Für seine Oper "Idomeneo" war der damals 25-jährige Wolfgang Amadeus Mozart in regem Austausch mit den Sängerinnen und Sängern, die bei der Uraufführung auf der Bühne stehen sollten: "Welchen Stimmumfang hast du, welche Ausdauer, was sind deine stilistischen Vorlieben?" So konnte Mozart ihre Stärken und Schwächen bei den vier Hauptrollen der Oper berücksichtigen. Natürlich auch aus Eigeninteresse: "Idomeneo" sollte für Mozart zu einem Erfolg werden! Und der war für den Komponisten vorhersehbar, "wenn die Musik einem Sänger so accurat angemessen ist - wie ein gut gemachtes Kleid."
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Ilia
Mit Dorothea Wendling, der ersten Interpretin der Ilia, war Mozart befreundet. Die Stuttgarterin galt als eine der hervorragendsten Sopranistinnen Europas. Dazu muss man wissen: Im 18. Jahrhundert singt die Primadonna in der Opera seria des 18. Jahrhunderts, also der "ernsten" Oper, normalerweise eine "Aria di bravura" und eine "Aria cantabile". Doch Mozart favorisiert für Ilia nur die ruhige "Aria cantabile" ohne Gegenstück. Warum keine Bravourarie? Der Komponist wusste, was der Stimme der Sopranistin zumutbar sein würde. Dorothea Wendling war nämlich in den reiferen Jahren angekommen. Eine Arie im Allegro-Koloratur-Gestus mit schnellen, hohen Läufen und gewagten Tonsprüngen kam für sie nicht mehr infrage.
So ist die (für Ilias Selbstdarstellung wichtigste) Solonummer "Se il padre perdei" im 2. Akt sehr kantabel, liedhaft gehalten. Mozart wäre aber nicht Mozart, hätte er nicht noch einen cleveren Trick im Ärmel. Denn zur Sopranstimme kommt ein verschwenderisches instrumentales Gewand aus vier konzertierenden Blasinstrumenten. Mit den Bläsern kompensiert er die eingeschränkten Möglichkeiten seiner ersten Ilia. Übrigens kamen Mozart die offensichtlichen stimmlichen Mängel Dorothea Wendlings gar nicht ungelegen: Denn aufwändige Läufe, Sprünge – eben Koloraturen – mochte er sowieso nicht. Wie nannte Mozart sie doch abfällig? "Geschnittene Nudeln."
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Idomeneo Wien 2013 - Se il padre perdei (Karthäuser)
BR-KLASSIK überträgt Mozarts "Idomeneo" am 24. Juli ab 18:00 Uhr live aus dem Münchner Prinzregententheater. Die Oper ist die letzte Neuproduktion der Ära Nikolaus Bachler als Staatsopernintendant in München. In den Hauptrollen sind Matthew Polenzani (Idomeneo), Hanna-Elisabeth Müller (Elettra), Olga Kulchynska (Ilia) und Emily D'Angelo (Idamante) zu erleben. Die musikalische Leitung hat Constantinos Carydis.
Elettra
Elisabeth Wendling, die zehn Jahre jüngere Schwägerin von Dorothea, war die erste Interpretin der Elettra. Für diese Partie ist die "Aria agitata" prägend, die musikalisch einen verzweifelten Menschen skizzieren soll. Typisch sind ständige Unterbrechungen des melodischen Flusses, viele Wiederholungen kurzer Motive, kleine Intervallschritte. Mozart unterdrückt weitgehend Koloratur und gesangliche Linien, legt Elettra stattdessen deklamatorisch, also sehr ausdrucksstark an. Die Neuheiten, zu denen Mozart findet, äußern sich vor allem in der Orchesterbegleitung – abseits des Üblichen.
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Anja Harteros - Tutte Nel Cor Vi Sento - Idomeneo
Idamante
Der italienische Altkastrat Vincenzo dal Prato war als Einziger in Mozarts Alter. Für ihn war die Rolle des Idamante konzipiert. In der Auftrittsarie des 1. Aktes "Non ho colpa" würde man eigentlich Koloraturen erwarten. Doch Mozart hat hier kantable Episoden aus betont kurzen Phrasen eingesetzt – ein deutlicher Hinweis auf die Kurzatmigkeit von Vincenzo dal Prato. Aus der stimmlichen Not des Sängers machte der Komponist eine Tugend. Die Auftrittsarie des Idamante gestaltet Mozart noch traditionell, doch bei den beiden folgenden Arien der Figur bricht er Konventionen.
Die Arie am Ende des 1. Aktes ist von lakonischer Knappheit. Hier signalisiert Mozart seinen Eigensinn: Er verzichtet auf jegliche prunkvolle Gestaltung in Tönen und lenkt die Aufmerksamkeit auf die Situation, den Ausdruck, die Betonung des musikalischen Dramas. Mit den stimmlichen Problemen des Altkastraten hadert Mozart dann wieder bei der Arie Idamantes im 3. Akt. Am liebsten hätte der Komponist sie für die Uraufführung in letzter Minute gestrichen – doch damit kam er nicht durch.
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Jerry Hadley - Idomeneo - Non ho colpa - Mozart - 1983 Salzburg
Idomeneo
Der Tenor Anton Raaff stammte aus der Heimat Beethovens, der Gegend um Bonn. Vor allem in Italien und Wien machte er Karriere. Den Herbst seiner Laufbahn verbrachte er am Mannheimer und Münchner Hof des bayerischen Kurfürsten Carl Theodor – des Auftraggebers Mozarts im Fall "Idomeneo". Das Alter von Anton Raaff, als er die Titelrolle in Angriff nahm? 66 Jahre! Noch mehr als Dorothea Wendling hatte der Tenor den Zenit seiner stimmlichen Leistungsfähigkeit überschritten.
Mozart kannte den Mann schon länger. Seine Schilderungen der Singweise Raaffs dokumentieren eine scharfe und feinsinnige Beobachtungsgabe. Was er Raaff vor allem ankreidete: eine steife Darstellung, die überzogene Ausführung der Rezitative und ein uneinheitlicher Gesangsstil. Mozart kritisierte insbesondere Raaffs Eigenart, das Cantabile, also die lyrisch-getragene Musik, unangemessen üppig auszuzieren. Positiv bewertete der Komponist hingegen das attraktive Stimmtimbre Raaffs, seine präzise Textwiedergabe und seinen Umgang mit virtuosen Passagen. Dem Sänger dürfte dabei sein langer, gut trainierter Atem zugute gekommen sein.
Mozart gelang es, die Stärken und Schwächen des Tenors in den Dienst der Musik zu stellen. Bei den genannten Vorzügen Raaffs war klar: Das Zentralstück der Rolle sollte eine große Bravour-Arie im 2. Akt sein. Im Text der Arie "Fuor del mar" geht es um den Kampf des Seemanns mit den Elementen. Dieses Naturbild hat Mozart zu reichen Tonmalereien im Orchester inspiriert – mit typischer Trompetenbesetzung, wie sie einem Primo tenore zusteht. Die langen und kunstvollen Koloraturen bieten dem Sänger Gelegenheit, seine Vorzüge herauszustellen. Raaff konnte inmitten von Dreiklangs-Melodik ausgefallene Figuren und exponierte Haltetöne präsentieren, unter denen das Orchester "arbeitete".
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The Met: Live in HD 2016-2017 Idomeneo - Fuor del mar
Vielleicht hätte Idomeneo noch eine weitere Arie bekommen, nicht aber zwei. Doch auf ausdrückliches Verlangen Raaffs fügte Mozart am Ende des 3. Aktes noch eine zusätzliche "Aria cantabile" ein. In den Augen des Sängers war die Arie des 1. Aktes nämlich "nicht cantabile genug". Genau diesen Stil beherrschte Raaff aber immer noch, und das wollte er demonstrieren. Hätte Mozart mit einem anderen Gesangsensemble zusammengearbeitet – die Musik des "Idomeneo" wäre anders ausgefallen.
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