Die finnische Komponistin Kaija Saariaho ist tot. Sie war eine der meistgespielten Komponistinnen unserer Zeit. Wie ihre Familie auf ihrer Facebook-Seite mitteilte, starb sie am Freitag in Paris – an den Folgen eines Hirntumors. Saariaho wurde 70 Jahre alt. BR-KLASSIK erinnert an die großartige Komponistin.
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Offene Ohren. Was heißt das eigentlich? Im Falle von Kaija Saariaho: die Grenzen des Hörens verlassen, die Grenzen des eigenen Landes verlassen und die Grenzen der Realität verlassen. Schon in ihrer Kindheit wirbelt es in ihr. Sie flattert durch Tagträume und kann nachts nicht schlafen, weil das Kopfkissen ununterbrochen Musik spielte. Die Mutter solle es doch bitte ausschalten. Aber eine blühende Fantasie, wie Saariaho sie hat, lässt sich nicht einfach so stilllegen.
In unseren Träumen ist alles aufgebrochen, nichts folgt einer linearen Logik. Das inspiriert mich.
Trotzdem ist der Weg zur Komponistin für Saariaho voller Hürden. Sie wächst in Helsinki als Tochter eines Metallarbeiters auf, ist schüchtern und spielt mittelgut Orgel und Klavier. 13 Jahre lang besucht sie eine Rudolf-Steiner-Schule. Dort wird sie zwar künstlerisch gefördert, aber Komponistin werden? Das erscheint ihr völlig unmöglich. Nicht zuletzt fehlen ihr Vorbilder, andere Frauen, die es geschafft haben.
An der Sibelius-Akademie, an der sie sich nach der Schule für ein Kompositionsstudium bewirbt, lehnt man sie ab. Begründung: Sie sei ein hübsches Mädchen und werde sowieso bald heiraten. Das Studium sei reine Zeitverschwendung. Du bist halt eine Frau, hört Saariaho, als die Professoren sie ablehnen. Du bist halt eine Frau, hört sie aber auch, als sie ihren Durchbruch feiert und die Kollegen neidisch sind. Patriarchat at its best. All das hat Saariaho nicht davon abhalten können, Komponistin zu werden, zu sein und zu bleiben.
Nach ihrem Geigen-, Klavier- und Malereistudium in Helsinki studiert sie in Freiburg bei Brian Ferneyhough und Klaus Huber Komposition. Anfang der 1980er Jahre zieht sie nach Paris und landet am IRCAM. Dort beginnt sie ihre glitzrigen Klanglandschaften zu bauen, mischt elektronische und akustische Klänge, experimentiert mit Computerprogrammen. In Paris findet sie nicht nur musikalisch, sondern auch privat und persönlich eine neue Heimat. Eine Vielzahl ihrer über hundert Werke für unterschiedlichste Besetzungen schreibt die Finnin hier.
Anlässlich ihres Todes widmet BR-KLASSIK der finnischen Komponistin Kaija Saariaho die Sendung "Konzertabend" am 5. Juni 2023 ab 20:05 Uhr.
Spätestens im Jahr 2000 wird der Name Saariaho dann auch einem breiteren Publikum bekannt. Ihre Debütoper L'Amour de loin feiert bei den Salzburger Festspielen unter der Regie von Peter Sellars eine umjubelte Premiere.
Kaija Saariaho | Bildquelle: © Priska Ketterer Saariahos Mantra lautet: korvat auki, Ohren auf. In den 1970er Jahren hatte sie mit Gleichgesinnten in Helsinki eine Gruppe dieses Namens gegründet, um damit ein Zeichen zu setzen. Als Plädoyer für Veranstalter und Zuhörerinnen gleichermaßen, sich auf eine größere musikalische Vielfalt einzulassen. Das ist immer noch ein guter Rat – und Kaija Saariahos traumwandlerische Musik dafür ein hervorragender Anfang. Kaum eine zeitgenössische Komponistin wird heute so oft gespielt wie Saariaho. Ihre Opern werden an den renommiertesten Häusern aufgeführt, und ihre Orchester- und Kammermusik ist weltweit zu hören. Zahlreiche Preise hat Saariaho abgeräumt (u.a. Kranichsteiner-Musikpreis, Grammy, Goldener Löwe).
Saariaho führt ein erfülltes Komponistinnenleben, in dem Klangfarbe, Unkonventionalität und Neugierde den Ton angeben. Im Februar 2021 wird bei ihr ein Glioblastom diagnostiziert, ein bösartiger und unheilbarer Hirntumor. Das teilt ihre Familie jetzt in einem Post auf ihrer Facebook-Seite mit. Die wachsenden Tumore hätten ihre kognitiven Leistungen erst in dem Endstadium ihrer Krankheit beeinträchtigt. Demnach hatte sich Saariaho im Pariser Krankenhaus Pitié-Salpêtrière einer experimentellen Behandlung unterzogen. Geheilt werden kann die Krankheit jedoch nicht. Am 2. Juni 2023 ist Kaija Saariaho im Alter von 70 Jahren gestorben.
Sendung: "Piazza" am 3. Juni 2023 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Samstag, 03.Juni, 12:05 Uhr
kdm
... ist gestorben.
"Sie war eine der meistgespielten Komponistinnen unserer Zeit. "
Der eingeschränkte Superlativ ... sowie "eine/r der" wird immer benutzt wenn ein angeblich "bekannter" Name weitgehend unbekannt war und ist.