Die Kanzlerin geht. Und nicht wenige trauern ihr hinterher. Darunter auch einige prominente Musiker. Daniel Barenboim zum Beispiel, Franz Welser-Möst auch. Und Simon Rattle sowieso. Der eine bewundert ihre Bescheidenheit, der andere schätzt ihre musikalische Expertise und der dritte kochte sogar für sie. Und auch ein gerade erschienener Sammelband porträtiert Merkel als Kultur-Kanzlerin.
Dass sich Angela Merkel für Klassische Musik interessiert, ist nicht neu. Mit ihrem Mann Joachim Sauer besucht sie regelmäßig die Bayreuther Festspiele. Und auch in Berlin ist sie nicht selten in Oper oder Konzert zu sehen. "Kultur sollte zum Leben wie das Atmen gehören." – Das ist so ein Merkel-Satz, der auch als Polit-Floskel durchgehen könnte. In ihrem Fall scheint er authentisch zu sein.
Das zumindest legt ein Buch nahe, das die Merkel-Vertraute und einstige Bildungsministerin Annette Schavan nun herausgegeben hat: "Die hohe Kunst der Politik – Die Ära Angela Merkel". Darin versammelt sind auch einige Texte von Künstlerinnen und Künstlern.
Darunter zum Beispiel der Schauspieler Ullrich Matthes, der von Garderoben-Besuchen der Kanzlerin nach Theater-Aufführungen berichtet. Dabei gehe es stets um mehr, als freundliches Lächeln und Händeschütteln. "Sie fragt dann nach inszenatorischen oder spielerischen Details", schreibt Matthes, "und denkt laut nach über das gerade Gesehene (...) – alles Assoziieren manchmal eingeleitet durch ein nicht kokettes 'Kenne mich nicht aus mit Theater, aber...'."
Beeindruckt habe ihn vor allem Merkels Urteilssicherheit, was die Einschätzung von Sängerinnen und Sängern angehe. So sei sie einmal im Anschluss an eine Rosenkavalier-Aufführung in seine Garderobe gekommen, um mit ihm intensiv über die Besetzung zu diskutieren. "Sie wusste ziemlich genau, was die Partien fordern und was die Singenden im Einzelnen leisteten."
Und Welser-Möst ist nicht der einzige Stardirigent, der auf gute Erfahrungen mit der Kanzlerin zurückblickt. Im Schavan-Sammelbald äußert sich auch der Chef der Berliner Staatskapelle, Daniel Barenboim. Beeindruckt habe ihn vor allem ihre schon sprichwörtliche Bescheidenheit. "Sie lässt sich nie einladen zu Opern oder Konzerten, sondern kauft sich ihre Karten selbst. Immer!", so Barenboim.
Der durfte sich während Merkels Amtszeit übrigens über eine vom Bund finanzierte Nachbesserung der Akustik an der Staatsoper unter den Linden freuen. Merkels Name blieb da freilich außen vor. Die kulturpolitische Praxis überlies sie den Zuständigen im Kanzleramt: Erst Michael Naumann, seit 2013 Monika Grütters.
Einer taucht im Sammelband überraschend nicht auf: Sir Simon Rattle. Der designierte Chef des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks begegnete der Kanzlerin in seiner Zeit bei den Berliner Philharmonikern häufiger. Sogar bekocht hat er das Kanzlerpaar. Und auch mal aus dem Nähkästchen geplaudert.
2016 war das, in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. "Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise kam sie mit ihrem Mann und hörte sich dreieinhalb Stunden Pelléas et Mélisande an", erzählte Rattle damals. "Sie liebt klassische Musik (...) Und ihre Entscheidung, im Herbst letzten Jahres kurzfristig die Grenzen zu öffnen, war eine der mutigsten politischen Gesten, die zu meinen Lebzeiten gemacht wurden."
Sendung: "Allegro" am 2. Dezember ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK