Eine Krebsdiagnose ist ein großer Einschnitt. So erlebte es auch der Musiker Henry Schneider. Doch seine Krankenhausaufenthalte wurden für den ehemaligen Bratschisten des Gewandhausorchester Leipzig auch zur Inspiration. In welchem Rhythmus klopft ein EKG? Und kann ein OP-Roboter Geige spielen? Henry Schneider brachte seine Eindrücke in einem Konzert in Dresden auf die Bühne.
Bildquelle: Bettina Mittelstraß
Felizitas La Rosée steht kurz vor dem Abschluss ihres Medizinstudiums in Dresden. Derzeit arbeitet sie als studentische Hilfskraft in einem Operationssaal, der am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen in Dresden für modernste Forschung eingerichtet ist. Doch ihr Patient ist heute ausnahmsweise ein Cello. Die Studentin bedient die Greifarme des Operationsroboters und zupft an den Saiten. Und dieser Rhythmus gibt auf einer zugeschalteten Konzertbühne den Takt für eine Handvoll Musiker*innen an. "Takte gegen Krebs" heißt die Reihe, in der das Konzert mit den OP-Geräten stattfindet. "Wenn man im OP ist, die ganzen Geräusche, auf irgendwie eine Weise sind die auch Musik“, erklärt Felizitas La Rosée, oder zumindest würden die irgendwie eine Art Rhythmus vorgeben. "Das wird auch in dem Konzert einige Male gezeigt, und die Verbindung finde ich total spannend", so La Rosée weiter.
OP-Geräte und ihre Sounds zu Musikinstrumenten zu machen – so etwas entspringt dem Einfallsreichtum von Henry Schneider. Er hat 40 Jahre am Leipziger Gewandhaus Bratsche gespielt und ist der kreative Kopf der skurrilen "Stelzenfestspiele bei Reuth" – wo seit 30 Jahren unter anderem mit Landmaschinen klassische Musik gemacht wird. Ein Spektakel für tausende Besucher. Seit etwa zwei Jahren ist Henry Schneider aber auch Patient am Uniklinikum Dresden. Eine Krebsdiagnose hat sein Leben zwar auf den Kopf gestellt – aber seine Lebenslust und seine Kreativität seien ungebrochen, findet die Perkussionistin Evi Fillipou: "Was ich schon immer so toll an Henry fand, ist sein Humor." Einfach mit schwarzem Humor, mit der Schwere des Lebens und mit allen Problemen, die dazu gehören zu spielen, das beeindrucke sie.
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Benefizkonzert Takte gegen Krebs 2022
"Wir sagen ja immer: Musik, das sind gespielte Töne von einem Instrument. Das ist Musik. Nur das", erklärt Henry Schneider. Doch für ihn stimmt das so nicht. Denn Stimmungen können auch durch andere Sachen erzeugt werden, nicht nur durch klingende Instrumente. Etwas, was den Bratscher sehr reizt. Und großen Spaß bereitet: "Und das berührt auch das Publikum. Weil sie selber erstaunt sind, dass es funktioniert."
Und so organisiert Henry Schneider mit dem Uniklinikum Dresden ein ungewöhnliches Benefizkonzert. Die Einnahmen werden für den "Lotsendienst" gespendet – Menschen, die Krebspatienten während der Therapien in jeder Hinsicht Orientierung geben. Das Konzert ist eine witzige musikalisch-wissenschaftliche Entdeckungsreise. Mal wird eine Kiste mit Infusionsschläuchen auf einer musizierenden Sackkarre über die Bühne geschoben, begleitet von einer singenden Säge. Dann verbindet sich Schneider mit dem EKG-Gerät, treibt seinen Puls mit den Füßen auf einer Drehorgel an und spielt Trompeten-Geige zum eigenen Herzschlag.
Sein Arzt habe Schneider geraten, sein Leben so einzuteilen, dass er immer Sachen macht, die ihm Spaß machen, weil die Zeit, die er noch habe, vielleicht nicht ewig sei. "Und dieser Satz hat mir eigentlich gut gefallen. Und dieses Konzert, das macht mir richtig Spaß. Ja."
Mehr über diese und andere musikalische Interventionen gegen Krebs hören Sie im Musikfeature "Tumor – Rumor – Humor" von Bettina Mittelstraß. Am Freitag, 20. Mai, 2022, ab 19:05 auf BR-KLASSIK.
Sendung: "Leporello" am 18. Mai 2022 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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