Mit Musik und Atemübungen gegen die Folgen von Corona: Am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf coachen Gesangslehrerinnen und Sänger Long-Covid-Erkrankte. Welche Methoden und Therapien dabei zum Einsatz kommen, erläutert Prof. Dr. Dr. Hermann Reichenspurner im BR-KLASSIK-Interview.
Bildquelle: UKE Hamburg Eppendorf
BR-KLASSIK: Herr Prof. Hermann Reichenspurner, Sie befassen sich in Hamburg Eppendorf mit Musiktherapie. Wie genau setzen Sie Musik in Ihrer täglichen Arbeit als Mediziner ein?
Prof. Dr. Dr. Hermann Reichenspurner: Wir haben hier in Hamburg eine Kooperation mit der Hochschule für Musik und Theater, und es geht darum, dass wir einfach sehen wollen, inwieweit sich Musik tatsächlich therapeutisch positiv auswirkt. Begonnen haben wir damit, Musik quasi um eine Operation herum einzusetzen. Das bezeichnen wir als „peri-operative Klanginterventionen“.
BR-KLASSIK: Was ist das für eine Intervention, die Sie da anwenden?
Prof. Dr. Dr. Hermann Reichenspurner: Wir bereiten letztendlich die Patienten schon mithilfe von Musik auf einen Eingriff vor, auch während der Operation lassen wir die Musik über Kopfhörer weiterlaufen. Und auch nach der Operation machen wir mit dieser Musikbeschallung weiter. Dadurch konnten wir schon in früheren Studien sehen, das dadurch zum Beispiel der Bedarf an Narkotika und Schmerzmitteln abgenommen hat.
Der Bedarf an Narkotika und Schmerzmitteln hat durch die Beschallung mit Musik abgenommen.
BR-KLASSIK: Welche Musik kommt da zum Einsatz? Können da die Patienten und Patientinnen vorab sagen, dass sie beispielsweise gerne Bach hören – und dann damit beschallt werden? Oder wer entscheidet das?
Prof. Dr. Dr. Hermann Reichenspurner: Theoretisch könnten alle Formen von Musik zum Einsatz kommen. Die Voruntersuchungen, die gemacht wurden, wurden aber in erster Linie schon mit klassischer Musik gemacht.
BR-KLASSIK: Sie haben auch an der Hamburger Staatsoper ein Projekt angestoßen. Da ging es darum, die Lungenfunktion von Long-Covid-Patienten positiv zu beeinflussen. Die Idee, die dahintersteckt: Opernsängerinnen und -sänger, die ja Experten in Sachen Atmung sind, coachen Long-Covid-Patienten. Wie genau funktioniert diese Zusammenarbeit? Und wie sind die Ergebnisse?
Prof. Dr. Dr. Hermann Reichenspurner: Es ist ja bekannt, dass Long-Covid-Patienten vor allen Dingen unter einer mangelnden Lungenfunktion leiden. Das heißt, die kommen sehr schnell außer Atem, können sich überhaupt nicht belasten. Das kennen wir auch von anderen Krankheitsbildern. Aber bei Long-Covid ist das extrem ausgeprägt. Es gibt ja in der Physiotherapie eine traditionelle Atemgymnastik. Wir haben aber festgestellt, dass die Atemgymnastik bei Long-Covid-Patienten durchaus an ihre Grenzen stößt, weil sie einfach limitiert ist. Auch bestimmte Übungen, die wir normalerweise bei Patienten machen, die zum Beispiel in der Vergangenheit beatmet wurden. Wir sind dann auf ein Projekt der English National Opera gemeinsam mit dem dort ansässigen National Health Service aufmerksam geworden , die Long-Covid-Patienten mithilfe von Gesangslehrern und Sängern der Londoner Oper behandelt haben. Wir fanden das hier an der Uniklinik in Hamburg sehr interessant und haben uns mit dem Intendanten der Hamburgischen Staatsoper kurzgeschlossen, der das auch gelesen hatte – und auch von der Idee begeistert war. Wir haben das dann quasi übernommen. Und es haben sich dann netterweise zehn Gesangslehrer und Sänger der Hamburgische Staatsoper bereiterklärt, Long-Covid-Patienten tatsächlich intensiv zu betreuen. Und zwar mithilfe von speziellem Atemübungen, die für Sänger in der Ausbildung eigentlich selbstverständlich sind, die wir aber bei uns in der Atemgymnastik überhaupt nicht im Portfolio haben. Das ist ja eine komplett andere und meines Erachtens deutlich tiefer gehende Therapie.
BR-KLASSIK: Wo steht denn die Medizin jetzt mit der Anwendung der Erkenntnisse? Hier kommt ja sozusagen eine Kompetenz aus dem Musikbereich in den Medizinbereich rein, die in der Art noch nicht da war.
Prof. Dr. Dr. Hermann Reichenspurner: Dazu muss es natürlich Studien geben, die das dann belegen. Wir sind mit einem Pilotprojekt gestartet und das führen wir jetzt weiter. Nachdem wir zehn Long-Covid-Patienten behandelt haben, konnten wir eine deutliche Verbesserung der Lungenfunktion bei diesen Patienten feststellen. Auch subjektiv berichten die Patienten, dass diese Therapieformen extrem gut anschlagen. Ich gebe mal Beispiele für solche speziellen Übungen: Man bläst mit einem Strohhalm in ein Glas, und macht gegen Widerstand gewisse Dinge. Oder man produziert gewisse Töne: hohe Töne, tiefe Töne - und trainiert dadurch die Mobilität des Zwerchfells.
Aber Medizin ist eine Wissenschaft, das heißt, es ist schön, wenn man so etwas berichtet, aber um das in die Breite zu bekommen, brauchen Sie natürlich multizentrische Studien, indem sich also mehrere Zentren so einem solchen Vorhaben widmen.
Auch subjektiv berichten die Patienten, dass diese Therapieformen extrem gut anschlagen.
BR-KLASSIK: Wird es die geben, werden Sie sich dafür einsetzen?
Prof. Dr. Dr. Hermann Reichenspurner: Auf jeden Fall. Wir führen dieses Pilotprojekt weiter. Es ist allerdings ehrlich gesagt nicht ganz so einfach durchzuführen wie zu Covid-Zeiten. Denn da hatten wir sehr viele Sänger und Gesangslehrer zur Verfügung. Das Projekt fand in Form eines virtuellen Trainings statt. Die haben die Patienten nicht persönlich gesehen, sondern standen über einen Laptop oder ein Tablett mit den Patienten eins zu eins in Verbindung. Aber jetzt sind die meisten – glücklicherweise - wieder engagiert und die Kultur geht weiter. Insofern wurde die Planung nun ein bisschen schwieriger. Aber wir wollen trotzdem das Projekt weiterführen und hoffen, dass wir letztendlich auch eine multizentrische Studie machen können. Aber auch die Engländer sind da noch aktiv dran.
BR-KLASSIK: Wenn Sie so in die Zukunft schauen, was würden Sie sich wünschen in zehn Jahren? Wie sollen Musik und Medizin da verbandelt sein?
Prof. Dr. Dr. Hermann Reichenspurner: Ich würde mir wünschen, dass derartige Einrichtungen professionell miteinander verbunden sind. Und wir in Hamburg sind dabei, ein Zentrum für Musikmedizin und Musiktherapie am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf gemeinsam mit der Hochschule für Musik und Theater zu gründen, um professionell weiter diese so bis jetzt erfolgreiche Kooperation weiter fortzuführen.
Sendung: "Leporello" am 5. November 2021 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (2)
Montag, 08.November, 10:33 Uhr
Peter Widmann
Long Covid
Hallo Her Professer
ich habe im Januar eine schwere Covied infektion gehabt mit Beatmung auf dem Bauch legen und so weiter und Singe in einem Chor mit den ich vor 2 Jahren Gegründet habe und mus sagen das mir das Singen sehr gut tut und brauche auch nicht mer so viel Schmerzmittel das einziege was ich noch habe ist Geschmackverlust und das richen ist noch nicht so das ware aber auch den Sauerstof habe ich noch der mus vieleicht für immer bleiben den wenn ich ihn ab mache rutscht er au 85% Ihr Peter Widmann
Sonntag, 07.November, 23:53 Uhr
Gaby Flossmann
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Lieber Herr Prof.Dr.Dr.Hermann,
mit Interesse habe ich diesen Bericht gelesen und freue mich sehr darüber! Ich bin von Beruf Musiktherapeutin und schätze es sehr, dass Sie diese Offenheit mitbringen und bedanke mich ganz herzlich dafür! Ich selber singe auch und sehe da auch Potential zur Gesunderhaltung und Gesundwerdung. Vielen Dank Ihnen und herzliche Grüße aus Passau nach Hamburg, Gaby Flossmann