Am Samstag dirigiert Alexander Shelley die "Last Night" mit den Nürnberger Symphonikern - im Rahmen des Klassik Open Airs im Luitpoldhain. Und es ist tatsächlich Shelleys letzte Nacht: Er verlässt Nürnberg als Generalmusikdirektor, um seinen Verpflichtungen in Ottawa und in London beim Royal Philharmonic Orchestra nachzukommen. Ein Gespräch über besondere Erlebnisse, ein besonderes Publikum und über den richtigen Moment für den Abschied.
Bildquelle: © Torsten Hönig
Das Gespräch mit Alexander Shelley zum Anhören
BR-KLASSIK: Was werden Sie denn am meisten von Nürnberg vermissen: Bratwürscht, Lebkuchen, Bier?
Alexander Shelley: Die Menschen. Unser liebes Publikum hier. Ich fühlte mich immer sehr aufgehoben. Das ist am Samstag mittlerweile mein neuntes Klassik Open Air, was natürlich ein Riesenprivileg ist. Und von Anfang an waren die Menschen hier so warmherzig und offen. Ich durfte das Publikum mitnehmen und mitreißen. Das ist für Musiker das Dankbarste. Man möchte für Menschen musizieren, die Lust darauf haben. Das werde ich auf jeden Fall vermissen.
Das sage ich überall auf der Welt: dass Kultur zu unterstützen nicht auf Kosten von anderen Dingen gehen muss.
BR-KLASSIK: Sie kennen das internationale Musikleben wie auch das Nürnberger Musikleben sehr gut. Wie schneidet Ihrer Meinung nach Nürnberg im internationalen Vergleich ab?
Alexander Shelley: Ich sage immer wieder, wenn ich über Nürnberg, wenn ich über Deutschland rede, dass es so etwas nicht zweimal gibt auf der Welt. Dass man hier die Kultur so zu schätzen weiß, und dass man sie hier auch so unterstützt, und nicht auf Kosten von anderen Dingen - weil die Kultur hier zum Kerngeschäft gehört und zu unserem Wesen. Das sieht man in Städten wie Nürnberg. Hier hat man ein erstklassiges Opernhaus und ein wunderbares Orchester. Man hat zusätzlich "mein Orchester": die Nürnberger Symphoniker, man hat Theater … so viel gibt es hier in dieser Stadt. Und das ist nur eine von vielen Städten in Deutschland. Das ist etwas, worauf ich als Wahldeutscher, als Engländer, der in Deutschland studiert hat, sehr stolz bin, und was ich sehr hoch schätze. Das sage ich überall auf der Welt: dass Kultur zu unterstützen nicht auf Kosten von anderen Dingen gehen muss - wie es so oft in anderen Ländern heißt.
BR-KLASSIK: Dann muss ich ketzerisch nachfragen, warum Sie diesen wunderbaren Standort verlassen?
Alexander Shelley: Ich bin in Ottawa und London sehr glücklich, und auch in den anderen Orten, in denen ich zu Gast bin. Aber natürlich ist es im Leben eines Dirigenten so, dass sich Kapitel öffnen. Und es müssen sich auch Kapitel wieder schließen, damit man sich weiterentwickeln kann, damit man neue Impulse bekommt und die auch geben kann. Acht Jahre bin ich jetzt bei den Symphonikern. Und das waren acht wirklich sehr glückliche und inspirierende Jahre für mich. Aber ich habe gespürt: Nach der achten Saison wird es wichtig sein, dass jemand anderes dem Orchester neue Impulse gibt. Ich halte das für gesund, auch dem Publikum gegenüber. Also dann zu gehen, wenn das Publikum sagt: "Bitte bleib!" Das ist besser, als vier oder fünf Jahre später zu gehen, wenn alle sagen: "Naja, ob Du bleibst oder gehst, ist uns egal."
Jetzt, wo der Samstag mit meinem letzten Open-Air-Konzert hier naht, kommt ein bisschen Wehmut auf.
BR-KLASSIK: Aufhören, wenn es am schönsten ist, lautet ein deutscher Spruch. Welches Projekt mit den Nürnberger Symphonikern wird Ihnen denn am meisten in Erinnerung bleiben?
Alexander Shelley | Bildquelle: Thomas Dagg Alexander Shelley: Ohne Frage sind die Klassik-Open-Air-Konzerte etwas ganz Besonderes. Das ist natürlich kein normales Konzert, sondern die Gelegenheit, unser Kernrepertoire und auch ausgefallene Sachen einem breitem Publikum anzubieten. Und es saßen in den letzten Jahren zwischen fünfzig- und achtzigtausend Menschen da. Das ist ein Privileg und eine Freude, für Menschen zu musizieren, die vielleicht noch nie im Konzertsaal waren. Also, das wird immer in Erinnerung bleiben. Es gab auch einzelne Projekte, zum Beispiel die Zweite Symphonie von Mahler in dieser Saison. Das war eine Sternstunde. Auch unsere Tourneen mit zwei Auftritten in Wien, wo wir dann wieder in den Goldenen Saal des Wiener Musikvereins eingeladen wurden. Oder unsere Tournee nach China - solche Erfahrungen bleiben natürlich in Erinnerung. Und auf der persönlichen Ebene war es etwas Besonderes, dass mein Vater, der Pianist ist, das Dritte Klavierkonzert von Rachmaninow mit uns spielte. Ich hatte unglaublich viele und schöne Erlebnisse hier. Und jetzt, wo der Samstag mit meinem letzten Open-Air-Konzert hier naht, kommt ein bisschen Wehmut auf.
BR-KLASSIK: Samstag, das Klassik Open Air in Nürnberg, das ist so etwas wie das Woodstock der Klassik, die größte Klassikveranstaltung Europas. Über siebzigtausend Besucher waren es schon am ersten Wochenende vor zwei Wochen. Was meinen Sie, weshalb dieses Event so gut funktioniert?
Alexander Shelley: Ich denke, in Nürnberg funktioniert das sehr gut, weil die Menschen für so etwas sehr aufgeschlossen sind. Ich finde es spannend, dass man zum Beispiel ohne große Bildschirme agiert. Und es ist sehr bodenständig. Es ist wie ein Familien-Picknick ohne großen Wirbel drumherum. Es geht um die Musik, und es geht um die Menschen. Und das ist auch sehr fränkisch, wie ich finde. Es ist nicht im Ansatz etwas Prätentiöses dabei, sondern Musik, Freunde, Familie und Freude an einem ganz besonderen Ort, der natürlich eine Geschichte hat. Und den man neu belebt, das spielt auch eine Rolle. Es ist insgesamt eine sehr runde, ehrliche Sache mit sehr viel Integrität.
BR-KLASSIK: Und vergessen wir nicht: Alexander Shelley, sie sind dort so etwas wie der symphonische Robbie Williams. Wollen Sie das wirklich aufgeben?
Alexander Shelley: (lacht) Nein, natürlich wird es mir fehlen! Gestern habe ich gesagt, es ist das neunte Mal, und natürlich wäre zehn eine runde Zahl gewesen. Aber ich bin wirklich glücklich, dass ich das Open Air mittlerweile zum neunten Mal leiten und moderieren durfte. Und ich werde das immer als Privileg betrachten.
Die Fragen stellte Falk Häfner für BR-KLASSIK.