San Francisco und London, Mailand und Zürich, Wien, Berlin und Glyndebourne - die US-amerikanische Sopranistin Ailyn Pérez ist gut gebucht. Auch in München hat sie sich schon sehr erfolgreich vorgestellt, zuletzt als Mimì in Puccinis Bohème" bei den Opernfestspielen 2022. Jetzt singt sie an der New Yorker MET die Blanche in den "Dialogues des Carmélites" von Francis Poulenc.
Bildquelle: © Dario Acosta
Ich lerne Ailyn Pérez im Juli 2022 kennen, als sie an der Bayerischen Staatsoper in München in einer Serie von Puccinis "Bohème" auf der Bühne des Nationaltheaters steht. Sie ist von entwaffnender Herzlichkeit, begrüßt mich wie einen alten Freund – dabei sehen wir uns zum ersten Mal. Und sie ist glücklich, weil sie wieder vor vollem Haus singen kann – zuviele Vorstellungen und Projekte hat in den über zwei Jahren davor die Pandemie kassiert. "Aber wir sind sehr dankbar, dass wir singen konnten. Hier in München hat das ganze Team alles unternommen, um so lange wie möglich zu spielen. Und das werde ich immer in meinem Herzen tragen."
BR-KLASSIK überträgt Francis Poulencs Oper "Dialogues des Carmélites" live aus der New Yorker MET - am Samstag, 28. Januar 2023 ab 18.59 Uhr.
Mit Ende 20 hat Ailyn Pérez das Festspielpublikum in Salzburg begeistert – als Charles Gounods Juliette. Das war 2008. Da hatte sie schon vier bedeutende Wettbewerbspreise in der Tasche. Und schon bald haben sich alle großen Häuser um sie gerissen. "Um von einem Opernhaus eingeladen zu werden, sollte man schon eine Reihe von erfolgreichen Wettbewerben absolviert haben. Wettbewerbe sind gerade für junge Sängerinnen und Sänger wichtig, es ist wie ein Vorsingen für die Welt." Bei diesem ‚Vorsingen für die Welt‘ gehe es nicht nur darum, die Stimme auszustellen. Man könne auch mit seiner Persönlichkeit, seiner Musikalität punkten – um einen Fuß in die Büros der Agenten und Intendanten zu kriegen, die zuhauf in den Jurys sitzen: "Zu meinen jungen Kolleginnen und Kollegen sage ich immer: Natürlich macht man einen Wettbewerb, um einen Preis zu gewinnen. Aber der große Preis ist die Einladung an ein Opernhaus."
Der große Preis ist die Einladung an ein Opernhaus.
Und ganz egal, welcher Preis am Ende herausspringt: Man hat bei diesen Gelegenheiten auf alle Fälle die große Chance, vor Publikum zu zeigen, was man im Herzen hat. "Natürlich ist es schwer, das in einer Drei-Minuten-Arie zu zeigen, aber es ist auch wichtig: Wenn du auf die Bühne kommst, müssen die Menschen im Publikum vom ersten Augenblick an was fühlen. Sie müssen sich fragen: Oh, wer ist das? Was hat sie für eine Persönlichkeit? Was hat sie mir zu sagen? Das ist ganz wichtig."
In München wird immer noch die "Bohème"-Inszenierung von Otto Schenk aus dem Jahr 1969 gezeigt. Kein Problem, sagt Ailyn Pérez – wenn sie passt: "Die schönen alten Inszenierungen sind immer ganz nah dran an der Wahrheit. Die ‚Bohème‘ zeigt junge Menschen in ganz bestimmten Lebensabschnitten. Das sind Momentaufnahmen. Puccini hat das ganz klar komponiert. Und wir als Publikum verstehen das, denn schwierige Beziehungen – die kennen wir alle. Und das ist ja aktueller denn je, denn es war auch ein Thema in der Coronazeit – Liebespaare, die sich nicht sehen konnten oder sich getrennt haben; und auch der Tod junger Menschen."
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Roh - La Bohème - 20-10-22
Apropos Sommer: Bei 35 Grad im Schatten als Mimì zu frieren, ist nicht ganz einfach. Und Klimaanlagen gehören bei der Hitze bei Sängerinnen und Sängern zum Alltag – auch wenn das nicht gesund ist. Aber: "Ich komme aus den USA, bin in Chicago geboren, und wir sind mit Klimaanlagen aufgewachsen. Natürlich ist es schwer, sich auf der Bühne in den Winter zu versetzen, wenn es draußen so heiß ist. Aber Mimì hat ja Tuberkulose, sie soll also schwitzen!"
Ailyn Pérez | Bildquelle: Chris Singer Der Optimismus, die Lebensfreude, die Zugewandtheit dieser Ailyn Pérez – das ist alles ungekünstelt und authentisch. Sie sagt, sie singe, um anderen eine Freude zu machen – und man glaubt es ihr aufs Wort. Als ich Ailyn Pérez beim Interview sage, dass ich just am Geburtstag meiner Frau zwei Tickets für die "Bohème" am Münchner Nationaltheater gekauft habe, bestellt sie uns nach der Vorstellung an den Bühneneingang – und singt tatsächlich "Happy Birthday". Bühne und Leben – das geht für Ailyn Pérez auf ganz natürliche Weise zusammen. Ihr Lebensgefährte, der Bass Soloman Howard, hat ihr nach einer "Tosca"-Vorstellung in San Francisco vor zwei Jahren beim Schlussapplaus eine ganz besondere Frage gestellt: "Er sagte: Vor deiner Familie, vor Gott, vor dem ganzen Publikum, möchte ich dich fragen: Willst du mich heiraten? Und ich schrie: ja! Aber auch das Publikum hat geschrien. Und der Souffleur hat ein Video gemacht. In dem Augenblick fühlte ich eine wunderbare Ruhe – wie in diesem schönen Schubert-Lied… Und dann hat er mich gefragt: Ist der Ring ok? (lacht) Und ich habe gesagt: Alles ist perfekt! Du bist vollkommen verrückt!"
Als ich jung war, wollte ich Ärztin werden – Herzspezialistin.
Ailyn Pérez ist die erste aus ihrer Familie, die Sängerin geworden ist. Hätte sie sich auch einen anderen Beruf vorstellen können? "Als ich jung war, dachte ich eigentlich, ich würde Ärztin werden, am liebsten Herzspezialistin," erzählt sie. Und die ist sie dann auch geworden: Tosca, Mimì, Desdemona, Liu, Micaela, Gräfin Almaviva, Thaïs – das sind alles Herzspezialistinnen. Ailyn gibt ihnen eine Stimme – mit einem Sopran, der so zart, so zärtlich klingen kann, den sie schwebend-leicht und mit großer Innigkeit führt. Um dann, wenn es die Situation erlaubt oder erfordert, den Turbo einzuschalten und die Höhen wunderbar aufblühen zu lassen.
Szenenbild aus Dialogues des Carmélites von Francis Poulenc, Metropolitan Opera New York, Januar 2023 | Bildquelle: © Ken Howard/MetOpera Jetzt singt Ailyn Pérez die Blanche in Poulencs "Dialogen der Karmelitinnen". Und da warten andere Aufgaben auf ihre Stimme: "Die Struktur dieser Oper ist episodenhaft. Die Melodien bewegen sich ganz nah an der gesprochenen Sprache. Und man weiß nie, ob man jetzt gerade in Dur oder in Moll singt." Die Musik ist bei Poulenc Spiegel der seelischen Verfassung. Blanche ist eine Suchende, ohne Anker im Leben, wie Ailyn Pérez sagt. Blanche ist beim Vater aufgewachsen. Ihre Mutter hat sie schon kurz nach ihrer Geburt verloren. Blanche kennt kein Urvertrauen.
"Wir Menschen fragen uns ja andauernd: Was tun wir? Was machen wir hier? Wer sind wir? Wer ohne Mutter aufwächst, trägt an einem großen Schmerz. Und das wirkt sich natürlich bei Blanche auf die Persönlichkeit aus. Sie ist sehr streng mit sich – und sie ist sehr scheu und ängstlich, sie geht anderen Menschen am liebsten aus dem Weg. Auch zu ihrer Familie hat sie den Kontakt abgebrochen. Ich glaube, sie wollte weg von dieser Welt, aber sie weiß nicht wohin. Sie ist eine ewig Suchende – und letztlich ist es für alle, auch für sie selbst, eine Überraschung, dass sie zu den Schwestern zurückkehrt."
Ailyn Pérez freut sich darauf, diesen Sinneswandel zu spielen: "Ich hoffe, dass ich für diesen Moment eine ganz andere große Ausstrahlung habe." Am Ende, im Angesicht des Todes, findet Blanche plötzlich Sicherheit und Geborgenheit. Und Frieden. Das fällt Ailyn Pérez leicht. Kontaktarmut sei schwerer zu spielen: "Zu Gott gehen ist ganz einfach für mich. Ich finde das einen ganz besonderen Opernmoment. Das ist das große Thema bei Thaïs und Traviata, bei Mimì – und auch bei Desdemona. Und da reiht sich auch Blanche ein. Das ist das Ende, das ich mir für sie wünsche. Wir werden sehen. Vielleicht geht die Reise auch woanders hin. Das ist spannend. Und eine große Herausforderung."
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