Ligeti, Strawinsky und Firsova stehen für das kommende Konzert des Symphonierorchster des Bayerischen Rundfunk auf dem Programm. Die russische Komponistin Elena Firsova hat ihr Klavierkonzert 2020 vollendet und es ist wie kaum ein anderes Werk mit ihrem Leben und tragischen Ereignissen verbunden. Ein Klavierstück über den Tod.
Bildquelle: Milagro Elstak
"Die gerettete Welt" nennt die russische Komponistin Elena Firsova ihr Klavierkonzert op. 175. Sie schrieb es für Yefim Bronfman, 2022 wurde es uraufgeführt. Im Gespräch mit BR-KLASSIK erzählt die 73-jährige Komponistin, dass es untrennbar mit ihrem Mann verbunden ist. Entstanden ist das Konzert 2020, also mitten in der Pandemie: Firsovas Mann, der russische Komponist Dmitri Smirnow, bekommt eine Corona-Infektion und stirbt. Ein Schock, wie Elena Firsova erzählt: "Wir waren 48 Jahre verheiratet, ich habe nicht nur meinen Mann verloren, sondern auch meinen Kollegen im Bereich der zeitgenössischen Musik. Wir haben uns immer gegenseitig beraten und ausgetauscht."
Mein Mann war mein Zentrum und meine Heimat, das habe ich verloren.
Für die Komponistin zeitgenössischer Musik ist ein Klavierkonzert, wie sie sagt, der Zwilling ihres Doppelkonzert für Violine und Cello. "In dem Stück geht es um den Tod. Wie sterben wir? Und warum? Dafür hab mir drei Noten aus einem Streichquartett von Beethoven ausgesucht."
Beethoven schreibt im vierten Satz, dem Grave, in seinem 16. Streichquartett: "Muss es sein? Es muss sein", und verton diese existenziellen Fragen mit zwei Akkorden. Dies war die Inspiration von Firsova, die den Faden weiterspinnt: "Und irgendwie waren dadurch schon zwei Instrumente vorgesehen. Ich spiele Violine, mein Mann Cello. Und das Cello stirbt zuerst. Als ich das Klavierkonzert geschrieben habe, ist mir gar nicht aufgefallen, dass ich unbewusst dieselben drei Noten verwendet habe. Aber sie entwickeln sich anders. Und als ich gemerkt habe, dass es wieder diese Noten sind, war ich dann doch überrascht, wie anders es war. Obwohl es auf demselben Motiv beruht." Mit diesen Worten erinnert sich die 73-Jährige an den Weg ihres Schreibens, das ihr ein Halt ist. Nach dem Tod ihres Mannes habe sie jeden Tag komponiert, das sei ihre Rettung gewesen.
Geboren wurde die Komponistin in St. Petersburg, als Tochter zweier Physiker. Die Eltern waren also keineswegs Musiker. Der Vater auch skeptisch, dass die Tochter schon früh beschlossen hatte, Komponistin zu werden. Mit 11 Jahren informierte sie ihre Eltern darüber. Für Firsova hatte Musik diesen unbeschreiblichen Zauber, der ihr schon als Kind half: "Ich war häufig krank, nicht wirklich schlimm, meistens nur eine Erkältung oder Bauchweh oder so. Aber ich war gerne krank, weil dann musste ich nicht zur Schule – ich hatte wirklich furchtbare, hysterische, sehr unfreundliche Lehrer und ich hatte immer Angst vor der Schule. An irgendeinem Sonntag war klar, dass ich tags drauf aber endlich wieder zur Schule musste. Ich war also traurig und sah im Fernsehen einen Film mit einem Dreispänner, Troika genannt, der mich auch traurig machte. Und als meine Mutter kurz was einkaufen ging, setzte ich mich ans Klavier und spielte los, ohne nachzudenken. Daraus wurde dann mein erstes Stück, das ich Troika nannte, und das Pferdetraben in Musik übersetzt."
Sie studiert Musik in Moskau und emigriert in den Westen, nach England, wo sie seit 1991 lebt. Es habe an der Anerkennung in Russland gefehlt. Schon im Konservatorium galt sie als avantgardistisch, weil sie sich an der Wiener Schule orientierte, vor allem an Anton Webern. "Ich bekam zwar gute Noten beim Abschluss, aber es war nicht einhellig. Die alten Professoren wollten mich lieber durchfallen lassen. Es war die Zeit, in der einzig Schostakowitsch und Prokofjew als Vorbild anerkannt waren – alles, was auch nur ein bisschen anders klang, war suspekt."
Ich bin einfach glücklich, wenn ich komponiere. Und außerdem mag ich keine Physik.
Als die Einladung für sie und ihren Mann Dmitri Smirnow vom WDR-Festival kam, wurden sie in der Sowjetunion geächtet. Die Kompositionen wurden nicht mehr in ihrer Heimat gespielt, dafür mehr und mehr im Westen. Als Auslandreisen erlaubt waren, sei sie irgendwann mit ihren Kindern nach einem Festival in London geblieben: "Mein Mann und ich wussten irgendwie, dass in Russland nichts mehr gut werden würde, vor allem dachten wir, dass es besser ist für unsere Kinder, im Westen aufzuwachsen".
Der Erfolg gibt ihr recht. Heute Abend erklingt also erstmals "Die gerettete Welt" in München im Herkulessaal. Vermutlich wird die Komponistin dabei an ihren Mann denken und dennoch an die Überschrift unter der sie ihre Werke sieht – gerade in Zeiten wie diesen: "Schönheit wird die Welt retten."
Radiotipp: Live-Übertragung des Konzerts am Freitag 28.04.2023 um 20.05 Uhr
Dazwischen "PausenZeichen": Julia Schölzel im Gespräch mit Dirigent Pablo Heras-Casado
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