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Kritik - "Lakmé" in Coburg Bollywood und Blauhelme

Dieser Orient klingt verlockend, aber auf dem Bazar tummeln sich Taschendiebe, in den Tempeln hausen Hassprediger und auf der Straße schießen Blauhelmsoldaten mordgierige Fundamentalisten zusammen. Kein Wunder, dass in dieser aggressiven Gegend die Liebe keine Chance hat, schon gar nicht die zwischen einem englischen Besatzungssoldaten und einer hinduistischen Priesterin. Insofern stimmt die Coburger Inszenierung der selten gespielten Oper "Lakmé" von Léo Delibes nicht gerade zuversichtlich - jetzt, wo zwischen Morgenland und Abendland bekanntlich eine ziemlich gereizte Atmosphäre herrscht.

Bildquelle: © Andrea Kremper

Der belgische Regisseur François  de Carpentries versuchte gar nicht erst, die religiösen und moralischen Abgründe, die sich zwischen West und Ost auftun, mit Kitsch zuzukleistern. Die Liebe steht in den Zeiten des Krieges eben unter keinem guten Stern. Als "Lakmé" uraufgeführt wurde, 1883 in Paris, feierte Europa seine Kolonien, begeisterte sich für exotisches Dekor, aber eine Hochzeit zwischen einem Europäer und einer Inderin war natürlich damals völlig ausgeschlossen. Deshalb ließ Komponist Leo Délibes seine titelgebende Hindu-Priesterin Lakmé am Ende auch aufopferungsvoll sterben, während ihr britischer Soldat Gérald zu Pflicht und Vaterland zurückfindet.

Gouvernante zwischen Totenköpfen

Das alles heute noch einigermaßen erträglich auf die Bühne zu bringen, ist schwer genug. François de Carpentries fand in Coburg jedoch optisch genau die richtige Balance zwischen Bollywood, Kamasutra, dem "Tiger von Eschnapur" und einem UNO-Einsatz. Es war herrlich unterhaltsam, dem spielfreudigen Chor beim farbenprächtigen Tempeltanz zuzusehen, eine englische Gouvernante beim geruhsamen Teetrinken zwischen lauter hinduistischen Totenköpfen zu beobachten und dabei zu sein, wie rücksichtlose Touristen an heiligen Orten die Kamera zücken, den Bikini freilegen und ein Sonnenbad nehmen.

Poesie ohne Kitsch

Ausstatter Andreas Becker hatte einen drehbaren, spärlich beleuchteten Andachtsort aus Holz-Ornamenten gebaut, wie sie von den Hausfassaden und Innenhöfen nahöstlicher Länder bekannt sind. Was hinter den reich verzierten Läden und Türen geschieht, lässt sich nur erahnen; diese Schattenwelt wirkt halb bedrohlich, halb verheißungsvoll. Die Bildwirkung ist großartig, voller augenzwinkernder Poesie, nie süßlich kitschig. Bizarre Liebesszenen aus Bollywood-Filmen werden eingespielt, Paare vor Wasserfall, Gletscher, Regenbogen - unwirklich und absurd für westliche Zuschauer. Die sehr jugendlichen Blauhelmsoldaten in ihrer sandfarbenen Arbeitskluft sind in dieser Kulisse überdeutlich fehl am Platz, Fremdkörper, Eindringlinge. Entsprechend behutsam gehen sie vor: Sogar die Blumen sollen in Indien ja teilweise tödlich sein, wird geraunt. Der Brahmanische Priester und Hetzer Nilakantha, Vater von Lakmé, sinnt unentwegt auf Rache, und er bekommt sie. So wurde aus der eigentlich unspielbaren "Lakmé" eine knapp dreistündige, anspielungsreiche Revue über Europas kolonialen Triebhaushalt, über seine exotischen Sehnsüchte und irrationalen Ängste, die sich leider noch lange nicht erledigt haben - so überheblich und ignorant, wie sich viele Reisende in der sogenannten zweiten und dritten Welt aufführen.

Zwischen Kopf und Herz

Mit traditioneller indischer Musik hat "Lakmé" nicht viel zu tun. Gleichwohl betören die orientalisierenden Melodien, die wiegenden Rhythmen, die an Schlangenbeschwörung und Verführung erinnern. Dirigent Alexander Merzyn gelang es mit den Coburger Philharmonikern wunderbar, zwischen Ironie und Romantik, zwischen Kopf und Herz hin und her zu pendeln. Die serbische Sopranistin Ana Cvetkovic-Stojnic war eine anrührende Lakmé, die ihre berühmte "Glöckchenarie" und das ebenso populäre "Blumenduett" mehr als achtbar bewältigte. Milen Bozhkov hätte als ihr Liebhaber Gérald schauspielerisch noch etwas impulsiver sein dürfen. Statisten und Tänzer waren vom Choreographen Daniel Cimpean bestens ins Geschehen eingebunden. Um es mit dem Wort eines begeisterten, sehr betagten Zuschauers mit Hörgerät zusammenzufassen: Diese Lakmé war ein "Hammer".

"Lakmé" am Landestheater Coburg

Musikalische Leitung: Alexander Merzyn
Inszenierung: François  de Carpentries
Choreografie: Daniel Cimpean
Bühnenbild: Andreas Becker

Mit Ana Cvetkovic-Stojnic (Lakmé), Milen Bozhkov (Gérald) und weiteren

Premiere: 8. Mai 2016
Weitere Termine: 13., 20., 22. und 26. Mai; 2., 11. 22. und 29. Juni; 12. Juli 2016 (ohne Gewähr)

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