Die Amerikanerin Lydia Steier ist eine der profiliertesten und erfolgreichsten Opernregisseurinnen der jüngeren Generation. Gerade ist sie im Richard-Strauss-Fieber: Im Oktober hat sie in Paris eine spannende "Salome" herausgebracht. Im April eröffnet ihre Neuproduktion der "Frau ohne Schatten" die Osterfestspiele Baden-Baden. Und jetzt am Samstag hatte ihr "Rosenkavalier" Premiere am Luzerner Theater. Dort ist Lydia Steier Operndirektorin.
Bildquelle: Ingo Hoehn
Zu den schmissigen Anfangstakten von Richard Strauss' "Rosenkavalier" lupft Mariandl den Vorhang – es ist die kleinwüchsige Valérie Junker im Rokoko-Kleid mit üppiger Lockenperücke, die Zigarette rauchend mit uns im Publikum kokettiert. Sie ist die Spielmacherin in Lydia Steiers neuer Luzerner Produktion, die von Beginn an auf Desillusionierung angelegt ist. Zwar hat ihr Blake David Palmer eine große schwarze Treppe auf die Bühne gewuchtet, dahinter wird manchmal ein historisches Landschaftsgemälde sichtbar, im Vordergrund ein Pool, in dem sich Octavian und die Marschallin verliebt räkeln.
Octavian (Solenn' Lavanant Linke) und Sophie (Tania Lorenzo Castro) im Pool, Mariandl (Valerie Junker), Marschallin (Eyrún Unnarsdóttir) | Bildquelle: Ingo Hoehn Zugleich sehen wir immer wieder Menschen, die normalerweise nicht in Erscheinung treten, aber für das Theater unerlässlich sind: Bühnenarbeiter, Beleuchter, bei der Morgentoilette der Marschallin eine Garderobiere, eine Friseuse, eine Modistin. Lydia Steier zeigt mit ihrer Inszenierung auch, wie Theater gemacht wird. Hier schon, beim berühmten Sinnieren über die Zeit und die Endlichkeit, beeindruckt die Isländerin Eyrún Unnarsdóttir mit ihrem kostbaren Timbre, mit ihrer geschmeidigen Stimmführung und ihrer textgenauen Gestaltungskraft. Und die französisch-deutsche Mezzosopranistin Solenn‘ Lavanant Linke, eine hinreißend virile Erscheinung, ist ihr stimmlich und schauspielerisch absolut ebenbürtig.
Selten wurde im "Rosenkavalier" so deutlich, dass diese Oper zwar eine krachlederne Komödie ist – in Wahrheit aber eine bittersüße Lektion über das Altern. Steier scheut den Klamauk nicht im zweiten Aufzug, das altbackene Ritual der Rosenüberreichung nimmt sie mit grellem Slapstick auf die Schippe. Und die Jungen proben den Aufstand: Die kesse, quirlige Sophie der blutjungen Spanierin Tania Lorenzo Castro streift das alberne Rokoko-Gewand ab – und steht als heutiges blondes Girlie in T-Shirt, Shorts und Springerstiefeln da. Zusammen mit Octavian nimmt sie den Kampf auf gegen den übergriffigen Ochs, der von Christian Tschelebiew mit derber Grandezza und Wiener Schmäh verkörpert wird. Bis der Leichtverletzte von einem heutigen Notarzt-Team im Rollstuhl abtransportiert wird. Der "Rosenkavalier" als Beitrag zur MeToo-Debatte.
Zwischen Rokoko-Roben und 70er-Jahre-Klamotten | Bildquelle: Ingo Hoehn Die alte Aristokratie hat Kostümbildner Alfred Mayerhofer in opulente Rokoko-Roben gesteckt, die neureichen Faninals in hübsch-hässliche 70er-Jahre-Klamotten – was man damals halt so für elegant hielt. So verschieben sich die Zeitachsen in Lydia Steiers assoziationsreicher Inszenierung. Im relativ konventionell erzählten zweiten Aufzug zeigt sie, wieviel Operette auch im "Rosenkavalier" stecken kann. Aber mit dem dritten Aufzug kommt der radikale Bruch, der Coup des Abends. Auf der nunmehr leeren Bühne, erleuchtet von nackten Glühbirnen, verzichtet Lydia Steier komplett auf den üblichen Mummenschanz. Der Geisterspuk spielt sich allein in den Wahnvorstellungen des Ochs, in seinem Kopf ab. Mariandl streift eine Fetisch-Maske über und macht einen auf Party. Die walzerselige Beisl-Musik kommt völlig verzerrt aus einem Ghettoblaster. Und Octavian packt die Peitsche aus. Ochs lebt seine perversen Obsessionen in der Bondage-Szene aus – Tschelebiew zeigt das mit Mut zu Selbstironie und Entäußerung. Ein grandioses Rollenporträt. Die Orgie eskaliert, "Skandal!" ruft der Chor aus dem Publikum, bis die Polizei einschreitet. Der Lack ist ab, die Demaskierung perfekt. Am Ende neckt sich das junge Paar beim Plantschen im Pool – "Sind halt also, die jungen Leut'!"
Mit ihrer dichten Personenregie leuchtet Lydia Steier tief in die seelischen Abgründe ihrer Protagonisten hinein. Mit dem wunderbar homogenen Frauen-Trio Eyrún Unnarsdótir, Solenn' Lavanant Linke und Tania Lorenzo Castro hat sie allerdings auch jederzeit glaubhafte, umwerfend jugendliche Sänger-Schauspielerinnen aus dem hauseigenen Ensemble zur Verfügung, die jeder Staatsoper zur Ehre gereichen würden. Eine Sensation, zumal alle drei, die 2021 schon als eingeschworenes Trio Gräfin, Cherubino und Susanna in Mozarts "Figaro" begeistert hatten, im "Rosenkavalier" nun ihr Rollendebüt gaben. Allein diese drei Sängerinnen lohnen jede Reise nach Luzern.
Bildquelle: Ingo Hoehn Erstaunlich auch, was der niederländische Gastdirigent Robert Houssart aus dem Luzerner Sinfonieorchester an rhythmischem Swing und Präzision im Detail herausgeholt hat, gerade im vertrackt flirrenden Vorspiel zum dritten Aufzug. Gespielt wurde die leicht gekürzte, von Eberhard Kloke eingerichtete reduzierte Orchesterfassung mit ihren originellen Klavier- und Celesta-Akzenten. Trotzdem klang das Orchester streckenweise viel zu kompakt in dem akustisch ungünstigen, 480 Plätze fassenden Haus, das zudem dringend sanierungsbedürftig ist. Zeit wird es für den längst geplanten, architektonisch markanten Um- bzw. Neubau, über dessen Realisierung – und das heißt vor allem Finanzierung – in einem Volksentscheid 2025 abgestimmt werden soll. Der einhellige Jubel nach diesem "Rosenkavalier" war schon mal ein starkes Votum.
Kommentare (2)
Montag, 23.Januar, 11:32 Uhr
Benno P. Hafner
Rosenkavalier
"Zeit ist ein sonderbares Ding" - wir Recht die Marschallin doch hat! Ein grandioser Rosenkavalier mit wunderbaren Stimmen und einem radikalen Bruch der Verschiebung der Zeiten, vom Rokoko zur Aktualität: Grosses Theater und mit genialen Regieeinfällen! Bravo! Octavian in der Hosenrolle stimmlich und schauspielerisch eine Klasse für sich.
Sonntag, 22.Januar, 23:22 Uhr
Ueli Hunkeler
Rosenkavalier
Ein bisschen viel des Lobes für die Regie ….