BR-KLASSIK

Inhalt

Struktureller Rassismus in den USA Kaum schwarze Musiker in der Klassik

Die amerikanische Musikgeschichte ist untrennbar verbunden mit der Geschichte der Sklaverei. Denn die versklavten Afrikaner brachten auch ihre musikalischen Traditionen mit, zusammen mit den traditionellen europäischen Klängen verschmolzen sie zu Musikrichtungen wie Blues, Jazz, R&B, Techno und Hip-Hop. In diesen Genres sind schwarze Musikerinnen und Musiker häufig vertreten und überaus populär. Anders in der Klassik: Nur etwa zwei Prozent der Musiker in klassischen Ensembles sind Schwarz.

Oakland Symphony Orchestra mit Dirigent Michael Morgan | Bildquelle: Oakland Symphony Orchestra

Bildquelle: Oakland Symphony Orchestra

Bild: Das Oakland Symphony Orchestra mit Dirigent Michael Morgan

In der Klassikwelt gibt es nur sehr wenige schwarze Dirigenten. Einer von ihnen heißt Michael Morgan. Er leitet das Oakland Symphony Orchestra. Morgan bedauert, dass nur wenige Menschen an Schwarze denken, wenn es um Dirigenten geht. "Und wenn sie uns ansehen, dann denken sie nicht, dass wir Dirigenten sein könnten", so Morgan.

Wenn Menschen an Dirigenten denken, dann denken sie nicht an Leute, die aussehen wie wir.
Der Dirigent Michael Morgan

Gemeinsam mit seinen ebenfalls schwarzen Kollegen Thomas Wilkins, Jonathon Heyward und Roderick Cox sprach Morgan in einer Videodiskussionsrunde bei Facebook über Rassismus und Diskriminierung. Darüber, wie Morgan es geschafft hat, sich in der Klassikwelt als schwarzer Dirigent zu behaupten. Fehler, so sagt er, würden nicht akzeptiert. Dabei mache jeder zu Beginn Fehler. Morgans Erfahrung nach sei die Geduld oft gering, wenn jemand nicht so aussieht, wie erwartet: "Bei Frauen und Minderheiten bedeutet das oft das Karriere-Aus", so der Dirigent.

Musiker unterstützen "Blackouttuesday"

#BlackoutTuesday #TheShowMustBePaused https://t.co/GPunCEz2Q1 | Bildquelle: nyphil (via Twitter) Bildquelle: nyphil (via Twitter) Die Gesprächsrunde, initiiert vom Dirigent Roderick Cox, fand anlässlich der Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt statt. Es ist nicht die einzige Aktion, in der sich die Musiker aus dem Klassikbereich nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd äußern. Orchester haben zum Beispiel beim so genannten "Blackouttuesday" mitgemacht: Wie andere Musiker und Musikerinnen, Plattenlabel und Musikbetriebe haben sie Werbung für sich oder Auftritte pausiert, um die Aufmerksamkeit auf die Demonstrationen und die Stimmen gegen Rassismus zu lenken.

Schwarze klassische Musik selten

Schwarze klassische Musik – sie ist eher eine Randerscheinung. In den 1930er-Jahren schrieb der Komponist William Dawson die so genannte "Negro Folk Symphony" – eines der sehr wenigen Beispiele klassischer Musik von schwarzen Komponisten, die heute fast in Vergessenheit geraten ist. Laut einer Studie der League of American Orchestras aus dem Jahr 2014 sind weniger als zwei Prozent der Musiker und Musikerinnen in amerikanischen Orchestern Schwarz. Nur 4,3 Prozent der Dirigenten haben eine schwarze Hautfarbe, und auch die Komponisten bleiben überwiegend Weiß.

Klassik als Vergnügen für die Oberschicht

Ein Grund dafür liegt sicher in der Demographie: Insgesamt sind nur etwa 13 Prozent der US-Amerikaner Schwarz. Eine Rolle spielt aber wohl auch, dass der Klassikbereich nach wie vor recht elitär ist. Tickets sind tendenziell teuer, Klassikkonzerte, Oper und Operetten gelten als Oberschichten-Vergnügen. Viele Schwarze können sich das gar nicht leisten, weil sie in Jobs arbeiten, die weniger Geld einbringen. Auch das ist eine Form von strukturellem Rassismus. 

Rassismus ist das Fehlen von Empathie.
Brandon Keith Brown, Dirigent

Schwarze Dirigenten wie Brandon Keith Brown, der in Deutschland und den USA arbeitet, beobachten: Das Publikum bleibt bei den Konzerten eher unter sich, in diesem Fall also: unter Weißen. Und das gelte auch für die Musiker, erzählt Brown im Klassikpodcast "Trilloquy". Für Brown ist Rassismus ein Fehlen von Empathie. Wenn jemand also anders aussieht, wird ihm weniger Empathie entgegengebracht. Mit gravierenden Folgen: "So wird institutioneller Rassismus geformt", erklärt der Dirigent. Denn man bliebe immer in seinen Kreisen, stelle nur Leute ein, die man kennt: "So bleibt die Besetzung von Universitätsstellen, Orchestervorständen und in Orchestern Weiß."

Schwarze Vorbilder wären wichtig

Thomas Wilkins dirigiert beim "Oscar Concert 2018' in der Walt Disney Concert Hall in Los Angeles | Bildquelle: picture alliance/ZUMA Press/Paul Hebert Thomas Wilkins | Bildquelle: picture alliance/ZUMA Press/Paul Hebert In der Facebook-Gesprächsrunde, in der vier schwarze Dirigenten über Rassismus in der Klassikszene sprechen, kommt man zu einem ähnlichen Schluss. Umso wichtiger sei es, dass es schwarze Vorbilder gäbe – gerade für junge Menschen, erzählt aus dieser Runde Dirigent Thomas Wilkins, der unter anderem das Hollywood Bowl Orchester leitet. Wilkins erinnert sich an eine Aufführung, bei der er kurzfristig einsprang. In der ersten Reihe saßen zwei schwarzen Jungen, die riesige Augen bekamen, als sie ihn sahen. Er habe ihnen zugenickt, nach dem Motto: Ja – das IST auch eine Möglichkeit für euch!

Sendung: "Leporello" am 08. Juni 2020 ab 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (0)

Kommentieren ist nicht mehr möglich.
Zu diesem Inhalt gibt es noch keine Kommentare.

    AV-Player