"Tristan und Isolde" – zu Wagners Lebzeiten galt das Werk als unaufführbar. Noch heute sprengt es alle Grenzen. Auch für die großen Opernhäuser wie Berlin, Stuttgart oder München ist das Epos eine Herausforderung – aber wie gelingt es einem kleineren Haus wie dem Staatstheater Cottbus?
Bildquelle: Marlies Kross
Eine uralte Frage: Gibt es sie eigentlich, die unendliche Liebe? Diese Leidenschaft, die Raum und Zeit überwindet? Diese Seligkeit, zu verschmelzen und zwei Seelen in Ewigkeit miteinander schwingen zu lassen? Das moderne Regietheater, so der Eindruck, ist skeptisch. Da wird Tristan zur Todesoper oder gar ins Pflegeheim verlegt. Überraschung Nr. 1 dieser Inszenierung: Regisseur Stephan Märki glaubt an die große Liebe. Der Intendant des Staatstheaters verlegt die Story um den Helden Tristan und die irische Maid Isolde gemeinsam mit seinem Bühnenbildner Philipp Fürhofer ins Weltall. Das Raumschiff, mit seinen Formen der abgerundeten großen Fenster eingepasst in die Jugendstilarchitektur des Hauses, gleitet durch die Sternennacht. Es schwebt losgelöst von den Mühen des Tagwerks durch Milchstraßen, an funkelnden Sternen vorbei, die rasch verlöschen. Kein billiger Anklang an Star Wars oder Raumschiff Enterprise stört den Liebeszauber, den Tristan und Isolde entfachen.
Damit sind wir bei Überraschung Nr. 2. Sie lieben einander ohne alle Verfremdung. Isolde hat diese Partie bereits in Bayreuth gesungen. Welch ein Unterschied. Stand Catherine Foster auf der Festspielbühne meist im weißen Hemdchen herum mit radikal unerotischer roter Topfschnittfrisur, erscheint die britische Sopranistin hier als geheimnisvolles Märchenwesen, das spielt und liebt und wütet und leidet – und das alles endlich textverständlich, die gesamten viereinhalb Stunden hinreißend warm im kraftvollen Ton.
Szene aus Wagners "Tristan und Isolde" am Staatstheater Cottbus | Bildquelle: Marlies Kross An ihrer Seite der amerikanische Tenor Bryan Register mit wunderschönem Timbre, das bei dieser Killerpartie hin und wieder an seine Grenzen gerät, aber er fängt sich in den monströsen Anstrengungen des dritten Aufzugs. Da sitzt er, tödlich verwundet, im Raumschiff und vor ihm im Weltall droht das große schwarze Loch, wenn er alleine stirbt. Aber Isolde kommt in letzter Minute, und statt zu sterben, nehmen beide einander an den Händen und schreiten, selbst zu Sternen werdend, ins Weltall. Beobachtet von der Liebestrankmischerin und Warnerin Brangäne, der wieder einmal umjubelten Annika Schlicht. Die ehemalige Absolventin des Opernstudios an der Staatsoper Berlin gehört in den Kreis der international gefeierten Wagnerstars. Ebenso wie der russische Bass Dimitry Ivashchenko als König Marke. Marke und Brangäne altern in der Dunkelheit des Alls, während Tristan und Isolde sternenmäßig ewigjung glitzern.
Damit sind wir bei Überraschung Nr. 3: die Kostüme sind erstaunliche Kunstwerke. Sie leuchten aus sich heraus, wenn die Liebe alles überstrahlt. Die Mäntel am Schluss, mit Dutzenden kleinen Lämpchen verziert, werden selbst zu Sternschnuppen, die der Szene entgegenglänzen. Kitsch? Mitnichten, einfach nur schön.
Überraschung Nr. 4 ist das Ensemble des Staatstheaters, Chor und Kurwenal und Melot und alle fügen sich hervorragend ein in die Riege der internationalen Wagnerstars. Bevor wir zur fünften Überraschung kommen, sei diese kleine Kritik angemerkt: Alexander Merzyn, Generalmusikdirektor des Hauses, hat es geschafft, dieses überbordende Werk zusammenzuhalten. Das ist bei der Länge und der Kraftanstrengung für jede und jeden immer ein Wunder. Dafür gebühren ihm und dem Orchester aller Dank. Leider hat die Dynamik gelitten. Über längere Phasen klang das Orchester schlicht zu laut. Ein Sängerdirigent muss spüren, wann Tristan im zweiten Aufzug den akustischen Raum braucht, um sich zu entfalten. Diese Empathie fehlte.
Und damit sind wir bei Überraschung Nr. 5: dem Cottbusser Publikum. Als Berliner Kritikerin verneige ich mich. Wütet in der Hauptstadt die ungezügelte Buh- und Bravosucht, die meist wenig mit den musikalischen und inszenatorischen Leistungen zu tun hat, so regieren in Cottbus Höflichkeit, Anstand und Achtung vor einer bravourösen Leistung. Dieser grandiose Abend hat genau das verdient: Standing Ovations und einen langen, in rhythmischem Klatschen endenden Applaus. Auch den angereisten Berliner Wagnerverband hat’s gefreut. Wagnerianer weltweit, dies gilt euch: Reist in die Lausitz und genießt diesen Abend am Staatstheater Cottbus.
Sendung: "Leporello" am 30. Januar 2023 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (4)
Sonntag, 05.März, 09:33 Uhr
Gerd-Uwe Dastig
Tristan ist das kompromissloseste und fortschrittlichste Opernwerk des 19. Jh., das aber in den letzten 40 Jahren von Regisseuren nach Strich und Faden verhunzt wurde, besonders von bekennenden Anti-Wagnerianern. Eine Ausnahme machte Kupfer 1990 an der Berliner Staatsoper. Die Aufführung in Cottbus bringt endlich wieder perfekt Handlung, Text, Dramaturgie und Musik zur Entfaltung und Verständlichkeit. Die Kritikerin sollte die Inszenierung und nicht das Publikum beurteilen. Buhkonzerte sind nur eine schwache Reaktion auf die Unzumutbarkeit der Regie, die sich durch sie noch bestätigt sieht. Demonstrationen mit Plakaten vor Opernhäuser wären vielleicht wirkungsvoller. Meine Reaktion besteht in Vermeidung und Verweigerung gegenüber Siegrieds Tod an einer Baustellendreckecke, Vergewaltigung Evas durch Hans Sachs, Rheintöchtern als Krankenschwestern auf Intensivstation usw.
Dienstag, 31.Januar, 18:38 Uhr
Volkmar
Tristan
Ich stimme Ragnar zu.Publikumsschelte zu betreiben steht einer Kritikerin nicht zu und zeugt von ziemlich viel Arroganz. Gerade bei werkzerstörenden Inszenierungen hat der zahlende Zuschauer geradezu die Pflicht,seinen Unmut zu bekunden ,in welcher Form auch immer,schlimmstenfalls durch künftige Abwesenheit.Bei eher suboptimaler musikalischer Qualität sollte seitens des Publikums mehr Nachsicht walten,vor allem Sängerinnen und Sängern gegenüber.
Dienstag, 31.Januar, 13:16 Uhr
Swajka
Cottbuser Tristan
Ich folge Ihrem Rat als Wagnerianerin und habe soeben Karten bestellt. Vielen Dank für diese wunderbare Kritik.
Montag, 30.Januar, 08:28 Uhr
Ragnar Danneskjoeld
Frau Ossowski schwurbelt mal wieder...
Da werden Kostüme über den grünen irischen Klee gelobt - und der Name der Kostümdesigner? Wird verschwiegen.
Dafür wird brav gegen das heimische Berlin gewettert - und dem meinungsstarken Publikum dort einfach mal rundherum die Kompetenz abgesprochen.
Vorschlag zur Güte, Frau Ossowski: bleiben Sie doch in Cottbus und berichten ausschließlich von dort. Ich würde es Ihnen danken.