Vor über zwanzig Jahren zeigten die Salzburger Festspiele eine szenische Version von "Fausts Verdammnis – La damnation de Faust" von Hector Berlioz: Die katalanische Truppe La Fura dels Baus sorgte für ein raffiniertes Multimediaspektakel. In diesem Jahr sollte es nun in Salzburg eine konzertante Aufführung sein. Das ist bei dieser Komposition von 1846, die Bühnenaktionen musikalisch "nur" imaginiert, eine stets willkommene Alternative. Am 22. August 2021 machten sich im Großen Festspielhaus die Wiener Philharmoniker unter der Leitung des Pariser Dirigenten Alain Altinoglu ans Werk.
Bildquelle: Holger Hage
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Oper oder nicht Oper – ist das hier die Frage? "Fausts Verdammnis / La damnation de Faust" war für den visionär veranlagten Komponisten Hector Berlioz ein Experiment von eminenter Bedeutung, als ginge es um Sein oder Nichtsein. Wie könnte es nur gelingen, die ohnehin große Wirkung von Oper und Sinfonie zu steigern? Vielleicht durch Vereinigung der beiden Genres in Gestalt einer "Konzertoper"? Die singuläre Bezeichnung, die Berlioz fand, war "dramatische Legende – Légende dramatique".
In Salzburg machte der amerikanische Tenor Charles Castronovo durch stimmlichen Überdruck und Heldenpose schon während der ersten Sekunden des Abends klar, dass sich das Publikum fühlen sollte, als wäre es nirgendwo anders als – in der Oper. Dort begegnet man traditionell heroischen Wesen, und eine solche Attitüde wurde in diesem Fall unpassenderweise auch dem "ennui" des von Langeweile und Überdruss durchdrungenen Menschen namens Faust aufgepfropft.
Gedankenlosigkeit oder Inkonsequenz bei der Umsetzung musste man später dem französischen Dirigenten Alain Altinoglu vorwerfen. Irgendetwas hielt ihn davon ab, sich auf die infernalischen Schreckensmomente des Pandämoniums mit Haut und Haar einzulassen. Ausgerechnet für die dort progressive Angriffstaktik des Komponisten, der punktuell einen vor-dadaistischen Text als "Höllensprache" vertonte, beschränkte sich Altinoglu auf Koordination, ohne dem Orchester den letzten Biss abzuverlangen. Auch zuvor schon sollten die Violinbögen der Wiener Philharmoniker nicht wirklich auf den Nervensträngen der Hörerschaft spielen.
Der baschkirische Bassist Ildar Abdrazakov in der Rolle des "Méphistophèles" | Bildquelle: © Sergey Misenko Sogar Méphistophélès, der baschkirische Bassist Ildar Abdrazakov, bevorzugte für seinen satanischen Budenzauber weitgehend das vokale Gewand eines kumpelhaften Strippenziehers – ohne sarkastische Farbgebung. Erst nach einigem Anlauf bot er auch Einblick in die schwarzen Abgründe seiner Rolle. Der größte Lichtblick? Elīna Garanča! Die lettische Königin unter den Mezzosopranistinnen von heute sorgte im richtigen Moment für Verzauberung. Die vom Englischhorn so sehnsuchtsvoll mitgestaltete Romanze der Marguerite im letzten Bild sang die Garanča mit betörend sinnlichen Facetten. Sie ließ ihre Samtstimme sozusagen innerlich glühen und entfaltete ihre ganze Magie.
Am Ende drängte sich dann doch noch eine andere Frage auf. Was wollte Berlioz nur mit den fantasie- und lustlos wirkenden himmlischen Chören für die Verklärung Marguerites? Meinte er die etwa ernst – oder doch ironisch? Es schoss einem der Gedanke in den Kopf, dass diese "Damnation de Faust" im Ganzen eigentlich konsequenter und stimmiger wäre, wenn dem ambitionierten Höllenritt auf der Zielgeraden einfach nur nichts folgen würde. Man könnte die Verklärung demnächst vielleicht mal vorziehen und direkt der Romanze folgen lassen – warum nicht? Auch und gerade in der Salzburger Aufführung jedenfalls ließ einen die Doppelbödigkeit der angeblichen Apotheose noch lange grübeln. Man meinte inmitten der Engelscharen Méphistophélès auf der Lauer liegen zu sehen – wie er mit einem Grinsen im Gesicht nach seinem nächsten Opfer Ausschau hält.
Sendung: "Leporello" am 23. August 2021 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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