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Auschwitz-Überlebende Anita Lasker-Wallfisch "Ich lasse mir die Musik doch nicht wegnehmen"

Die Musik rettete ihr Leben: Anita Lasker-Wallfisch kam mit 17 Jahren nach Auschwitz. Weil sie Cello spielen konnte, kam sie ins Mädchenorchester des Konzentrationslagers und musste für Gefangene und für die SS spielen. Im Interview spricht sie von dieser Zeit und davon, wie sie den Hass auf die Deutschen überwand.

Das Tor des Konzentrationslagers Auschwitz II Birkenau | Bildquelle: Beata Zawrzel/picture alliance/NurPhoto

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Anmerkung: Dieses Interview führte BR-KLASSIK im Jahr 2015 mit Anita Lasker-Wallfisch zum 70-jährigen Jubiläum der Auschwitz-Befreiung.

BR-KLASSIK: Frau Lasker-Wallfisch, im Dezember 1943 sind sie in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert worden. Sie kamen in die Frauenkapelle, die von Alma Rosé geleitet wurde und mussten morgens und abends für die Zwangsarbeiter spielen, hauptsächlich Märsche und Operetten. Das ist eine absolute Perversion von dem, wozu Musik eigentlich dienen sollte. Kann man trotzdem sagen, dass die Musik ihr Leben gerettet hat?

Anita Lasker-Wallfisch: Ja, im Grunde ist es ganz einfach: Weil man eine Kapelle gebraucht oder gewollt hat, wäre es ein bisschen unlogisch gewesen, uns in die Gaskammer zu stecken. Ganz einfach.

Musik für Massenmörder

BR-KLASSIK: Warum hat die SS dieses Lagerorchester eingerichtet?

Anita Lasker-Wallfisch, eine der letzten bekannten Überlebenden des Mädchenorchesters von Auschwitz, spricht während einer Gedenkstunde des Bundestags an die Opfer des Nationalsozialismus. | Bildquelle: dpa/picture-alliance/Wolfgang Kumm Bildquelle: dpa/picture-alliance/Wolfgang Kumm Lasker-Wallfisch: Es gab in jedem Lager eine Art von Kapelle. Das war so eine Art Ehrensache, dass wir auch eine Kapelle haben. Wenn da Leute angekommen sind, sollten sie wohl denken: "Hier gibt es Musik, kann nicht so schlimm sein." Es ist schwer zu erklären, wie so etwas zustande kommt. So ein Irrsinn.

BR-KLASSIK: Auch der berüchtigte Auschwitz Lagerarzt Josef Mengele hat sich Musik von ihnen vorspielen lassen, Schumanns Träumerei.

Lasker-Wallfisch: Es ging natürlich auch um die Unterhaltung der SS-Leute. Ich meine, die Herrschaften, die diese Massenmorde verübt haben, müssen sich ja manchmal erholen. Da haben sie sich ein bisschen Musik angehört. Das Ganze ist so zynisch, es ist wahnsinnig.

Das Mädchenorchester von Auschwitz

1943. SS-Oberaufseherin Maria Mandl, die die Befehlsgewalt über das Frauenlager in Auschwitz ausübt, will ein Lagerorchester, wie es auch in anderen Lagern üblich ist. Alma Rosé wird zu dessen Leiterin gemacht. Eine schwere Aufgabe: Die wenigsten Musikerinnen beherrschen ihr Instrument wirklich, außerdem muss Rosé alles für die zusammengewürfelte Besetzung arrangieren. Mindestens 200 Stücke werden so aufgeführt.

Das Orchester muss morgens vor dem Lagertor spielen, wenn die Arbeitskolonnen das Lager verlassen. Und abends, wenn die Arbeiter völlig geschwächt zurückkommen und Zusammengeschlagene oder Tote getragen werden müssen. Dazu kommen Konzerte vor der Krankenbaracke und am halben freien Sonntag. Dazwischen wird geübt. 56 Frauen sind als Musikerinnen im Lagerorchester, drei sterben an Seuchen, alle anderen überleben Auschwitz – der Verdienst von Alma Rosé.

Alma Rosé schaffte das Unmögliche

BR-KLASSIK: Hat ihnen die Musik trotzdem ab und zu auch Kraft geben können?

Lasker-Wallfisch: Bestimmt. Aber für mich ist Musik etwas ganz anderes: Sie isolierte einen von dem, was da eigentlich los war. Wir waren so damit beschäftigt, Noten zu lesen und Alma Rosé zufrieden zu stellen, dass man für den Moment vergessen hat, wo man eigentlich ist.

BR-KLASSIK: Alma Rosé, die Leiterin des Orchesters, war sehr streng.

Lasker-Wallfisch: Sie hatte einen sehr hohen musikalischen Standard und war sehr streng, ja. Aber das war ja eine unmögliche Aufgabe, aus dieser Kollektion von jungen Menschen, wo kaum jemand ein Instrument spielen konnte, etwas zu machen, was akzeptabel war. Es war unglaublich.

BR-KLASSIK: Sie sind ihr tief dankbar.

Lasker-Wallfisch: Ja.

Alma Rosé

Alma Rosé wird am 3. November 1906 in Wien geboren. Ihre Mutter Justine ist eine Schwester von Gustav Mahler, das Mädchen wird nach Mahlers Frau Alma benannt. Ihr Vater Arnold Rosé ist in Wien und weltweit als Violinist erfolgreich. In seine Fußstapfen tritt Alma, die bald in ganz Europa mit ihrer Geige unterwegs ist. In Wien gründet sie ein eigenes Orchester, die "Wiener Walzermädeln".

Mit dem Aufstieg der Nazis und dem "Anschluss" Österreichs muss Alma als Jüdin fliehen. Sie geht in die Niederlande, kann letztlich den Nazis nicht entkommen und wird im Juli 1943 nach Auschwitz deportiert. Dort wird von ihr verlangt, eine Lagerkapelle einzurichten. Sie leitet das Frauenorchester von Auschwitz von August 1943 bis April 1944, dann stirbt sie an einer Lebensmittelvergiftung.

Alma Rosé | Bildquelle: © Gustav Mahler Foundation Die Leiterin des "Mädchenorchesters", Alma Rosé. | Bildquelle: © Gustav Mahler Foundation BR-KLASSIK: Nach ihrer Befreiung sind sie professionelle Cellistin in England geworden. Sie haben das English Chamber Orchestra mitgegründet, unter Dirigenten gespielt wie Daniel Barenboim oder Benjamin Britten. Gibt es Stücke, die sie nicht mehr spielen wollten, weil sie die in Auschwitz spielen mussten?

Lasker-Wallfisch: Das fragen mich manche Leute, aber diese Frage kann ich gar nicht verstehen. Ich wollte immer spielen. Ich lasse mir die Musik doch nicht wegnehmen. Man hat mir genug weggenommen im Leben.

Lasker-Wallfisch spricht mit Schülerinnen und Schülern

BR-KLASSIK: Ab wann wurde es für sie wieder vorstellbar, nach Deutschland zu kommen?

Lasker-Wallfisch: Ach, das hat viele Jahre gedauert. Ich wollte nie wieder nach Deutschland kommen, aber es kam dann doch per Zufall. Denn mit dem English Chamber Orchestra sind wir ja in der ganzen Welt herumgereist und einmal standen auf der Liste auch Soltau und Celle (zwei Städte nahe dem KZ Bergen-Belsen in Niedersachsen, wo Lasker-Wallfisch nach Auschwitz hingebracht wurde; Anm. d. Redaktion).

BR-KLASSIK: Und da sind Sie mitgefahren.

Lasker-Wallfisch: Diese Reise hat meine Einstellung zu Deutschland und zu Deutschen verändert. Auf dieser Reise habe ich viele Leute getroffen, also Deutsche, die nach dem Krieg geboren waren. Da habe ich verstanden, dass ich hier vielleicht einen besseren Beitrag leisten kann, als in England zu sitzen und die Deutschen zu hassen. Und das hat sich auch als sehr positiv herausgestellt. Denn seitdem bin ich oft nach Deutschland gefahren und habe mit vielen jungen Leuten gesprochen. Das ist sehr wichtig.

BR-KLASSIK: Was wünschen Sie sich von diesen jungen Leuten?

Lasker-Wallfisch: Ich bin sehr viel in Schulen gewesen. Und ich habe sehr schöne Briefe von jungen Leuten, die überhaupt nicht verstehen können, wie so etwas möglich gewesen ist. Es ist viel positiver, mit jemandem zu sprechen, der dabei gewesen ist, als diese Geschichte in Büchern zu lesen. Das macht einen großen Unterschied.

Sendung: Allegro am 27. Januar 2020 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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