BR-KLASSIK

Inhalt

"Capriccio" in München Richard Strauss' letzte Oper

Eine Oper als Testament: Richard Strauss' "Capriccio" war sein letztes Bühnenwerk. Nun wird es im Rahmen der Münchner Opernfestspiele neu inszeniert, 80 Jahre nach einer denkwürdig dramatischen Uraufführung.

Szene aus Strauss' "Capriccio" in München | Bildquelle: Wilfried Hösl

Bildquelle: Wilfried Hösl

Buhlen um eine kunstbegeisterte Gräfin

Die Handlung spielt in adligen Kreisen zu absolutistischer Zeit in Paris. Flamand ist Musiker, Olivier ist Dichter. Beide verehren die kunstbegeisterte Gräfin Madeleine. Als Flamand das Sonett von Olivier vertont, ist die Umworbene gerührt. Sobald sie später für sich allein das Gedicht rekapituliert, indem sie die Melodie Flamands dazu singt, kommen ihr Text und Musik wie eine unzertrennliche Einheit vor. Es zeigt sich: Nur gemeinsam können Wort und Ton - Olivier und Flamand - die Gräfin erobern. Ohne einander können die beiden Herren ihrer Muse nicht nahekommen, miteinander aber ihr Herz gewinnen. Eine Ménage à trois?

Richard Strauss' Ziel: eine Selbstreflexion des Musiktheaters

Szene aus "Capriccio" an der Bayerischen Staatsoper. | Bildquelle: Wilfried Hösl Symbolträchtiger Liebeskonflikt: Wer wird das Herz der Gräfin Madeleine erobern – Flamand oder Olivier? | Bildquelle: Wilfried Hösl Opernfans sind sich einig: Nirgendwo empört sich die Seele lauter, nirgendwo leidet sie stiller als in der Oper! Das muss damit zusammenhängen, dass Wort und Ton hier und nur hier auf unverwechselbare Art mit Theaterluft verschmelzen. In der Oper "Capriccio" will Richard Strauss eine Selbstreflexion des Musiktheaters auf der Bühne haben. Es gibt einen symbolträchtigen Liebeskonflikt: Wer verdient den Vorzug – Flamand oder Olivier? Die Gräfin lässt offen, für wen sie sich entscheidet. Und ob überhaupt. Am Schluss bleibt alles in der Schwebe.

Die Münchner Opernfestspiele auf BR-KLASSIK

Die Münchner Opernfestspiele bringen als letzte Neuproduktion der Spielzeit "Capriccio" von Richard Strauss heraus. Im Prinzregententheater singt Sopran-Star Diana Damrau die weibliche Hauptrolle, Lothar Koenigs dirigiert. Der ungarische Regisseur David Marton gibt sein Hausdebüt an der Bayerischen Staatsoper. BR-KLASSIK überträgt die Premiere "Capriccio" live im Radio: am Sonntag, den 17.Juli ab 19:00 Uhr.

"Capriccio" mit musikalischen Anspielungen auf bekannte Opern

Das Libretto oder der orchestergestützte Gesang, der durch die Vertonung entsteht - was ist wichtiger? Die Entscheidung, ob das Wort in der Oper im Fokus stehen sollte oder aber die Musik, trifft jeder Opernkomponist mit jeder Partitur aufs Neue. Vielleicht auch im konstruktiven Dialog mit dem Textdichter. Haben die Herren (quantitativ leider nur selten Damen!) im Laufe der Geschichte, seit Ende des 16.Jahrhunderts, nicht immer ganz verschiedene Prioritäten gesetzt? Ob Monteverdi, Lully, Gluck, Mozart, Verdi und ihre, Pardon, Textlieferanten – oder auch der berühmteste Dichterkomponist in Personalunion, Wagner.

Die Oper "Capriccio" liefert musikalische Anspielungen und Zitate von "Iphigénie en Aulide" über "Figaro" bis "Tristan" oder "Meistersinger", auch "Falstaff". Stilistisch wird streckenweise zu Donizetti und Rossini geschielt, dann wieder zu Rameau und Couperin. Immer augenzwinkernd.

Zusammenarbeit mit drei Librettisten

Richard Strauss - Gemälde von Max Liebermann | Bildquelle: picture-alliance/dpa "Keine Gefühlsduselei!", schrieb Richard Strauss als Anweisung zu seiner Oper "Capriccio". | Bildquelle: picture-alliance/dpa Strauss will bei "Capriccio" schnelle Wechsel. Er jongliert mit historischen und stilistischen Verweisen. Er thematisiert Bedingungen und Möglichkeiten des Opern-Komponierens (wörtlich ja "Zusammensetzens"). So findet sich in seinen Briefen der Ausruf: "Keine Gefühlsduselei!" Und es findet sich der Wunsch nach "Verstandestheater, Kopfgrütze, trockenem Witz!", auf die Gefahr hin, dass "vielleicht nur ein Leckerbissen für kulturelle Feinschmecker" herauskommt.

Für das Libretto arbeitet Strauss nacheinander mit drei Personen zusammen: Stefan Zweig, Joseph Gregor, Clemens Krauss. Ein gewisser Erstimpuls geht von einer Oper der Frühklassik aus, "Prima la musica, poi le parole = Zuerst die Musik, danach der Text" (Antonio Salieri / Giambattista Casti). Das ist ein Werk des Jahres 1786, drei Monate älter als Mozarts "Figaro".

Komponist versus Dirigent

Der Titel "Capriccio" steht bei diesem "Konversationsstück für Musik" nicht sofort fest. Joseph Gregor schlägt vor: "Erst die Worte, dann die Musik". Doch Strauss favorisiert später einen Vorschlag des Librettisten und Uraufführungsdirigenten Clemens Krauss: "Capriccio".

Eine kuriose Episode ereignet sich bei einer der letzten Proben, als Krauss bei der Einstudierung das Solistenensemble zu mehr Deutlichkeit in der Aussprache ermahnt. Strauss kommentiert ebenso belustigt wie spontan: "Also wissens', Herr Kapellmeister, wenn man ab und zu auch was von meiner Musik versteht, hätt' ich nichts dagegen."

Fliegeralarm während der Uraufführung

Das Nationaltheater am Max-Joseph-Platz | Bildquelle: Felix Löchner "Capriccio" wurde im Oktober 1942 im Münchner Nationaltheater ohne Pause uraufgeführt, da Fliegeralarm herrschte. | Bildquelle: Felix Löchner Richard Strauss hat mit "Capriccio" sein musikdramatisches Testament formuliert. Am 28. Oktober 1942 kommt die Oper am Münchner Nationaltheater heraus, in einer Zeit der Bombenangriffe und des allabendlichen Fliegeralarms. Jeder Gedanke an eine etwaige Pause wegen der 140-minütigen Spieldauer wird unterdrückt, damit die Besucherinnen und Besucher rechtzeitig nach Vorstellungsende in ihre Luftschutzkeller kommen. Rudolf Hartmann über die Uraufführung:

"Wer von den Jüngeren kann sich überhaupt vorstellen, dass eine Großstadt wie München völlig ohne Beleuchtung war, dass durch das Dunkel die Besucher mit Hilfe kleiner Taschenlampen, die nur durch einen schmalen Schlitz abgedunkeltes blaues Licht freigaben, ihren Weg zum Nationaltheater suchten, um die Uraufführung des 'Capriccio' miterleben zu können? Sie riskierten, in einen schweren Luftangriff hineinzugeraten, aber die Sehnsucht nach Musik im innen erleuchteten Opernhaus, nach festlicher Umgebung und nach einer geistigen Welt des Schönen, fern von allen Gefahren des Krieges, ließ sie alles überwinden."

Ein Jahr später, im Oktober 1943, wird das Münchner Nationaltheater bei einem Luftangriff zerstört.

Weltflucht auf der Opernbühne

Es ist bekannt: Das NS-Regime will jegliche Kunst während des Krieges ausschließlich in unterhaltender Funktion. Das Sujet der Oper "Capriccio" ist vor diesem Hintergrund als Realitäts- und Weltflucht einzuordnen, "l’art pour l’art". Humanität gehört nicht zum Wortschatz des Dritten Reiches, weder Schönheit als Evokation griechischer Klassizität noch der Rekurs auf den deutschen Idealismus. "Capriccio" soll der nationalsozialistischen Praxis, Parolen mit Musik zu durchsetzen, die Idee einer den Künsten gemeinsamen Heimat entgegenstellen. Als Allegorie dieser Heimat firmiert die vom Himmel auf die Erde zurückersehnte "Göttin Harmonie", die ohne demagogische Ambition als "schöner Bund" alle Künste wiedervereinigen soll.

Richard Strauss wurde von der Hitler-Diktatur hofiert

Komponist und Dirigent Richard Strauss | Bildquelle: picture alliance / Mary Evans Picture Library Ricard Strauss stand als Kulturschaffender auf der sogenannten "Gottbegnadeten-Liste" der Nationalsozialisten. | Bildquelle: picture alliance / Mary Evans Picture Library Artikuliert und ersehnt wird das alles im Zeichen eines Untergangs ohnegleichen. Denn während Strauss die Oper Anfang August 1941 vollendet, steht die Welt in Flammen. Wohin man sieht: Katastrophenstimmung überall! Und so sehr der Garmischer Greis sich als Nutznießer und Begünstigter der Hitler-Diktatur fühlen darf, verwöhnt und hofiert, als elitäre Ausnahmeerscheinung der deutschen Kulturschaffenden in der sogenannten "Gottbegnadeten-Liste": Es steht außer Frage, dass auch und selbst er die furchtbaren Auswirkungen des Krieges und die einsetzende Isolation im Alltag immer stärker spürt, immer nachdrücklicher als Bedrohung einstuft.

Seitenhiebe auf das NS-Regime

"Capriccio" ist nur auf den ersten Blick konsequenter Eskapismus, eine totale Abwendung vom Tagesgeschehen, innere Emigration in grauenvoller Zeit. Hinweise auf das tiefe Dunkel ringsumher werden in dieser Oper nicht vollständig unterlassen: Seitenhiebe auf das Hier und Jetzt tauchen auf, um deren totalitäres Wesen zu dekuvrieren. Ein Beispiel im Part des Theaterdirektors La Roche:

"Seht hin auf die niederen Possen, an denen unsere Hauptstadt sich ergötzt: Die Grimasse ist ihr Wahrzeichen, die Parodie ihr Element, ihr Inhalt sittenlose Frechheit! Tölpisch und rüde sind ihre Späße! Die Masken zwar sind gefallen, doch Fratzen seht ihr statt Menschenantlitze!"

Richard Strauss zitiert aus seinen eigenen Opern

Selbstzitate sind eine Spezialität von Strauss seit seiner frühen sinfonischen Dichtung "Ein Heldenleben". Auch im Spätwerk "Capriccio" zeigt er sich wieder in seinem narzisstischen Element. Nicht selten denkt die/der Betrachter*in: "Aha – Rosenkavalier!" oder "Die Marschallin lässt grüßen!" Dazu kommen Motive aus Opern wie "Intermezzo" oder "Ariadne auf Naxos". Mit dem Blick auf die gewählten Tonarten in "Capriccio" scheinen am Schluss sogar noch einmal Gestaltungsmerkmale des einstigen Skandalstücks "Salome" auf, das den Mann zum Millionär gemacht hat, rund vier Jahrzehnte vor seiner letzten Oper.

Hyperromantische "Mondscheinmusik" kurz vor Schluss

Typisch Strauss: Natürlich gibt es auch in diesem von Leichtigkeit geprägten "Konversationsstück für Musik" einige hyperromantisch überschäumende Momente, die vor kräftigem Gefühlsüberdruck nicht zurückscheuen. Etwa im Orchesterzwischenspiel vor der Schlussszene, der sogenannten "Mondscheinmusik". Viele Musikliebhaber schmelzen da einfach nur dahin. "Krämerspiegel" ist der Liederzyklus (1918) überschrieben, der als Inspirationsquelle Pate gestanden hat für die "Mondscheinmusik". Das Vorspiel zum achten und das Nachspiel zum zwölften Lied enthalten Melodien, die Strauss für sein letztes Orchester-Intermezzo wieder aufgreift. Er komponiert einen verbindenden Mittelteil hinzu und beschenkt das geliebte Solo-Horn mit Führungs-Aufgaben. Die Wirkung ist enorm.

Strauss' letztes Dirigat im Münchner Funkhaus

Richard Strauss Conducting | Bildquelle: VideoBiz1982 (via YouTube) Mit der "Mondscheinmusik" aus "Capriccio" beendet der 85-jährige Richard Strauss 1949 seine Dirigentenlaufbahn. | Bildquelle: VideoBiz1982 (via YouTube) Da ist sie dann wieder: eine Klangmagie, die den ganzen opernästhetischen Diskussionen, von denen "Capriccio" lebt, einfach den Rücken kehrt und der Macht der wie befreit auftretenden Kantilene huldigt! Das nur wenige Minuten dauernde Stück namens "Mondscheinmusik" muss Strauss am Ende seines Lebens besonders ans Herz gewachsen zu sein. So beendet er damit auch seine Dirigentenlaufbahn: am 13. Juli 1949, zwei Monate vor seinem Tod und gerade 85 Jahre alt geworden. Der Anlass ist ein Film, und dafür greift Strauss ein letztes Mal zum Taktstock – im Münchner Funkhaus! Was im "Krämerspiegel" noch mit einem ironischen Unterton versehen ist, erklingt hier mit tiefem Ernst. Ein wehmütiger Abgesang auf die Epoche der Tonalität in der Musik.

Sendung: "Festspielzeit" live aus dem Münchner Prinzregententheater: Richard Strauss' "Capriccio". Am 17. Juli 2022 ab 19:00 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (0)

Kommentieren ist nicht mehr möglich.
Zu diesem Inhalt gibt es noch keine Kommentare.

    AV-Player