Musikerinnen und Musiker, die mit der Politik Wladimir Putins nicht einverstanden sind, müssen Repressionen fürchten. Instrumentalisiert Russlands Regierung die Klassische Musik nicht nur für Propagandazwecke im eigenen Land, sondern auch im Ausland?
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Am 9. August 2022 wurde in Sankt Petersburg bei einem großen Open Air die 7. Sinfonie in C-Dur von Dimitrij Schostakowitsch gespielt. Der Anlass dafür war ein Jahrestag: 80 Jahre zuvor wurde die Sinfonie während des 2. Weltkriegs uraufgeführt. Im belagerten Leningrad. "Das war eine unglaubliche Inszenierung auf der Wassiljewski-Insel, mit großem Feuerwerk", sagt Professor Friedrich Geiger von der Hochschule für Musik und Theater München das Jubiläumskonzert im vergangenen Jahr. "Das Ziel dieser ganzen Inszenierung war, eine Verbindung zwischen der Zeit der Belagerung Leningrads und der jetzigen Gegenwart herzustellen. Wo man sich aus russischer Sicht in einem ähnlichen Verteidigungskrieg gegen Faschisten und Nazis befindet, wie das damals der Fall war."
Faschisten und Nazis seien jetzt in der Ukraine, so Putins Narrativ. Die Aufführung der Leningrader Sinfonie ist ein Paradebeispiel, wie die russische Regierung die Klassische Musik für Propagandazwecke instrumentalisiert, sagt der Musikhistoriker. Musikern, die mit Putins Politik nicht einverstanden seien, blieben nur zwei Möglichkeiten: "Man kann entweder versuchen, die Zähne zusammenzubeißen und in irgendeiner Weise in diesem System zu überwintern. Oder man emigriert: Dann gibt man natürlich alles auf, was man in dem Land hatte."
Musik kann und soll eingesetzt werden, um Russland einen angemessenen Platz auf der Weltbühne zu verschaffen.
Rebekka Magomedova hat sich für die zweite Variante entschieden: Sie bricht ihre Musikkarriere als Solokorrepetitorin am Mariinsky Theater in Sankt Petersburg unter Valery Gergiev ab und wandert nach Baku in Aserbaidschan aus. Kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine veröffentlicht Rebekka einen Antikriegspost auf ihrer Facebookseite: "Auf diesen Post hin bekam ich unter anderem einen Kommentar von meinem Kollegen, der schrieb: ‚Wenn du die Handlungen unseres Präsidenten nicht gutheißen kannst, wie willst du dann weiter an unserem Theater arbeiten?‘ Es stimmt – wie soll ich weiter unter Gergiev arbeiten? Er ist Putins Mann und auch sein Freund."
Mehr über den Widerstand gegen Putins Politik unter russischen Musikerinnen und Musikern erfahren Sie in der Sendung "Russische Musik im Exil" von Julia Smilga. Sie können sie in der Reihe "Musik der Welt" am Sonntag, den 10. Dezember, ab 23.05 Uhr auf BR-KLASSIK hören.
Der russische Dirigent Valery Gergiev pflegt ein enges Verhältnis zu Wladimir Putin. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Valery Gergievs Nähe zu Putin war nie ein Geheimnis, wie auch sein Zuspruch für die Annexion der Krim 2014. Trotzdem hat die Stadt München 2015 ihn zum Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker berufen, ehe das Orchester sich im vergangenen Jahr von ihm getrennt hat. Gergievs zahlreichen Auslandsengagements seien ein klassischer Fall von Putins Propaganda gewesen, die jahrelang unbemerkt im Westen vor sich ging, so Musikwissenschaftler Friedrich Geiger. "Gergiev hat zum Beispiel 2016 den Alexander-Newski-Orden verliehen bekommen. In seiner Rede sagte er ganz klar, er verstehe sich als Unterstützer des Außenministeriums, konkret eben seines Freundes Sergej Lawrow."
Die Ziele der russischen Kulturpolitik sind bis 2030 genau definiert, erklärt Friedrich Geiger, der sich jahrelang mit der Rolle von Musik in Diktaturen beschäftigt hat: "Und da wird ganz klar gesagt, dass eben die große russische Musik eingesetzt werden kann und soll, um Russland einen angemessenen Platz auf der Weltbühne zu verschaffen."
Wie soll man mit russischen Künstlern und der russischen Musik jetzt umgehen? Der Musikwissenschaftler Friderich Geiger ist gegen generelle Boykotte, aber für eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Frage. "Zum einen würde man damit ja auch die russischen Stimmen zum Verstummen bringen, die sich auch gegen das Putin-Regime einsetzen", so Geiger. "Putins Interesse richtet sich auf Propaganda auf der einen Seite und auf Spaltung auf der anderen Seite". Ein effektives Mittel gegen Spaltung sei zu diskutieren, sich zu verständigen, einander zuzuhören. Ein Boykott diene dabei weder der Reflexion über die Musik, noch der Diskussion und der Verständigung.
Sendung: "Allegro" am 7. Dezember ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (2)
Mittwoch, 20.Dezember, 10:17 Uhr
Peter Valko
Kunst und Politik kann man leider nicht trennen. Und Gergiev macht es offensichtlich auch nicht!
Freitag, 08.Dezember, 07:24 Uhr
Daniele Schibler
Musik u. Politik
Bitte, wie beim Sport, TRENNT Kunst von Politik; das kann man. Lasst Euch nicht in dieses Räderwerk hineinziehen. Es bringt NICHTS!
Daniel Scibler, Tessin, Schweiz