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Der Pianist Maurizio Pollini ist 80 geworden Ein höflicher Revoluzzer

Er ist einer der besten. Ohne Frage. Maurizio Pollini zählt zu den größten Pianisten unserer Zeit. Technisch ist er so perfekt wie vielleicht kein anderer. Dazu zurückhaltend im Auftreten, und doch ein Mann fürs Revolutionäre. Und für die Revolutionäre. Wie kein anderer Starpianist, setzt sich der Mailänder auch für zeitgenössische Musik ein. Und wurde dafür 1996 mit dem Ernst von Siemens Musikpreis belohnt – auch bekannt als "Nobelpreis der Musik". Am 5. Januar wurde Pollini 80 Jahre alt. Tobias Stosiek porträtiert die Klavierlegende.

Bildquelle: picture-alliance/dpa

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Erst sprechen, dann spielen – das hatte Maurizio Pollini eigentlich vor, im Dezember 1972. Der Pianist gastiert in Mailand, seiner Heimatstadt. Chopin steht auf dem Programm. Aber Pollini will reden. Über Vietnam, den Bombenkrieg der Amerikaner. Nichts, was das Publikum hören möchte. Pollini wird niedergeschrien, das Konzert abgebrochen. Und den 30-Jährigen umweht fortan der Ruf eines "Skandalpianisten".

Integrität und Neugier

Interessant ist diese Episode in mehrfacher Hinsicht. In ihrem Licht wirkt die Erregung um den Aktivismus eines Igor Levit wie ein Déjà-vu. Anscheinend ist das politische Wort im streng ritualisierten Klassikbetrieb noch immer ein Fremdkörper. 50 Jahre hin oder her. Museen bleiben eben stabil. Zum anderen erzählt diese Geschichte etwas über den Künstler und Menschen Maurizio Pollini: seine Integrität – und seine Neugier.

Erst über sein Interesse an zeitgenössischer Musik habe er sich auch als politischer Zeitgenosse entdeckt, hat Pollini mal erzählt. Eine entscheidende Rolle spielte dabei sein Freund, der Komponist Luigi Nono, selbst bekennender Kommunist. Neben ihm sind es vor allem die Namen von Pierre Boulez oder Luciano Berio, die in Pollinis Konzertprogrammen regelmäßig auftauchen. Genauso die drei Kreuzritter der musikalischen Moderne: Webern, Berg, Schönberg.

Steile Karriere

Maurizio Pollini, 1960 in Warschau nach dem Gewinn des Chopin-Wettbewerbs | Bildquelle: picture-alliance/dpa Maurizio Pollini, 1960 in Warschau nach dem Gewinn des Chopin-Wettbewerbs | Bildquelle: picture-alliance/dpa Pollini ist anspruchsvoll. Gegenüber sich selbst – und gegenüber dem, was er spielt. In sein Repertoire nehme er nur auf, womit er sich ewig beschäftigen könne, ohne dass ihm langweilig werde, sagt er. Dabei hätte er es sich und seiner Karriere sicher leichter machen können. 1960 gewinnt er den Chopinwettbewerb, als 18-Jähriger. Überzeugt mit seinem straighten, sturmwindigen Spiel. Besonders die Etüden klingen unter seinen Händen mitreißend unsentimental.

Technisch stecke Pollini sämtliche Jurymitglieder in die Tasche, räumt sogar der Juryvorsitzende damals ein. Sein Name: Arthur Rubinstein. So beginnen steile Karrieren.

Mentor Arturo Benedetti Michelangeli

Pollini verzichtet allerdings dankend. Ist genervt davon, vor allem als Chopinspieler wahrgenommen zu werden. Merkt außerdem, dass ihm die vielen Konzerte wenig Raum lassen, zu lernen. Also reduziert er – und nimmt Privatstunden bei Arturo Benedetti Michelangeli, dem klaviertechnischen Feinmechaniker schlechthin.

Eine glückliche Kombination. Die zwei ähneln sich. Strenge und Natürlichkeit strahlen sie beide aus. Wobei Michelangeli mehr in die aristokratische Richtung tendiert. Kühle Noblesse. Pollini, der sich in den 70er-Jahren als Sozialist outet, ist mehr für die Attacke zu haben.

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Maurizio Pollini plays Schönberg's op.11 and Beethoven's Hammerklavier (LIVE in Paris 2009) | Bildquelle: verklaertenacht1899 (via YouTube)

Maurizio Pollini plays Schönberg's op.11 and Beethoven's Hammerklavier (LIVE in Paris 2009)

Beethoven mit konzentrierter Brutalität

Man kann das seinem Prokofjew genauso anhören wie seiner ... pardon: Beethovens Hammerklaviersonate. Die klingt so, als sei sie nur für ihn komponiert worden. Unnachahmlich: diese konzentrierte Brutalität. Pollini bringt sie auf die Tasten wie kein anderer.

Der Musikkritiker Joachim Kaiser, der Pollini beim Tischtennisspielen kennengelernt hat, hat ihm mal attestiert, "beklemmend wohlerzogen" zu sein. Soweit der Tischtennisspieler. Als Klavierspieler aber bleibt Pollini bis heute den Revoluzzern treu. Nicht den Museumsangestellten, sondern denen, die in ihrer Zeit auf die Grenzen des musikalisch Sagbaren gepfiffen haben. Ob sie nun Beethoven und Boulez heißen.

Alle großen Komponistinnen und Komponisten waren auf ihre Art revolutionär!
Maurizio Pollini

Sendung: "Allegro" am 5. Januar 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Pollini auf BR-KLASSIK

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