Wer am Wochenende alle Premieren der Münchener Biennale besuchen wollte, musste eine logistische Meisterleistung vollbringen – Uraufführung folgte auf Uraufführung. Nach dem Premierenmarathon kann man zumindest eines festhalten: Vielfalt ist hier wirklich Programm, auch wenn das Motto der Biennale "Privatsache" lautet.
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Münchener Biennale 2018
Ein Kollegengespräch über den Premierenmarathon
Die Eröffnungspremiere "Wir aus Glas" passt nicht nur exzellent zum Thema "Privatsache", sondern macht auch ziemlich viel Spaß. Das Team rund um den Komponisten Yasutaki Inamori, die Librettistin Gerhild Steinbuch und Regisseur David Herman führt uns mitten in die Kommunikationsticks einer schrecklich schrägen Familie oder Kleingruppe, die sich an einem wundersamen Ort befindet. Ein verdorrter Ast hinter Glas ist zu sehen, es gibt Bad und Schlafzimmer, einen Salon.
"Wir aus Glas" bei der Münchener Biennale | Bildquelle: © Eike Walkenhorst
Der Clou ist die ständige Interaktion von Sängern, Schauspielern und Musikern, alle reagieren immer wieder aufeinander. Viel wird geplappert, dazu geigt es aus der Dusche, das Cello muss sich gegen einen Staubsauger behaupten. Während eines ausführlichen Dinners gerät die Chose vollends aus dem Lot, einige Choristen sitzen im Publikum und geben ihren Senf dazu. Das Publikum sitzt übrigens auf zwei beweglichen Tribünen, auch die Bühne fährt immer mal wieder lautlos vor und zurück. "Wir aus Glas" ist berührend, komisch, auch mal die Hörnerven strapazierend, ein wenig kulinarisch, durchs Mäandern von Tribünen und Bühne wunderbar verspielt – ein gelungener Auftakt!
Deutlich ernster war "Ein Portrait des Künstlers als Toter", hier erzählt Schauspieler Daniele Pintaudi von tragischen Schicksalen während der argentinischen Militärdiktatur. Er führt das Publikum durch mehrere Räume bis in eine verlassene Wohnung, aus der jemand verschleppt wurde, oder flüchtete, oder – nun – ganz klar wird das nicht. Ein feines Vexierspiel mit gezieltem Verwirbeln von Realität und Theatralität ist das, mit allerdings recht wenig Musik und sehr viel Text.
Wirklich problematisch waren zwei Projekte, die sich auf jeweils sehr spezielle Weise in ihren Konzepten verhedderten. In einem Fall spazierte man gleich dreimal um den Block des Aufführungsortes, unter Leitung eines eher grimmigen Aufpassers. Der Weg führte vorbei an zum Teil merkwürdigen Menschen, einige waren rein zufällig da, andere waren Mitglieder der Neuen Vocalsolisten, die hübsche Miniaturen aus Gesang und Performance boten. Der Effekt nutzte sich jedoch bald ab. Kulminationspunkt war die Begegnung mit einem Roboter in einer großen Kunststoffmembran, "Bubble<3" heißt das Stück.
"Skull ark, upturned with no mast" bei der Münchener Biennale | Bildquelle: © Smailovic
Blieb diese Aufführung letztlich eine eher harmlose Kunstblase, so geriet Clara Iannottas "Skull ark, upturned with no mast" zum echten Ärgernis. Im Programmheft wird über Facebook, den Verlust von Privatsphäre, die symbiotische Beziehung eines Gießkannenschwamms mit einem Garnelenpärchen erzählt, auf der Bühne stehen vier Musiker in einem Geflecht aus Stahlstreben und Neonröhren und veranstalten Krach. Mal blitzt es, dann wird es kurz dunkel, eine Tänzerin gibt es angeblich auch, die war von den hinteren Reihen aus jedenfalls nicht zu sehen. Iannottas Musik klingt fast konstant laut, aggressiv, rumpelrhythmisch, ein paar fein ausgestaltete Passagen entschädigen kaum für eine Dreiviertelstunde Musik mit wenig Sinn, Sinnlichkeit, Dringlichkeit – ein Angriff auf die Privatsphäre von Ohren, Augen und Gehirn.
Sendung: "Leporello" am 4. Juni 2018 ab 16:05 Uhr in BR-KLASSIK
Die Münchener Biennale 2018 findet vom 2. bis 12. Juni statt.
Informationen zu Programm und Vorverkauf gibt es auf der Homepage des Festivals.