Am Freitag, den 20. November, debütierte die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Das Konzert fand wegen des coronabedingten Lockdown light im November nur als Videostream, ohne Publikum statt.
Bildquelle: Oleh Pavliuchenkov
Vier Frauen stehen in der laufenden Saison beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks am Pult. Als Erste kommt die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv, die in Lwiw, dem alten Lemberg, studiert hat und frühe Erfahrungen bei den Bamberger Symphonikern sammelte. Bekannt wurde Oksana Lyniv als Assistentin von Generalmusikdirektor Kirill Petrenko an der Bayerischen Staatsoper, wo sie bald selbst Aufführungen und Premieren leitete. Nach einer Zwischenstation als Chefdirigentin der Oper Graz folgt nächstes Jahr ein vorläufiger Höhepunkt ihrer Karriere: Im Sommer 2021 debütiert Oksana Lyniv mit Wagners "Fliegendem Holländer" bei den Bayreuther Festspielen.
Die erste Dirigentin bei den Bayreuther Festspielen zu sein, ist für Oksana Lyniv "eine unglaubliche Ehre". | Bildquelle: Oksana Lyniv, Fotograf: Serhiy Horobets Als die Festspielchefin Katharina Wagner diese Besetzung bekannt gab, ging die Nachricht durch die Presse: "Erste Frau am Bayreuther Pult überhaupt". Seit 1876 haben 92 Männer die Opern von Richard Wagner bei den Bayreuther Festspielen musikalisch geleitet, die erste Frau ist da schon eine kleine Sensation. Oksana Lyniv geht diese Fokussierung auf ihr Geschlecht auf die Nerven. "Für jeden Künstler ist ein Angebot aus Bayreuth etwas Besonderes", sagt sie. "Meine weiblichen Kolleginnen und ich warten eigentlich nur darauf, dass es aufhört, sich ständig um dieses Thema zu drehen." Im 21. Jahrhundert sollte die Gleichberechtigung längst angekommen sein, so Lyniv.
Wir freuen uns alle, dass es immer mehr tolle, begabte, charismatische Frauen gibt, die Dirigentinnen werden.
Leider bleiben die Frauen am Dirigentenpult der großen Symphonieorchester und Opernhäuser immer noch eine Ausnahme. Oksana Lyniv setzt große Hoffnungen in den Nachwuchs: "Wir freuen uns alle, dass es immer mehr tolle, begabte, charismatische Frauen gibt, die Dirigentinnen werden." Sie ist fest davon überzeugt, dass in spätestens zehn Jahren der Frauenanteil in der Dirigentenwelt bei mindestens 25 Prozent liegen sollte.
Die Ukrainerin geht heute schon mit einem guten Beispiel voran: Sie hat eine steile Karriere hingelegt – in einer klar von Männern dominierten Welt. Um an gute Positionen zu kommen, müsse man erst einmal durch die Stereotypen-Wand durch, sagt Oksana Lyniv. In ihrer Studienzeit musste sie einige abwertende Bemerkungen ihrer männlichen Kollegen einstecken. Ein Erlebnis ist der Dirigentin besonders in Erinnerung geblieben: In einem Meisterkurs mit dem Stardirigenten Kurt Masur musste die Studentin sich anhören, sie wäre zu nichts fähig. "Wozu machst du das, wenn du sowieso nicht ernst genommen wirst", soll Masur öffentlich zu ihr gesagt haben. "Heutzutage wäre es unmöglich, in der Öffentlichkeit solche Sachen auszusprechen", sagt die heute 42-Jährige. "Die Zeiten sind Gott sei Dank anders."
Dirigentin Oksana Lyniv | Bildquelle: Alescha Birkenholz Für ihr Debüt beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks hat Oksana Lyniv eigentlich Auszüge aus Wagners "Götterdämmerung" vorgesehen – wegen der Großbesetzung in Corona-Zeiten leider nicht realisierbar. Stattdessen setzte die Dirigentin zwei Standardwerke des klassisch-romantischen Repertoires aufs Programm: Mendelssohns "Italienische" und Mozarts Sinfonia concertante für Violine und Viola KV 364. Das Konzert fand wegen des coronabedingten Lockdown light nur als Videostream statt, ganz ohne Publikum. Für die Dirigentin hat es aber nicht nur Nachteile: So ein "Geisterkonzert" in einem leeren Konzertsaal vergleicht sie mit einem Seelenzustand, wenn man eine leere Kirche betritt, mit einem Bedürfnis nach einem Gebet. "Man ist dann allein im Raum, aber ganz tief in seinen eigenen Gedanken – und man wendet sich an etwas Höheres." Es gebe kein Applaus, nichts Effektvolles oder Feierliches. Die Musikerinnen und Musiker können so ganz frei ihrem Bedürfnis nachgehen, "durch die Musik die Gefühle sprechen zu lassen".
Video ansehen:
aus dem Herkulessaal der Münchner Residenz
Konzert des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks
Leitung: Oksana Lyniv
Solisten: Jehye Lee, Violine; Tobias Reifland, Viola
Wolfgang Amadeus Mozart: Sinfonia concertante Es-Dur, KV 364
Felix Mendelssohn Bartholdy: Symphonie Nr. 4 A-Dur - "Italienische"
Sendung: "Leporello" am 19. November 2020 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (3)
Mittwoch, 25.November, 15:33 Uhr
Wilfried Schneider
Debüt Oksana Lyniv
Ja, ja, Herr Meier, ihr musikalisches Gehör ist wohl doch ideologisch (Frau als Dirigentin, igittigitt) beeinflusst worden. Hat Ihr Internet nicht richtig funktioniert? Ich hoffe jedenfalls, dass Frau Lyniv bald wieder am Pult des BRSO steht, dann hoffentlich wieder vor Publikum (bitte ohne Herrn Söder!). Und danke für die mir unbekannte Fassung der Mendelssohn-Sinfonie! Und zum Schluss: wenn man Patzer hören will, hört man sie auch, auch wenn sie nicht vorhanden sind. Außerdem: das war ein Livekonzert! Und: ich habe Frau Lyniv immer gerne und mit Freude zugehört und zugesehen, ihre Eleganz beim Dirigieren ist faszinierend.
Montag, 23.November, 13:45 Uhr
Georg Meier
Debüt Oksana Lyniv
Eine Dirigentin am Pult des Orchesters: das Feuilleton wird begeistert sein. Hat man aber nicht ideologisch sondern musikalisch zugehört, hielt sich die Begeisterung in Grenzen, gerade im Mendelssohn: ungenaue Streicher, Patzer in den Blechbläsern.... Daneben waren für mich Gestik und Mimik von Frau Lyniv nur schwer zu ertragen. Übrigens: ob Mann oder Frau ist mir egal, es kommt auch das Ergebnis an.
Freitag, 20.November, 11:08 Uhr
Wilfried Schneider
Ein leerer Konzertsaal
Für Frau Lyniv toi, toi, toi, hoffentlich sieht man sie in Zukunft öfter beim BRSO. So mancher wäre sicher gerne dabei gewesen, aber der Herr Söder und seine Gesellen halten nichts von klassischer Musik und meinen, was sie nicht interessiert, hat auch andere nicht zu interessieren. Außerdem sind Konzertsäle als sichere Orte für ihn ein Graus. Er zieht volle U- und S-Bahnen für Münchner Bürger vor, denn dort gibt es Viren und die sind systemrelevant für den "Lockdown"!