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Musizieren im Alter Es ist nie zu spät!

Früher keine Möglichkeit gehabt, um ein Instrument zu lernen? Oder keine Zeit? Kein Geld für Musikunterricht? Oder aber die Geige lag Jahrzehnte auf dem Dachboden und wird nach dem Berufsleben wieder ausgepackt: Immer mehr Senioren beginnen im Alter (wieder) zu musizieren. Denn dafür ist es nie zu spät! Allerdings mit ein paar Einschränkungen...

Alte Menschen machen Musik im Altenzentrum Haus Salem. | Bildquelle: picture alliance/Ulrich Baumgarten

Bildquelle: picture alliance/Ulrich Baumgarten

"Es ist wirklich nie zu spät", sagt Eckart Altenmüller, Professor für Musikphysiologie und Musikermedizin in Hannover. Wer im Alter noch ein Instrument erlernen möchte, sollte es ruhig wagen. "Es hängt einfach davon ab, wie viel Freude, wie viel Zeit und wieviel Interesse man in das Instrumentalspiel als älterer Mensch investieren kann - oder in die Stimme. Man kann auch mit 80 noch beginnen, ein Instrument zu lernen." Eckart Altenmüller kennt sich aus. Gerade untersucht er in einer umfangreichen Studie, wie sehr sich das Gehirn im Alter noch verändert, wenn man mit Musikunterricht beginnt.

Wunderapparat Gehirn: Vernetzung über Jahrzehnte

Eines steht auf jeden Fall fest: Wer sein Leben lang gelernt hat, tut sich auch leichter damit, im Alter noch ein Instrument neu zu lernen. Aber auch Menschen, die in der Kindheit aktiv musiziert haben sind im Vorteil. Denn die Vernetzungen im Gehirn, zwischen Fingern und Gehör beispielsweise, gehen nicht verloren, sagt Eckart Altenmüller: "Diese Nervenverbindungen bleiben unterschwellig erhalten und können dann 50, 60 oder auch 70 Jahre später relativ schnell wieder aktiviert werden." Das treffe im übrigen auch dann zu, wenn man sich im Alter für ein vollkommen anderes Instrument entscheidet. Instrumentalunterricht für Kinder lohnt sich also - selbst dann, wenn es nur wenige Monate ist. "Es ist nie verlorene Zeit!", so Altenmüller.

5 Fakten zum Musizieren im Alter

  • Unser Gehirn besitzt im Normalfall bis ins hohe Alter die Fähigkeit zu lernen
  • Die Stimme verändert sich im Alter: vor allem Frauen verlieren in der Regel an Tiefe, spezielle Seniorenchöre nehmen darauf Rücksicht
  • Die Zahl der Seniorinnen und Senioren, die in Deutschland eine Musikschule besuchen, steigen: aktuell sind rund 2 Prozent aller Schüler über 60
  • Aktives Musizieren im Alter kann der Entstehung einer Alzheimer-Demenz entgegenwirken
  • Weiterbildungen für angehende Musikgeragogen gibt es deutschlandweit

Veeh-Harfe - Das kann jeder!

"Ich stand mit Noten immer auf Kriegsfuß", sagt Irmgard Tori. Die 69-Jährige hat sich seit der Schulzeit nicht mehr mit Noten beschäftigt. Ein paar Instrumente hat sie neben dem Beruf ausprobiert, dies aber schnell wieder aufgegeben. "Es hat einfach die Zeit gefehlt, richtig zu üben.", sagt sie. Vor ein paar Jahren hörte sie von einem recht einfachen Instrument, das man spielen kann ohne Noten lesen zu müssen: Die Veeh-Harfe.

hermann Veeh spielt auf der 37-saitigen "Veeh-Harfe". | Bildquelle: (c) Theo Hartogh Hermann Veeh, der Erfinder der "Veeh-Harfe". | Bildquelle: (c) Theo Hartogh Die Veeh-Harfe erinnert optisch an ein Hackbrett, die Saiten werden aber mit den Fingern gezupft. Das Besondere an der Veeh-Harfe ist, dass nicht nach der normalen Notenschrift gespielt wird. Für jedes Stück gibt es einen eigenen Papierbogen, der mit schwarzen Punkten und Linien bedruckt ist. Der wird unter die Saiten des Instruments geschoben. Die Punkte zeigen dem Spieler an, welche Saite er wann zupfen muss. Dafür muss man also keine Noten lesen können. Nur: Wie die Länge der einzelnen Notenwerte notiert ist, muss man schon lernen. Das geht aber recht schnell.

Musikgeragogik - Fachdisziplin mit Zukunft

Wodurch unterscheidet sich Musizieren mit Senioren eigentlich vom Instrumentalunterricht für Kinder? Beim Musizieren im Alter gibt es einige Besonderheite zu beachten: So gibt es beispielsweise körperliche Einschränkungen in der Beweglichkeit, die ein Lehrer beachten muss. Dass das Notenbild unter anderem größer gedruckt sein muss, ist nur ein kleiner Aspekt.

Ansgesichts des demographischen Wandels rückt die Fachdisziplin Musikgeragogik zunehmend in den Fokus. 2009 gründete Hans Hermann Wickel zusammen mit Theo Hartogh die Deutsche Gesellschaft für Musikgeragogik. "Die Menschen im Alter sind heute selbstbewusster geworden, sie trauen sich mehr zu und möchten gefordert werden", so Wickel. "Die strömen auch nochmal stärker nach außen, wenn sie in den Ruhestand gehen, suchen Anschluss und möchten auch irgendwie noch mitwirken." Eigens gegründete Seniorenchöre oder Ensembles 60+ sind hier ideal.

Ausbildung zum Musikgeragogen

Als zertifizierte Weiterbildung z.B. für Musikpädagogen in Form von Kursen, in Bayern z.B. an der Musikakademie Hammelburg.

Männerchor Reisach | Bildquelle: © Bayerischer Rundfunk 2019 Männerchor Reisach | Bildquelle: © Bayerischer Rundfunk 2019 Zugleich steigt die Zahl der Seniorinnen und Senioren, die im Alter noch eine Musikschule besuchen. So waren 2018 knapp zwei Prozent der Schülerinnen und Schüler im Verband deutscher Musikschulen über 60 Jahre alt. Im Jahr 2000 machte der Anteil von Senioren hier nur 0,6 Prozent aus. Rudi Essigkrug ist 72 Jahre alt und besucht die Musikschule Ismaning. Während des Beruflebens hatte er keine Zeit dafür, aber als er in Rente ging, erfüllte er sich den Traum, Kontrabass zu lernen - nachdem er 25 Jahre lang davon geträumt hatte: "Ich kann das nur jedem empfehlen, dass er sowas macht", schwärmt er. Die neue Tätigkeit erfüllt ihn, vor allem seit er in mehreren Ensembles mitspielt.

Lebenselixier Singen - Seniorenchöre

"Wir kommen mir grauen Gesichtern oft rein und gehen mit strahlenden Gesichtern raus", schwärmt Heidi Breimesser. Die 72-Jährige singt im Münchner Rock- und Popchor loud and proud mit. "Es ist eine unheimliche Bereicherung für uns und unser Dasein als alte Menschen." Das Repertoire reicht von den Beatles bis in unsere Zeit. Chorleiter Sebastian Frank transponiert viele Songs in eine tiefere Lage, denn auch die Stimme verändert sich im Alter. "Was man sehr stark merkt, ist Klangfarbe und vor allem auch Abnahme der Höhe, wenn man eben nicht ausgesprochenes Training hat. Frauenstimmen werden auch tiefer, Männer verlieren hingegen an Tiefe", weiß Kai Koch, Professor für Musikpädagogik in der Sozialen Arbeit an Katholischer Stiftungshochschule München. Er hat unter anderem eine Internetseite ins Leben gerufen, wo interessierte Seniorinnen und Senioren einen Chor in ihrer Nähe finden können.

Musizieren kann gerade bei Menschen mit einer fortgeschrittenen Alzheimer-Demenz dazu führen, dass sie wieder wieder eine Art Ankerpunkt für ihr Leben finden.
Eckart Altenmüller, Musikmediziner

Demenz - Aktives Musizieren kann vorbeugen

Prof. Eckart Altenmüller. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Musikmediziner Prof. Eckart Altenmüller | Bildquelle: picture-alliance/dpa Das Singen steht auch in vielen Alten- und Pflegeeinrichtungen im Fokus. Viele Heimbewohnerinnen und Heimbewohner leiden an Demenz. Was kann Musik da bewirkten? Eines ist klar: Heilen kann Musik die Demenz nicht. Aber rechtzeitiges aktives Musizieren kann vorbeugen, dass es überhaupt so weit kommt, sagt Eckart Altenmüller: "Wir alle gehen davon aus, dass aktives Musizieren als eine sehr anspruchsvolle Tätigkeit sowohl motorisch als auch kognitiv die kognitiven Reserven anhebt. Das heißt, unser Gehirn hat mehr Verschaltungen und ist für komplexere Vorgänge geübt." Dadurch tritt eine Demenz erst sehr viel später auf als es ohne Musizieren der Fall wäre. Das belegt eine Studie von Joe Verghese. Er hat knapp 500 Seniorinnen und Senioren über 75 untersucht, die nicht von Demenz betroffen waren. Er befragte sie nach ihren Alltagsbeschäftigungen. Fünf Jahre später untersuchte er dieselben Personen erneut. Das Ergebnis war erstaunlich: "Aktives Musizieren, Tanzen und Schachspielen - Das waren die drei Aktivitäten, die den meisten protektiven Effekt zur Verhinderung der Entwicklung einer Demenz hatten", so Altenmüller.

Sendung: Das Musik-Feature am 29. November um 19.05 Uhr und am 30. November um 14.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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