So manch einer mag sich beim Namen Reinhard Febel fragen: Bitte, wer ist das denn? Selbst Enthusiasten Neuer Musik werden nicht unbedingt aufhorchen. Der gut 70-Jährige lief immer ein bisschen unter dem Radar des Betriebs, was sich nicht erst anlässlich seiner neuesten Oper als wirklicher Fehler erweist.
Bildquelle: Reinhard Winkler
Der in Metzingen geborene, beim Schweizer Kompositions-Doyen Klaus Huber und am Pariser Elektronik-Studio IRCAM ausgebildete Febel wirkte lange als Professor am Salzburger Mozarteum. Neben vielen orchestralen und vokalen Werken gab es immer wieder mal ein Musiktheater, vorwiegend an literarischen Stoffen orientiert.
Nun also "Benjamin Button", viele kennen den Film mit Brad Pitt, einige sicher auch die Kurzgeschichte von F. Scott Fitzgerald, veröffentlicht vor gut 100 Jahren. Der Plot ist so simpel wie verrückt. Benjamin kommt als Greis zur Welt und durchlebt eine ständige Verjüngung, bis zum Tod im Kindbett, könnte man sagen. Reinhard Febel schuf ein blitzgescheites, manchmal witziges, oft aber melancholische Farben auskostendes Libretto und erfand als Klammer vier Kuscheltiere, die Benjamin gleichsam zur Welt bringen und ihn am Ende wieder verabschieden. Zuvor mäht der kleine Benji (wie er da genannt wird) noch die Truppe mit einem Spielzeuggewehr nieder, was diese aber nicht weiter stört.
Bildquelle: Reinhard Winkler Hochtourig klingt das oft, virtuos spielt Febel mit den Klangfarben und dem Idiom der jeweiligen Zeit – wir sprechen über eine erhebliche Spanne: von 1860 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Da jazzt es, groovt es, dann wieder ertönen rhythmisch sehr vertrackte Passagen, nahe an der minimal music. Doch nie entsteht Banalität oder Kitsch. Wenn die wild mäandernde Textur mal durchlässiger wird, schaltet Febel auch mal auf Kammerbesetzung um, etwa mit luftigen Akzenten vom anführenden Klavier. Doch bald befinden wir uns wieder im (mit)reißenden Strom voll ausgeklügelter Schlagwerkeffekte und Blechattacken. Die Verjüngungen von Benjamin Button werden übrigens durch eine – sehr laute – Ratsche kenntlich gemacht, damit ist Febel dann auch noch nah an österreichischer Volkskultur ...
Virtuos zudem die Behandlung der Stimmen, Martin Achrainer darf und muss sich vokal durch feinste lyrische Phrasen, wie bewusst enervierend gehaltene Nervenmusik arbeiten und macht das großartig. Ihm zur Seite steht die szenisch allmählich älter werdende Hildegarde, stimmlich verströmt Carina Tybjerg Madsen alles, was es für eine große Liebende – im sexuellen wie mütterlichen Sinne – braucht. Benjamins Eltern geben Michael Wagner und Gotho Griesmeier überzeugend, Matthäus Schmidlechner verleiht dem ob der Ereignisse (wie wir alle) recht verstörten Arzt Keene Kontur. Zwei Zeitungsjungen (Jonathan Hartzendorf und Alexander York) schneien immer wieder durch die Szenerie und verkünden Neuigkeiten, somit wissen wir, wo wir zeitlich genau stehen. Eine Wucht sind auch Chor und Kinderchor, einstudiert von Elena Pierini. Dazu dirigiert Ingmar Beck das Bruckner Orchester großartig.
Bildquelle: Reinhard Winkler Einen besseren Anwalt als den Linzer Landestheater-Intendanten Hermann Schneider hätten sich Febel und die Protagonisten auf der Bühne nicht wünschen können. In Dieter Richters Bühnenbild und den Kostümen von Meentje Nielsen erlebt man eine hochprofessionelle Revue durch die Zeiten, handwerklich perfekt, szenisch mit originellen Nuancen. Da hat es der offenbar gerade zwischen zwei Lebensaltern schwankende Button plötzlich arg im Rücken, immerhin – hoffentlich – wohl zum letzten Mal. Durchaus dialektisch wirkt das häufige Auftauchen eines Wanderpredigers mit dem Schild "Das jüngste Gericht ist nah". Und das singende Stofftierquartett wartet noch philosophischen Weisheiten und einer eigenen Farbdramaturgie auf. Urkomisch ist dann wieder die erste Begegnung zwischen jungem Greis und seinen Eltern, der Herr im Kinderwagen verlangt nach Zigarre und Zeitung. Duzt man sich in solch einem Fall oder nimmt sicherheitshalber das "Sie"?!?
Im Grunde ist der Linzer "Benjamin Button" musiktheatraler Polytheismus, weltanschaulich wie kompositorisch, vielleicht ein ungerades, kantiges Gegenstück zu Leoš Janáčeks Oper "Die Sache Makropulos", mit ihrer Ewigkeiten nicht sterben wollenden, könnenden Hauptfigur. Reinhard Febel, Hermann Schneider und das tolle Linzer Ensemble indes zeigen, was man hier und heute schaffen kann: lebendiges, unterhaltsames, berührendes, kluges Musiktheater!
Sendung: "Leporello" am 8. April 2024 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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