Genre-Premiere in Wien: Am Samstag ging an der Volksoper die welterste Mythos-Operette über die Bühne. In "Die letzte Verschwörung" nimmt Komponist und Librettist Moritz Eggert einige Verschwörungsidiotien aufs Korn. Und das ziemlich unterhaltsam. Ein spektakuläres Gesamtkunstwerk!
Bildquelle: Volksoper Wien
"Also, a Operette is des oba ned!", sagte in der Pause ein mit (naturgemäß) junger weiblicher Begleitung angereister Richard Lugner – und flüchtete. Lugner ist in unseren Breiten vor allem als Opernball-"Adabei" bekannt, der – ausschließlich weibliche – Stars für teuer Geld auf Selbigen einlädt und damit gerne und oft alle anderen Gäste überstrahlt. Dass er mit einem derart verstrahlten Unternehmen wie Moritz Eggerts als "Mythos-Operette" bezeichnetem Werk namens "Die letzte Verschwörung" wenig anfangen kann, eh klar!
Wenn in Wien der Begriff "Operette" fällt, noch dazu an der viele Jahre lang recht verschnarchten Volksoper, dann wirkt die Mischung aus durchgedrehten Walzern, schmissigen, aber nie kitschigen Musicalnummern, munteren Verwurstungen der E- und U-Musikgeschichte sowie ganz viel lautstarkem Orchesterzunder für manche sicher wie ein Faustschlag. Gut so!
"Wir müssen uns von der Nostalgie befreien", sagt Komponist Moritz Eggert. Hier geht's zum ausführlichen Interview.
Dazu verhackstückt der in München lebende und lehrende Eggert als sein eigener Librettist hier so ziemlich alles, was in letzter Zeit Verschwörungstheoretikern durch ihre Rüben rauscht. Die absurde Pizza-Connection wird thematisiert – gemeint ist ein angeblicher Kinderschänderring rund um Hillary Clinton, der sich angeblich immer in einer New Yorker Pizzeria traf. Ferner wird kräftig mit Leichenteilen hantiert, Reptilienmenschen tauchen auf und kämpfen um die Weltherrschaft, der Bundeskanzler hat Sex mit einer russischen Oligarchin und irgendwann landet auch noch ein UFO ...
Das geht solange gut (oder eben nicht), bis Regisseurin Lotte de Beer am Ende höchstselbst auf die Bühne eilt und beherzt diese 'Probe' unterbricht. Fernsehmoderator Friedrich Quant (etwas textwackelig und höhenunsicher: Timothy Fallon), der in seiner Talkshow Dieter Urban (nicht nur vokal überzeugend: Orhan Yildiz) vorstellte, dessen steile These, die Erde sei eine Scheibe, die ganze Chose erst ins Rollen brachte, die hübsch verwegene Lara (wunderbar: Rebecca Nelsen) und der Rest des mal menschlichen, mal außerirdischen Personals müssen zurück auf Anfang. Die letzte Wahrheit über die Wahrheit ist noch nicht gefunden, die Inszenierung läuft als weitere Inszenierung weiter, wir werden in einer anderen Dimension wohl wieder Aliens, einem (T)Raumschiff und manch anderem begegnen!
In der Inszenierung von Regisseur Thaddeus Strassberger sei diese Mussorgsky-Oper so aufwühlend wie aktuell, meint unser Kritiker Peter Jungblut. Hier geht's zum Artikel.
Psychologisch ist das alles nicht, auch nicht wirklich gesellschaftskritisch, dafür ziemlich unterhaltsam und dank der stupenden Bühnentechnik ein – echtes – Spektakel! In rasender Geschwindigkeit wechseln Szenen und Szenerien, fürs Bühnenbild von Christof Hetzer und die Kostüme Jorine van Beeks gab es offenkundig weder inhaltliche noch finanzielle Grenzen. Auch musikalisch wird aufgetrumpft, Dirigent Steven Sloane bringt die mit starkem Traubenzucker (und vielleicht noch anderen Substanzen) gefütterte Partitur zum Funkeln und Sprühen. Eine eigene, eigenwillige Sache sind die von Otto Pichler neckisch-hektisch choreographierten Typen in Glitzeranzügen, die vielleicht doch ein wenig zu sehr zappeln und arg oft auftauchen, dazu wenig Sinn die Sache bringen, wobei man mit dem Begriff Sinn ja eh nicht sehr weit kommt.
Was dem von vielen bejubelten Abend fehlt, ist freilich eine Tiefendimension, wie sie etwa Clemens J. Setz in seinem jüngsten Buch "Monde vor der Landung" bietet. Andererseits gibt es ja in unserer Realität genügend Menschen, die felsenfest an Pizzagate, Reptilienherrscher etc. glauben. Auf solchen Unsinn mit einem überbordenden, sinnlichen Musiktheater zu reagieren ist wahrlich nicht das Dümmste und Schlechteste.
Sendung: "Leporello" am 27. März ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (4)
Samstag, 01.April, 16:22 Uhr
Isabella
Die letzte Verschwörung
Den Kommentaren von Gerold und Renate ist nur noch hinzuzufügen: auch die Musik war eine Zumutung, viele Wiederholungen von dissonanten Passagen. Ich glaube dem Komponisten, wenn er sagt, er hat für das Werk nur eine Nacht gebraucht. Man geht mit Ekel und Kopfweh aus der Vorstellung. Wie wird jetzt das Versprechen von Frau de Beer eingelöst, dass man glücklich und beschwingt das Haus verlassen wird? Nach einer Blutorgie mit Kinderleichen? Und es sitzen Kinder im Vorschulalter im Publikum!
Wenn ein Kritiker schreibt, dass die Volksoper Wien endlich entstaubt wird, war er wohl in den letzten Jahren nicht dort. Wunderbare Dirigenten, die wirklich das Beste aus dem hochqualitativen Orchester holten (Aichner, Eschwe müssen hier genannt werden), preisgekrönte Produktionen wie Cabaret, Die Csardasfürstin, Axel an der Himmelstür und mehr.
Freitag, 31.März, 10:36 Uhr
Renate
Operette?
Ein Satz, den ich noch nie geschrieben habe: Ich hätte dem Beispiel Richard Lugners folgen sollen. Die Musik der Tanzszenen war noch ganz nett, der Rest klingt nach einer Aneinanderreihung von Rezitativen. Und die "Kinder-Zerhackerei" des Pizza-Gates ist ganz weit jenseits des guten Geschmacks. Das kann ich auch mit einer erklecklichen Portion an schwarzem Humor nicht lustig finden. Man muss die Operette weiterentwickeln! Muss man wirklich?
Sonntag, 26.März, 15:42 Uhr
Gerold
Trash - vielleicht für ein Zelt
Leider fehlt dem Text (und auch der Musik) jede Brillanz. Es wird mit einer aufwändigen Produktion viel Geld verbrannt - ich kann mir nicht vorstellen, dass es nach den geplanten fünf Vorstellungen noch irgendwo weitere geben wird. Operette? Nein! Vielmehr ein Spektakel ohne Tiefgang (und auch ohne Humor).
Sonntag, 26.März, 15:09 Uhr
Friedrich
Und wie war die Musik?
Die Musik ist ja leider immer das größte Problem bei diesem Komponisten..
Eigentlich unglaublich, dass man bei einer Kritik einer Uraufführung nicht den geringsten Hinweis bekommt, wie die "Musik" (bei Eggert sind Anführungszeichen durchaus angebracht) komponiert wurde. Hat Eggert sich dem neuen Genre angepasst und so etwas wie Tonalität aufkommen lassen oder ist er im üblichen Krachmodus geblieben? Wir wissen es nicht.