a. Kranichsteiner-Musikpreis, Grammy, Goldener Löwe) – heute scheint das weit weg. Doch damals steht sie oft vor verschlossenen Türen. An der Sibelius-Akademie, an der sie sich nach der Schule für ein Kompositionsstudium bewirbt, lehnt man sie ab. Begründung: Sie sei ein hübsches Mädchen und werde sowieso bald heiraten. Das Studium sei reine Zeitverschwendung. Du bist halt eine Frau, hört Saariaho, als die Professoren sie ablehnen. Du bist halt eine Frau, hört sie aber auch, als sie ihren Durchbruch feiert und die Kollegen neidisch sind. Patriarchat at its best. All das hat Saariaho nicht davon abhalten können, Komponistin zu werden, zu sein und zu bleiben.

Traumwandlerische Klanglandschaften in Paris

Nach ihrem Geigen-, Klavier- und Malereistudium in Helsinki studiert sie in Freiburg bei Brian Ferneyhough und Klaus Huber Komposition. Anfang der 1980er Jahre zieht sie nach Paris und landet am IRCAM. Dort beginnt sie ihre glitzrigen Klanglandschaften zu bauen, mischt elektronische und akustische Klänge, experimentiert mit Computerprogrammen. In Paris findet sie nicht nur musikalisch, sondern auch privat und persönlich eine neue Heimat. Eine Vielzahl ihrer über hundert Werke für unterschiedlichste Besetzungen schreibt die Finnin hier.

Debütoper bei den Salzburger Festspielen

Spätestens im Jahr 2000 wird der Name Saariaho dann auch einem breiteren Publikum bekannt. Ihre Debütoper L'Amour de loin feiert bei den Salzburger Festspielen unter der Regie von Peter Sellars eine umjubelte Premiere. Noch mal gut zwanzig Jahre später blickt Saariaho auf ein erfülltes Komponistinnenleben, in dem Klangfarbe, Unkonventionalität und Neugierde den Ton angeben.

Bis heute lautet Saariahos Mantra korvat auki, Ohren auf. In den 1970er Jahren hatte sie mit Gleichgesinnten in Helsinki eine Gruppe dieses Namens gegründet, um damit ein Zeichen zu setzen. Als Plädoyer für Veranstalter und Zuhörerinnen gleichermaßen, sich auf eine größere musikalische Vielfalt einzulassen. Das ist immer noch ein guter Rat – und Kaija Saariahos traumwandlerische Musik dafür ein hervorragender Anfang.

Sendung: "Allegro" am 14. September 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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