Vertrieben, vergessen, jetzt endlich wiederentdeckt: Joseph Beer gehört zu den großen Operettenkomponisten des 20. Jahrhunderts. An seinem 115. Geburtstag am 7. Mai erinnern wir an ihn.
Bildquelle: Béatrice Beer
Als Joseph Beer am 23. November 1987 in Nizza stirbt, beschließen seine Frau Hanna und seine beiden Töchter Suzanne und Béatrice zu handeln. Denn seit der Uraufführung seiner Oper Stradella in Vendig 1949 in Zürich, ist Beer nicht mehr aufgeführt worden. Dabei hat er bis zu seinem Tod Tag für Tag komponiert, seiner Frau selbstgeschriebene Libretti diktiert, seinen Töchtern neue Melodien am Klavier vorgespielt. Nur für welche Werke sie bestimmt waren, das wissen sie nicht. Er hat nie ein Wort darüber verloren.
Sie machen sich also auf die Suche, stellen das ganze Haus auf den Kopf. Am Ende des hintersten Gangs im Keller werden sie schließlich fündig: Regale voller Skizzenheften, Manuskripten, Partituren, darunter zwei neue Opern, aber alles ungeordnet, durcheinander in unzähligen Varianten – das Ergebnis von fast vierzig Jahren heimlicher Arbeit. Und sie finden noch etwas: das Aufführungsmaterial einer Operette, 1937 in Zürich herausgekommen und von über 40 Bühnen nachgespielt: "Die Polnische Hochzeit", sein größter Erfolg.
Beers Tochter Béatrice erinnert sich: "Er wollte nichts davon wissen, für ihn war das eine Jugendsünde. Aber ich erinnere mich, wie er einmal mit Tränen in den Augen gesagt hat, dass eine seiner Operetten – nein, er sagte nicht Operetten, sondern Singspiele – dass dieses Werk überall gespielt wurde, sogar in Südamerika. Damals hat er in Wien im Kaffeehaus immer die internationalen Zeitungen gelesen mit Kritiken aus ganz Europa. Das war das einzige Mal, dass er darüber gesprochen hat. Ansonsten lebte er in seinem Zimmer wie ein Eremit, immer komponierend, ohne darauf zu achten, was die anderen taten. Es war nicht ganz einfach mit ihm auszukommen. Er war mehr der Beethoven-Typ als der leichtlebige Operettentyp. Nach dem Krieg hat er nur noch Opern komponiert und wollte von der Polnischen Hochzeit nichts mehr wissen. Als er sich während des Kriegs verstecken musste, flüchtete er sich in die Isolation, wie Beethoven, als er taub wurde. Vor dem Krieg war er im Wiener Operettenmilieu und hat komponiert, was damals in der Luft lag."
1938 hat er Wien verlassen müssen, wo er seit elf Jahren lebt. Dort hat er auch Komposition studiert – gegen den Willen seines Vaters. Der ist Bankier in Lemberg, gehörte zum deutschsprachigen jüdischen Bürgertum der Stadt und hat seinen Sohn zeitlebens unterstützt. Auch in Wien wird er gefördert, zunächst von seinem Professor Joseph Marx, dann von Fritz Löhner-Beda, dem einflussreichen Lehár-Librettisten. Mit ihm schreibt er 1934 seine erste Operette "Der Prinz von Schiras". Und damit beginnt Beers kurze Erfolgsphase, gekrönt von der "Polnischen Hochzeit" 1937 in Zürich. Sie wird in acht Sprachen übersetzt und von über 40 europäischen Bühnen nachgespielt. Geplant ist auch eine Aufführung in Paris, wohin Beer nach dem "Anschluss" Österreichs geflohen war.
Als die Deutschen auch Frankreich besetzen, sitzt Beer in der Falle. Eine Flucht nach London scheitert, aber ihm gelingt es, unter dem Namen Jean-Joseph Bérard bis Kriegsende in Nizza unterzutauchen. Als er erfährt, dass seine Eltern und seine Schwester im KZ ermordet wurden, zieht er sich aus der Öffentlichkeit zurück und lernt seine spätere Frau Hanna kennen, eine Holocaust-Überlebende aus München.
Hanna Beer ist es auch, die nach seinem Tod alle tut, um seine Werke zur Aufführung zu bringen. Zu Lebzeiten hätte ihr Mann das nicht erlaubt. Er hat jede Hilfe strikt abgelehnt. Beers Witwe versucht Verleger und Intendanten für Werk ihres Manns zu interessieren. Doch es dauert bis 2010, dass der renommierte Wiener Musikverlag Doblinger die Rechte an der Polnischen Hochzeit erwirbt. Zwei Jahre später findet die Wiener Erstaufführung statt, nochmal drei Jahre später kommt es zur CD-Produktion mit dem Münchner Rundfunkorchester.
Dazu Tochter Suzanne: "Wenn er das noch erlebt hätte, dass alles viel besser ist als er gedacht hat. Wie uns unsere Mutter erzählt hat, hat er in den 1950er Jahren noch versucht, seine Musik in Paris platzieren, in Wien, in München, in Zürich. Er hat dort mit Theaterdirektoren gesprochen und jedes Mal, wenn er zurückkam, war wieder nichts. Er tat sich schwer, weil er gerade nach dem Krieg sehr kompromisslos war und sich weigerte, mit irgendjemandem Geschäfte zu machen, der mit dem Nazi-Regime zu tun gehabt hatte. Und das war schwierig. Bis in die 70er Jahre waren diese Leute an der Macht. Auch Filmmusik wollte er nicht machen, obwohl er sehr gut dazu geeignet gewesen wäre. Er sagte, Filmemacher respektieren Musiker nicht, schneiden die Musik heraus, wann immer sie wollen. Und das wollte er nicht! Aber er wollte auch kein intellektueller Künstler sein. Ihm war der natürliche Klang wichtig, der ins Ohr geht. Er hat das Publikum respektiert und wollte ihm gute Musik bieten, die es hören und lieben konnte, die nicht primitiv war, sondern wahr."
Die Polnischen Hochzeit ist inzwischen oft nachgespielt worden, zuletzt an der Staatsoperette Dresden (Premiere am 22. April). Und das Theater Regensburg bereitet die Erstaufführung von Beers "Der Prinz von Schiras" für die nächste Spielzeit vor - nach fast 90 Jahren! Und zum 115. Geburtstag am 7. Mai gibt es in Regenburg als Vorgeschmack ein Beer-Konzert mit dem schönen Titel: "Du bist meine große Liebe!"
Sendung: "Operettenboulevard" am 7. Mai auf BR-KLASSIK
Kommentare (0)