Am 3. Februar feiert die Oper "Das Tagebuch der Anne Frank" von Grigori Frid in Augsburg Premiere. In der Inszenierung von Nora Bussenius sollen aktuelle Bezüge hergestellt werden – zur Klimakrise und dem Ukraine-Krieg. Damit will die Regisseurin auch die Jugend erreichen.
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Mit einem markanten Zwölftonmotiv läutet Grigori Frid seine Oper "Das Tagebuch der Anne Frank" ein. Wie auch in der literarischen Vorlage startet die Handlung mit dem Geburtstagsgeschenk, dass später Geschichte schreiben soll: Annes Tagebuch. Im Gegensatz zu dem musikalisch expressiven Anfang des Komponisten hat sich Regisseurin Nora Bussenius bei der Werkschau für ihre Inszenierung aber für einen anderen Start entschieden. Eine Durchsage ertönt: "Wir freuen uns, Sie im Museum der letzten Dinge begrüßen zu dürfen. Sie haben sich für die Anne-Frank-Tour entschieden."
Bühnenbild der Oper "Das Tagebuch der Anne Frank" in Augsburg | Bildquelle: Adrian Altinger In dem sogenannten "Museum der letzten Dinge" sind nur wenig Ausstellungsobjekte zu finden, angeordnet in leuchtenden Glasvitrinen: Ein Eisbär, ein Haufen aus Trümmern, ein umgekehrter Baum. Stellvertretende Symbole für die Klimakrise oder auch den aktuellen Krieg. Ein "zeitloser Museumsraum", so nennt ihn die Regisseurin. Der in der Inszenierung vor allem ein Ziel hat: "Wir wollen Anne Frank aus dem Museum befreien, wo sie manchmal reingesteckt wird", erklärt Nora Bussenius. Sie versucht, die Geschichte mit der Inszenierung in unsere Zeit zu übertragen, um auch die junge Generation zu erreichen: "Ich glaube, dass gerade für junge Menschen dieses Gefühl nach der Pandemie, dann die Klimakrise und jetzt auch noch den Krieg um sich zu haben, sehr sehr aktuell ist."
Ich identifiziere mich sehr mit Anne Frank – manchmal zu sehr.
Die Sängerin Olena Sloia geht die Rolle der Anne Frank persönlich sehr nahe. | Bildquelle: Jan-Pieter Fuhr Eine persönliche Verbindung hat Olena Sloia, die Sängerin der Figur Anne Frank, zu dem Stoff. Wie sie erzählt, hat sie selbst jüdische Wurzeln. Die Figur der Anne Frank sei in der Ukraine auch nicht so berühmt wie im Rest Europas. Ihr Tagebuch las Olena Sloia wegen ihrer Rolle zum ersten Mal. Und konnte gleich persönliche Parallelen entdecken: "Das ist für mich ein bisschen schmerzhaft. Ich komme aus der Ukraine. Und das, was ich im Tagebuch lese, ist gerade passiert." Olena Sloia stammt aus Rumänien, hat aber in der Ukraine an der Nationalen Musikakademie "Peter Tschaikowsky" studiert. Um die Figur noch näher kennenzulernen, reiste sie auch nach Amsterdam und besuchte dort das Anne-Frank-Haus. "Ich habe die Wände berührt und wollte begreifen, wie es war – aber das ist unmöglich. Ich habe aber begriffen, dass dieses Mädchen eine sehr starke Person war." In den Proben zur Oper stellt sie diese emotionale Nähe vor Herausforderungen: "Ich identifiziere mich sehr mit Anne Frank, manchmal zu sehr. Wenn ich sie lese, denke ich: Hab ich das geschrieben oder sie? Vielleicht ist das für die Rolle gut. Mir persönlich ist das etwas zu nah."
Anne Frank (1929 - 1945): Die historische Figur und ihr berühmtes Tagebuch waren Vorlage für Grigori Frids Oper. | Bildquelle: picture alliance/United Archives | IFTN Viele Emotionen in dem Stück – genau das war das Ziel von Grigori Frid, als er 1969 das Werk las und kurz danach komponierte: die Gefühle der Figur sollten im Mittelpunkt stehen, weniger die historischen Umstände. Vielleicht auch deswegen, weil Frid selbst mit seiner Familie in Verbannung lebte. In 21 kurzen musikalischen Episoden ist das Innenleben von Anne Frank nach außen gekehrt: Das Verstecken, die erste Verliebtheit vor allem eines: die Angst, entdeckt zu werden.
Auch die Regisseurin will in ihrer Inszenierung die Emotionen der Figur betonen und sich damit von den bisherigen Interpretationen des Werkes unterscheiden: "Viele Operninszenierungen stellen das Werk eins zu eins realistisch dar. Davon lösen wir uns. Wir wollen Stimmungsbilder schaffen, die mit dem Heutigen zu tun haben, dass man immer den Spiegel hat. Ohne das aber eins zu eins gleichzustellen." Dass in der Oper nur einzelne Ausschnitte des Tagebuchs gezeigt werden, reicht der Regisseurin Nora Bussenius nicht aus: Über Einspielungen (gelesen von Emsemblemitglied Sarah Maria Grünig) werden weitere Passagen aus Anne Franks Tagebuch vorgelesen. Bussenius spricht hier von einem Dialog: "Damit kann die Musik noch stärker funktionieren. Diese Momente des Innehaltens, sind dann wie ein roter Faden durch das Stück. Die Texte vertiefen nochmal den Inhalt und greifen auf die Komplexität des Tagebuchs zurück."
Bühnenbild der Oper "Das Tagebuch der Anne Frank" in Augsburg | Bildquelle: Adrian Altinger Für Grigori Frid ist Anne Franks Geschichte der ideale Opernstoff, so schreibt er. Er löst die intime Tagesbuchatmosphäre, indem nur eine Person auftritt. Die atonale Musik unterstreicht das Seelenleben der jungen Frau, sie springt zwischen neuen Klangwelten, zwischen lyrischen und rhythmischen Passagen – und zeigt so die Zerissenheit und Verzweiflung der Figur. Eine Musik, die nicht nur die Traurigkeit von Anne Franks Geschichte vermittelt, sondern ihr in den Proben noch mehr gegeben hat, findet Nora Bussenius: "Über die Zeit gab es eigentlich immer mehr, wo so die Musik und auch die Phrasen aus der Musik in unser Leben übergegangen sind. Die Sachen, die sie sagt, geben einem Kraft. Da hilft einem die Musik wirklich auch im Alltag – mehr als andere Opern."
"Das Tagebuch der Anne Frank"
Monooper in zwei Teilen von Grigori Frid
Staatstheater Augsburg
Aufführungsort: brechtbühne im Gaswerk
Musikalische Leitung: Malek
Regie: Nora Bussenius
Premiere: Samstag, 3. Februar 2023
Sendung: "Allegro" am 27. Januar 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK