Im Münchner Cuvilliés-Theater gelingt eine sensationelle Aufführung der Oper "Bluthaus" mit Musik von Georg Friedrich Haas und Claudio Monteverdi, in Szene gesetzt von Regisseur Claus Guth. Ein Höhepunkt des neuen Staatsopernfestivals "Ja, Mai".
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Eigentlich könnte das Stück auch "Wuthaus" oder "Muthaus" oder gar "Gluthaus" heißen, doch nennen es der Komponist Georg Friedrich Haas und sein Librettist Händl Klaus nun eben "Bluthaus". Hineingepackt haben die Schöpfer ein komplexes Bündel unterschiedlichster, vorwiegend düsterer Emotionen. Nadja ist das Epizentrum des Grauens: eine hochneurotische, verstörte Frau, die ihr Elternhaus veräußern möchte. Die Eltern sind tot, doch sie wohnen weiter in ihr. Interessenten schauen sich die Zimmer, Fluchten, Räume an, während Nadja fortdauernd von den Stimmen der Verstorbenen heimgesucht wird, vor allem vom Vater, der sie sexuell missbrauchte. Später wird der äußerst schräge Makler (mit knisternd erregtem Counter: Hagen Matzeit) kurzzeitig zum Vaterersatz.
Wie in den virtuosen, messerscharf geschnittenen Szenen und Dialogen von Händl Klaus, bei denen sich oft die Protagonisten ins Wort fallen oder sich Textbruchstücke penibel untereinander aufteilen, so schöpft auch Georg Friedrich Haas aus den Vollen seiner Kunst. Haas' einschlägige orchestrale Klangsprache mit Mikrointervallen, Vierteltönen, zum Klingen und Schwingen gebrachten Obertonreihen verfugt sich oft wunderbar mit mal lauernd grotesken, mal intensiven, 'reinen' Schmerzenskantilenen, die Vera-Lotte Boecker als Nadja zum Glühen bringt. Wie sie manche Höhe mit ebenso sinnlichem wie kraftvollstem Schmerz-Schmelz singt, ist phänomenal.
Bo Skovhus zeichnet als Vater einmal mehr ein geniales Portrait – vokal wie gestisch – eines abgründigen Monsters. Aufregend und böse agieren drei (im Programmheft leider namentlich nicht genannte) Solisten des Tölzer Knabenchors, die unheimlich durch die Szenerie schreiten und fast schreien. Toll Steffen Höld als Herr Hubacher, der mit Dr. Strickner (Thomas Huber) ein neues (Alters-)Heim sucht – sowie eine ganze Reihe weiterer Figuren.
Regisseur Claus Guth hat "Bluthaus" an der Bayerischen Staatsoper inszeniert. | Bildquelle: Monika Rittershaus Einziger Kritikpunkt: Die überdrehten, Vaudeville-artigen Passagen geraten Haas und auch Händl Klaus vielleicht zehn Minuten zu lang. Wobei Regisseur Claus Guth in seinem von Etienne Pluss gestaltetem Vivarium grauweiß hier sichtbar Spaß am Auf-die-Pauke-Hauen hat. Ansonsten ist das alles allerfeinstes Psychotheater. Videos von "rocafilm" erweitern die Szenerie und verengen, ja konzentrieren sie zugleich. Ein weißer Vorhang bewegt sich – und doch ahnt man die stickige Luft dahinter. Selbst der Wasserspender spielt eine (farbliche) Rolle und glost am Ende in wütendem Rot.
Dirgent Titus Engel erfüllt mit dem mittelgroß besetzten Bayerischen Staatsorchester alle Haas'schen Forderungen und nimmt sämtliche Hürden der Partitur. Nur bei Monteverdi dachte man anfangs: Hat Haas da Dissonanzen hineinkopiert oder musste man doch noch ein wenig Intonation üben? Letzteres war der Fall. Aber wieso Monteverdi? Weil, dies ist der Clou des Ganzen, anfangs und am Ende noch Klageklänge des Urmeisters des Musiktheaters stehen. Da trauert etwa eine Nymphe über ihr Schicksal, Claus Guth bettet diese Situation in eine Befragung Nadjas ein, die – vermutlich einem Psychologen oder Polizisten – Auskunft über sich geben soll.
Dieses glückhaft geniale "Bluthaus" steht im Zentrum eines ganzen Festivals rund um Händl Klaus und Haas. Im Brainlab des kunstsinnigen Münchner Unternehmers Stefan Vilsmeier gab es bereits ein wunderbares Konzert und eine politisch prägnante Rede von Haas. Händl Klaus war ein (in doppeltem Wortsinn) toller Gesprächspartner im Wernicke-Saal der Staatsoper. In den kommenden Tagen gibt es neben weiteren "Bluthaus"-Aufführungen noch das Musiktheater "Thomas", in dem sich Haas und Händl Klaus dem Sterbeprozess eines Todgeweihten und seinem damit ringenden Partner widmen. Das ganze Festival lebt übrigens auch von einer Kooperation der Staatsoper mit dem Volkstheater oder dem Residenztheater, ein Kraftzentrum der Küste mitten im Wonnemonat, der eben auch seine dunkleren Seiten hat.
Sendung: "Leporello" am 23. Mai 2022 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Dienstag, 24.Mai, 00:01 Uhr
JG
Dissonanzen
Lieber Autor!
Ja - im Monteverdi waren Dissonanzen - also kein Drück- oder Spielfehler. Es war doch mehrmals deutlich zu hören...