München, 13. Juli 1949. Richard Strauss gibt ein Interview – und dirigiert zum letzten Mal ein Orchester, und zwar im Funkhaus. Musik aus seiner Oper "Capriccio" steht auf dem Programm. Der Interviewer wird allerdings recht wenig Brauchbares mit nach Hause nehmen.
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Für Hörfunkreporter gibt es gewisse, sagen wir mal, Angstgegner, die zu interviewen besonders schwierig und heikel ist. Kinder gehören dazu, denn sie antworten meist sehr einsilbig. Wissenschaftler dagegen fassen sich im Gegensatz zu Kindern eben nicht kurz, was der Reporterin, die auf kurze Interview-Einspielungen aus ist, im Nachhinein sehr viel Schneide-Arbeit bereitet. Der größte Gegner des Radio-Journalisten ist er aber selber: Dann nämlich, wenn er oder sie unvorbereitet in ein Gespräch geht – zumal mit einer Größe der Zeitgeschichte.
Dieser Mittwoch im Juli 1949 ist ein sonniger Sommertag. Mit welchem Auftrag wohl der Reporter des Bayerischen Rundfunks von seiner Redaktion losgeschickt wurde? "Heute kommt Richard Strauss ins Funkhaus – sprich doch kurz mit ihm." Eigentlich eine simple Aufgabe – aber so richtig ins Gespräch kommen Reporter und Genie nicht. "Herr Doktor Strauss, erinnern Sie sich noch an Ihren Besuch im Funkhaus vor vielen, vielen Jahren, als Sie hier Mozart dirigierten?" ging es los. Die Antwort: "Erinnern, ja, aber? Na, wird schon so sein?"
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Capriccio, Op. 85: Mondscheinmusik
Richard Strauss hatte kurz zuvor seinen 85. Geburtstag gefeiert, seiner Heimatstadt München einen Konzertwalzer gewidmet und in seiner Dankesrede der Hoffnung Ausdruck verliehen, "dass die von großen Traditionen erfüllten Kunststätten zu neuem Leben erblühen und von der ganzen kunstsinnigen Welt besuchtes und geliebtes Kulturzentrum bilden möchten." Nun, ein paar Tage später, ist er zu Gast im Münchner Funkhaus. Keine zwei Wochen zuvor war das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks gegründet worden, mit Eugen Jochum als Chefdirigenten. Erste Amtshandlung des neuen Klangkörpers: Aufnahmen mit Richard Strauss.
Das Interview ging weiter: "Heute möchte ich aber fragen, welches Stück dirigieren Sie heute?" Strauss, stockend: "Das Schlussstück aus Capriccio." "Und zu welchem Zweck?" "Für den Regina-Film, der jetzt erscheinen soll." Richard Strauss war an diesem 13. Juli nicht das erste Mal – wie vom Reporter ja schon angesprochen – zu Gast im Münchner Funkhaus. 1940 hatte er etwa mit dem Orchester des damaligen Reichssenders München Ausschnitte aus seinen eigenen Opern aufgenommen. Die Aufzeichnung der Mondscheinmusik aus "Capriccio" an diesem Mittwoch sollte aber seine letzte Arbeit als Dirigent werden.
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Richard Strauss Conducting
Die Oper, deren Libretto zum Teil von Stefan Zweig stammt, stellt die Frage, was wichtiger für das Gelingen einer Oper ist: die Sprache oder die Musik? In "Capriccio" bleibt die Frage unbeantwortet – ebenso wie die Fragen des Reporters an diesem Mittwoch im Juli 1949: "Und der Inhalt des Films?" Strauss: "Wie?" "Der Inhalt des Films? Das ist Ihr Leben." "Wie man's nennt. Ein Dokumentarfilm, ein Kulturfilm."
Diese Begegnung zwischen Reporter und Komponist und die anschließende Tonaufnahme könnten aber durchaus einen Hinweis geben, wie dieser Wettstreit zwischen Sprache und Musik zu lösen ist. Denn wenn die Sprache versagt, spricht die Musik umso beredter.
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Sendung: "Allegro" am 13. Juli 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK