In Hans Werner Henzes blutiger Tragödie steht der Konflikt zwischen Exzess und Kontrolle im Zentrum. Rund 200 Mitwirkende brachten dieses monumentale Werk an der Komischen Oper Berlin auf die Bühne. Das dionysische Riesenwerk von 1966 wurde im gesamten Saal gespielt und auf den Stufen eines griechischen Amphitheaters. Der Jubel für Dirigent Vladimir Jurowski und Regisseur Barrie Kosky war groß.
Bildquelle: © Monika Rittershaus/Komische Oper Berlin
Ordnung muss sein, macht aber selten glücklich. Beim Rausch ist es bekanntlich umgekehrt: Muss nicht sein, ist aber meist ein Genuss. Dazwischen spielt sich das Leben ab, und manchmal sogar eine Oper, wie in den "Bassariden" von Hans Werner Henze. Er lässt den vorbildlichen, pflichtbewussten und aufgeklärten, aber auch etwas spießigen König von Theben, Pentheus, auf den wilden, rachedurstigen Dionysus treffen, den Gott der Sinnlichkeit, der Ekstase, der Trunkenheit. Einer von beiden ist am Ende tot.
Für Regisseure ein schwieriger, aber auch dankbarer Stoff, denn es geht einerseits um die Frage, wie der einzelne Mensch die rechte Balance hält zwischen Trieb und Vernunft, andererseits, wie ganze Staaten damit zurechtkommen. Hans Werner Henze komponierte die Oper Mitte der sechziger Jahre, als Deutschland noch ziemlich konservativ war, aber die Studentenunruhen nicht mehr weit waren. Die "Bassariden" sind also eine Art Wetterleuchten vor der großen Rebellion, und sie zielen natürlich auch auf die NS-Zeit, als Deutschland die Vernunft vollständig aufgegeben hatte und sich in der Raserei des Faschismus verlor: So gesehen der brutalste aller Dionysus-Kulte. Schon im antiken Griechenland plagten sich die Bürger mit diesem zutiefst menschlichen Grundkonflikt zwischen Disziplin und Tollheit. Euripides machte aus den "Bassariden", den Anhängern des Dionysos mit dem vielsagenden Beinamen Bacchus, eine Tragödie, wobei Bacchus übersetzt nichts anderes als der "Rufer" heißt, eine Anspielung auf den Lärm, den seine Fans auf den Straßen veranstalteten.
Bildquelle: © Monika Rittershaus/Komische Oper Berlin Leise sind die "Bassariden" übrigens auch nicht gerade. Auf der Bühne der Komischen Oper Berlin waren rund 200 Mitwirkende im Einsatz. Regisseur Barrie Kosky und seine Ausstatterin Katrin Lea Tag hatten eine Art antikes Theater entworfen, ein angedeutetes Halbrund mit Stufen. Da baute sich der Chor auf, der ja in der Antike gewöhnlich wortreich die Handlung kommentierte und auch in der Oper jede Menge zu tun hat. Auch Teile des Orchesters wurden auf der Bühne und im Saal untergebracht, der Graben war völlig überfüllt, der Aufwand enorm. Das erinnerte zeitweise an Inszenierungen von Fritz Lang, der in seinen Filmen ja gern Menschenmassen eine Treppe hochjagte und ließ in den Tanzszenen Assoziationen an Bollywood-Schmonzetten aufkommen. Dies umso mehr, als der amerikanische Tenor Sean Panikkar den Dionysus spielte, ein Sänger, dessen Eltern aus Sri Lanka stammen.
Sean Panikkar sang nicht nur auftrumpfend, er tanzte auch leidlich gut, eben wie einer der umschwärmten Filmstars aus dem indischen Kino. Diese Exotik war natürlich voll beabsichtigt, zumal der Gegenpart, König Pentheus, vom eher schmächtigen und bleichgesichtigen, aber stimmlich herausragenden Günter Papendell verkörpert wurde. So duellierten sich zwei auch äußerlich völlig unterschiedliche Charaktere, und dass sie am Ende einen leidenschaftlichen Kuss austauschten, war nur folgerichtig.
Der sonst so kontrollierte Machtmensch Pentheus lässt für einen Moment seine Haltung fahren, Dionysus vergisst sich und seine Vernichtungsfantasien ebenfalls. Ein starke Szene. Ein Happy End gab es trotzdem nicht: Pentheus wird von seiner eigenen, umnachteten Mutter in Stücke gerissen, Dionysus siegt. Der Chor begleitete das Drama mit bewundernswerter Energie und Präsenz, die Tänzer steuerten das unvermeidliche Bacchanal bei, rasant choreographiert von Otto Pichler.
Bildquelle: © Monika Rittershaus/Komische Oper Berlin Dirigent Vladimir Jurowski hatte alle Hände voll zu tun, diesen Riesen-Apparat zu koordinieren, was selbst einem Opernprofi wie ihm nicht leicht gefallen sein dürfte. Er badete förmlich im ungeheuren Radau, den Henze in seiner Partitur entfesselt. Das klang nach Strauss und Wagner, aber auch nach Agentenfilmen der sechziger Jahre. Der völlig undogmatische Henze wollte immer gut unterhalten, und obwohl er Strauss wie Wagner nicht schätzte, schaute er sich von ihnen die theatralische Wirksamkeit ab, komponierte auf den Effekt.
Sänger und Musiker bespielten den gesamten Zuschauerraum, der durchgehend geradezu apollinisch hell war. Apoll war ja mit seiner gleißenden Erscheinung der Sonnengott der Griechen - vermutlich wollte Kosky darauf anspielen, dass in der Antike grundsätzlich tagsüber gespielt wurde. Erst ganz am Ende, als Dionysus triumphiert, wurde das Licht gedimmt. Zum Untergang der Vernunft brach konsequenterweise die Dunkelheit herein. Es ehrt die Komische Oper Berlin, dass sie so einen Aufwand treibt für ein derart schwer verkäufliches und für viele wohl auch unverständliches Stück. Es sind auch nur sechs weitere Vorstellungen geplant, aber gelohnt hat es sich auf jeden Fall, wie der begeisterte Beifall zeigte - und sei es nur, um vor Dionysus zu warnen. Das Nippen kann schon zuviel sein!
Informationen zu Terminen, Besetzung und Vorverkauf erhalten Sie auf der Website der Komischen Oper Berlin.
Sendung: "Leporello" am 14. Oktober 2019 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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