Irgendwann gehen sie alle. Aber nie ohne Musik. Für Bundespräsidenten, Verteidigungsminister und Kanzlerinnen sieht das Staatsprotokoll einen Großen Zapfenstreich vor. Sprich: Verabschiedung mit Fackelparty und Militärkapelle. Am Donnerstag ist es für Angela Merkel soweit. Die Musik hat die scheidende Kanzlerin selbst ausgewählt. Was will sie uns damit sagen?
Bildquelle: picture alliance / dpa | Hannibal Hanschke
Von Angela Merkel weiß man, dass sie eine ausgesprochene Klassik-Liebhaberin ist. In Bayreuth ist sie regelmäßig zu Gast. Und auch die musikalische Moderne scheut die CDU-Politikerin nicht. Vor allem die Zweite Wiener Schule hat es der scheidenden Kanzlerin und ihrem Mann Joachim Sauer angetan. Das verriet zumindest Stardirigent Simon Rattle vor einigen Jahren in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung.
Wenn Merkel am Donnerstagabend mit dem standesgemäßen Großen Zapfenstreich verabschiedet wird, erklingen allerdings weder Wagner noch Schönberg. (Schade eigentlich. Hätte man gerne gehört: Schönberg vom Spielmannszug.) Anders als zum Beispiel der einstige Bundespräsident Johannes Rau oder Ex-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat sich Merkel gegen klassische Musik entschieden. Rau lies 2004 den Bach-Choral "Jesu bleibet meine Freude" spielen. Von der Leyen entschied sich 2019 unter anderem für Mozarts "Ave Verum".
Und Merkel? Die zeigt sich einmal mehr so wie sie auch in den 16 Jahren ihrer Kanzlerschaft aufgetreten ist: als Vermittlerin mit Haltung. Oder wie anders soll man es verstehen, dass sie einen West-Schlager, einen Ostrock-Klassiker und ein ökumenisches Kirchenlied auf ihre Zapfenstreich-Playlist gepackt hat?
Da wäre zum einen Hildegard Knef mit ihrem All-Time-Classic "Für mich soll‘s rote Rosen regnen", der Song der Auswahl, der noch am ehesten Abschiedssentimentalität atmet. Aber auch Haltung ausstrahlt. Reuevolles Zurückblicken? Fehlanzeige! Stattdessen: "Ich kann mich nicht fügen / Kann mich nicht begnügen / Will immer noch siegen". Das klingt dann doch etwas forscher als noch im Juli, als Merkel bei einer Veranstaltung in Washington einen Ausblick auf ein eher gemütliches Dasein als Ex-Kanzlerin gab. Ein bisschen lesen werde sie wohl, meinte sie damals. "Dann werden mir die Augen zufallen, weil ich müde bin, dann werde ich ein bisschen schlafen, und dann schauen wir mal, wo ich auftauche."
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Für mich soll's rote Rosen regnen
Der zweite Song, den sich Merkel für ihre Verabschiedung ausgesucht hat, schlägt – ganz untypisch für die Kanzlerin – ziemlich rotzige Töne an. Gefallen ist ihre Wahl auf den Nina-Hagen-Hit "Du hast den Farbfilm vergessen". Man mag auch in dieser Entscheidung sentimentale Züge erkennen. 1974, als der Song rauskam, war Merkel gerade zwanzig. Oder man sieht die Sache wie die Journalistin Katja Berlin, die auf Twitter kommentiert: "Liebe es sehr, dass sich Merkel am Ende ihrer Amtszeit das Lied einer wütenden Frau wünscht, die sich über einen schlecht vorbereiteten Mann ärgert." Bestechende Interpretation. Ob sie nun Wladimir oder Donald, Friedrich oder Markus heißen – in Micha dürfen sich alle wiedererkennen.
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Du hast den Farbfilm vergessen
Der dritte Song auf Merkels Playlist gehört weder zur Bundesrepublik noch zur DDR. Er gehört allen – Protestanten wie Katholiken. Gemeint ist das ökumenische Kirchenlied (katholischer Provenienz) "Großer Gott, wir loben dich". Natürlich denkt man da zunächst an Merkels Herkunft, das protestantische Pfarrhaus. Bemerkenswerter ist jedoch der hymnische Optimismus des Liedes. Vor allem in einer Zeit, die nicht unbedingt Anlass dazu gibt. Und es bleibt der leise Zweifel, ob es da manchmal nicht mehr braucht, als eine gute Portion Gottvertrauen. Apropos: "Hilf zu schützen deine Welt / mit den Wassern und den Wäldern, / mit den Tieren ungezählt / in der Luft, im Meer, Wald und Feldern. / Lass uns folgen deiner Spur / für den Schutz der Kreatur."
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Großer Gott, wir loben dich
Sendung: "Allegro" am 2. Dezember 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (2)
Donnerstag, 02.Dezember, 22:35 Uhr
Dominik Berger
Merkels Wunschmusik
Großartiger journalistischer Text. Es wäre aber auch zu wünschen für die jüngeren Hörer, dass es mehr geistliche Musik in Zukunft auf BR-Klassik geben wird.
Mittwoch, 01.Dezember, 17:21 Uhr
Rita Linda Diener
Musikauswahl
Sehr gut ausgewählt.