Nach wie vor darf Regisseur Kirill Serebennikow seine Heimat Russland nicht verlassen, nachdem er in einem international scharf kritisierten Prozess wegen Veruntreuung von Staatsgeldern verurteilt wurde. Das hindert ihn allerdings nicht, weiterhin an den Großen Häusern in Europa zu inszenieren. Jetzt hat er sein Debüt an der Wiener Staatsoper vorgelegt: Wagners "Parsifal" mit Starbesetzung, darunter Jonas Kaufmann als Titelheld und Elīna Garanča im Rollendebüt als Kundry.
Bildquelle: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Gleich zu Beginn ahnt man, wohin die Reise geht: Während des Vorspiels nimmt ein übergroßes Foto von Parsifal (Jonas Kaufmann) die Leinwand am oberen Bühnenrand ein. Stück für Stück wird näher hineingezoomt, bis nur noch die Augen zu sehen sind. Dann geht die Fahrt wieder zurück, aber ein anderer Mann kommt zum Vorschein. Parsifal in älter und jünger. Dann Vorhang auf: Gitterstäbe, wohin man blickt. Ein trostloses Gefängnis mit Zellen, die links und rechts auf zwei Ebene abgehen, und in der Mitte einen Platz zum Raufen, Hantelheben und Essenfassen bieten. Die Botschaft von Regisseur Serebrennikow ist schnell klar: Die Gralsgemeinschaft wird zu Gefangenen ihrer eigenen Regeln und Rituale. So weit, so altbekannt.
Die Inszenierung in Bildern
Tipp: Die komplette Oper gibt es auf arte.tv im Videostream.
Videoprojektionen mit viel mystischer Parsifal-Symbolik | Bildquelle: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn Ungewohnt aber ist die Art, wie die Geschichte erzählt wird. Nämlich als Rückschau – mit einem stummen Schauspieler, der Parsifal als jungen Haudrauf mimt. So kann Jonas Kaufmann in den ersten beiden Aufzügen als Geläuterter seine Reise Revue passieren lassen, mal abseits der Szene, mal mittendrin, immer aber mit sich (also seinem früheren Ich) hadernd. Das funktioniert erstaunlich gut, weil man auch dann mitgenommen wird, wenn man von all dem religionsphilosophischen Unter- und Überbau keine Ahnung hat. Für Serebrennikow steht das Mitgefühl im Mittelpunkt – durch diese Erzählebene gibt er uns Bilder zur Hand, die das nicht gerade leicht verständliche Libretto plausibler machen. Und das hängt auch (wie so oft bei guten Parsifal-Inszenierungen) mit einer fulminanten Kundry zusammen.
Die ist hier zunächst erfrischenderweise eine Journalistin in beigem Trenchcoat, die als Einzige "von außen" Zugang zu den Verlorenen hat und ihnen immer mal wieder was zusteckt, wenn sie nicht gerade Fotos von deren Tattoos macht. Apropos Tattoos: Parallel zum Bühnengeschehen bespielt Serebrennikow die anfangs erwähnte Leinwand – überwiegend mit Videos in schwarz-weiß von böse oder traurig dreinschauenden Männern (offenbar russischen Gefangenen). Auffallend sind deren wilde Tattoos, die alle irgendwie mit der mystischen Parsifal-Symbolik zu tun haben: Kelch, Kreuz, Lanze. Abgesehen davon, ob es das überhaupt gebraucht hätte, welche vermeintlich versteckten (politischen) Botschaften darin liegen mögen, ist es wie so oft bei Videoarbeiten: weniger wäre mehr gewesen.
Elīna Garanča gibt in Wien ihr Rollendebüt als Kundry. | Bildquelle: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn Nach einer Stunde erschöpfen sich die Bilder und lenken schlimmstenfalls ab. Zum einen von der sängerischen, aber in diesem Fall auch von der schauspielerischen Leistung der Beteiligten. Allen voran von Elīna Garanča, die ein grandioses Rollendebüt hinlegt und eine zutiefst menschelnde Kundry gibt. Hier ein Wimpernzucken, dort ein kurzes Innehalten, hier ein Abtasten, dort ein Gehenlassen. Garanča spielt ihre verschiedenen Rollen oscarreif, durchlebt eine Wandlung von der Klatschfotografin im ersten über die vermeintlich gefühlskalte Business-Frau im zweiten hin zur zerfahrenen Bettlerin im letzten Aufzug. Elīna Garanča legt das alles in ihre warm ausbalancierte Stimme, die ihr mühelos folgt in alle Lagen, dramatisch in der Höhe wie brodelnd-fokussiert in der Tiefe.
Da kann ihr Jonas Kaufmann in der Titelrolle nur bedingt das Wasser reichen – stimmlich hat er zwar keine Mühe mit der Partie, glänzt wie gewohnt durch Kraft oder Mezza-Voce. Darstellerisch bleibt er überwiegend an der Oberfläche altbekannter Operngestik. Die Latte der Textverständlichkeit legt (einmal mehr) Georg Zeppenfeld am höchsten. Als souveräner Gurnemanz mit seinem weit ausholenden, sehr schmiegsamen und nicht zu dunklen Bass beweist er ein feines Gespür für mimische Details. Die kennt auch Wolfgang Koch bestens als altbewährt durchschlagskräftiger Klingsor, der als schmieriger Medienmogul im schnöden Büroraum daherkommt – was den düsteren Gefängnis-Ecksätzen ein schönes Gegenlicht schenkt. Ludovic Tezier kann als Amfortas ruhig noch an Klarheit und Atem gewinnen, sein Rollendebüt ist jedoch allemal gelungen.
Der Dirigent Philipp Jordan geht die Partitur insgesamt sehr schnell an, nur vier Stunden dauert sein "Parsifal", was aber nicht negativ auffällt. Eher schon missfallen die Dynamik-Schattierungen, der manchmal zu dick aufgetragene Pinsel – wobei das Urteil nur bedingt zulässig ist bei einem Stream über mittelprächtige Boxen und einer voraufgezeichneten und gegebenenfalls vom Tonmeister noch abgemischten Premiere.
Sendung: "Allegro" am 18. April 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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