Sie ermordet ihren Bruder, ihre eigenen Kinder und die neue Ehefrau ihres Ex Jason: Medea wütet durch Luigi Cherubinis Revolutionsoper und ist dabei sehr redselig. An der Berliner Staatsoper ermüdet das vor allem szenisch: Korinth als Zollfreilager. Am 8. Oktober war Premiere der Inszenierung von Andrea Breth, am Pult der Staatskappelle Berlin stand Daniel Barenboim.
Bildquelle: © Bernd Uhlig
Drei Stunden Ausnahmezustand, Wahnsinn, Hysterie, Pathos, das ist nicht nur heroisch, sondern auch ziemlich anstrengend. Doch damals, im März 1797, als Luigi Cherubinis "Médée" in Paris uraufgeführt wurde, war die Französische Revolution gerade erst acht Jahre vorbei, der blutige Terror soeben überstanden, da war das Publikum sowohl an Heldentaten, als auch an endlose Zeremonien, Grausamkeiten und Leidenschaften gewöhnt. Heute dagegen hat es diese Art Revolutionsoper schwer, zumal in Deutschland, wo der unfassbar theatralische, gestelzte, eben auch zeremonielle und damit oberflächliche Klassizismus nie sonderlich in Mode war.
Mit Sonya Yoncheva als Medea | Bildquelle: © Bernd Uhlig Dieser Eindruck bestätigte sich auch bei der gestrigen, hochkarätig besetzten Premiere an der Berliner Staatsoper. An Generalmusikdirektor Daniel Barenboim lag es freilich nicht, dass über weite Strecken Langeweile aufkam. Ganz im Gegenteil, er befeuerte die Staatskapelle so emsig und mit so viel Körpereinsatz, dass diese "Medea" als Tongemälde so aufwühlend wie unterhaltsam war. Cherubini verstand, seine Zuhörer mit Donner und Blitz zu beeindrucken, komponierte Wut und Verzweiflung durchaus packend. Das Problem sind einerseits die gesprochenen, völlig blutleeren Dialoge, andererseits die geradezu nervtötende Redseligkeit der Hauptfigur: Medea muss seitenlange Arien singen, all ihre Emotionen erklären statt spielen, auch sämtliche Stimmungswechsel wortreich erläutern, während sämtliche Nebenrollen nur Stichwortgeber sind, auch Jason, der Held, dem sie das berühmte Goldene Vlies verschafft hat, auf das er seine weitere Karriere aufbaut.
Dieses extreme Ungleichgewicht setzt eine Hauptdarstellerin voraus, die gesanglich in der Lage ist, feine und feinste emotionale Abstufungen glaubwürdig zu artikulieren. Nicht von ungefähr war Maria Callas eine der größten Künstlerinnen in dieser Opern-Rolle und spielte Medea schließlich auch im legendären Film von Pier Paolo Pasolini 1969. Mit so viel Präsenz ist die bulgarische Sopranistin Sonya Yoncheva bei weitem nicht gesegnet, was kein Vorwurf ist. Sie sang in Berlin achtbar, wurde dafür auch mit herzlichem Applaus belohnt, aber insgesamt war sie viel zu eindimensional, gleichförmig und unbewegt in Ausdruck und Stimme. Es reicht eben nicht, Cherubinis Text mit rollenden Augen und wilder Mähne zu deklamieren. Viel mehr war der prominenten Regisseurin Andrea Breth für die Titelpartie leider nicht eingefallen. Ihre große Stärke, auf optische "Mätzchen" und unpassende Modernisierungen zu verzichten, die Stücke stattdessen sorgfältig zu lesen und ungemein ernsthaft, ja streng zu bebildern, wirkte in diesem Fall konfus bis unentschlossen.
Iain Paterson (König Créon) und Sonya Yoncheva (Medea) | Bildquelle: © Bernd Uhlig Sie machte aus Medea eine exotische, allzeit überspannte Megäre, die weder schmeichelt, noch taktiert, wie es Cherubini eigentlich vorsieht. Stattdessen ist sie von Anfang bis Ende derart außer sich, dass völlig rätselhaft blieb, warum dieser wahnsinnigen Hysterikerin allerlei diplomatische Zugeständnisse gemacht werden. Immerhin wird sie durch König Créon begnadigt, darf vorerst in Korinth bleiben und ihre Kinder noch mal sehen. Unter den Nebenrollen überzeugte vor allem Marina Prudenskaja als Medeas Gefährtin Néris, während Charles Castronovo als Jason blass blieb und Elsa Dreisig als Dircé viel zu exaltiert sang und zu panisch spielte, um ein interessanter, vielschichtiger Charakter zu sein. Ausstatter Martin Zehetgruber hatte lauter Lagerhallen mit Rolltoren entworfen, in denen sich der Plunder stapelte, den Medea und Jason vom Schwarzen Meer mitgebracht haben: Kistenweise Kunstwerke, darunter auch der imposante Widderkopf mit dem daran hängenden goldenen Fell. Eine triste Kulisse wie im Zollfreilager irgendeines Hafens, und darüber monströse Ablufthauben. Dieses Korinth weiß mit dem Krempel augenscheinlich gar nichts anzufangen.
Am Ende geht alles in Flammen auf, mittendrin steht ein kopfloses Pferd: Da würden neun von zehn Opernbesuchern, die das Foto der Szene sehen, auf Wagners "Götterdämmerung" tippen. Zu Cherubinis "Medea" passte das alles nicht, weil diesem düsteren Antiken-Drama jede romantische Attitüde fehlt. Der 75-jährige Daniel Barenboim stolperte beim Schlussapplaus übrigens mit einem Bein über den Souffleurkasten und ging in die Knie, eine Schrecksekunde, nach der er triumphierend den Daumen reckte. So gingen die Zuschauer, von denen einige die Regie ausgebuht hatten, doch noch vergleichsweise erleichtert nach Hause.
Sendung: "Leporello" am 8. Oktober 2018 ab 16:05 auf BR-KLASSIK
Kommentare (0)