Die NS-Wochenschau und Hitlers Zuhause am Obersalzberg – beides findet seinen Platz in der Inszenierung von Stephan Suschke. Der Parsifal tritt am Landestheater in Linz als "Heilsbringer" auf. Die Oper von Richard Wagner wird dadurch aktueller denn je.
Bildquelle: Reinhard Winkler / Landestheater Linz
Da dachten ja nicht wenige, die Tür hinter dem blutrünstigen 20. Jahrhundert hätte sich 1989 endgültig geschlossen, und dann steht diese Tür doch wieder sperrangelweit auf und ein eisiger Windhauch lässt unsere Gegenwart bibbern. Plötzlich ist der Wettersturz da, wieder herrscht Krieg in Europa, wieder spielen sich Diktatoren als Erlöser auf. Den Dichter Heiner Müller hätte das nicht gewundert, seine Stücke handelten alle von der Eiszeit Europas, von der Blutspur der Utopien, und seine Helden hängten ihren Militärmantel selten an den Nagel.
Kein Wunder, dass sein Schüler und Bewunderer Stephan Suschke (64) es genauso hält: Sein Parsifal am Landestheater Linz erweist sich als "Heilsbringer" in Anführungszeichen, als Wiedergänger Hitlers. Der fühlte sich ja bekanntlich bis zu seinem schmählichen Ende in seiner "Lieblingsstadt" Linz zuhause, anders als in Berlin, Wien oder München, wo er gemeldet war.
Parsifal soll verführt werden. | Bildquelle: Reinhard Winkler / Landestheater Linz Wagners Lichtgestalt tätschelt am Ende seine schwer versehrten Ritter wie der Nazi-Führer die Wangen der Hitlerjungen in der bekannten Szene aus der finalen NS-Wochenschau. Und die allermeisten werden auch das bekannte, versenkbare Panoramafenster von Hitlers Berghof am Obersalzberg wieder erkannt haben: Der Blick ging durch die Sprossen auf den Untersberg. Weil direkt darunter die Garagen der SS-Wachmannschaften waren und die Auspuffgase aufstiegen, wurde das Fenster allerdings selten geöffnet.
Und so steht ein herrschsüchtiger Parsifal in seinen goldenen Stiefletten und im Militärmantel unversöhnlich vor dieser Kulisse und mustert sein letztes Aufgebot. Seine Mutter Herzeleide, die bei Richard Wagner eigentlich gar nicht auftritt, erscheint im Dirndl mit platinblonder Zopffrisur und findet es ganz großartig, dass Kindern ein Karabiner in die Hand gedrückt wird. Was für ein beklemmendes Schlussbild, das direkt in den Untergang führt.
Es war auch deshalb so eindringlich, weil Stephan Suschke in den viereinhalb Stunden zuvor Wagners 1882 uraufgeführtes Bühnenweihfestpiel eher hausbacken bebildert hatte. Eine handfeste Interpretation war jedenfalls nicht erkennbar, eher der entschiedene Wille, die Handlung so augenfällig und konkret wie irgend möglich zu illustrieren. Das zielte offenbar auf ein Publikum, dass nicht unbedingt zu den Wagner-Spezialisten zählt und mit mancher sakralen Länge im "Parsifal" gehadert haben mag.
Die Gralsritter werden hier als martialische Truppe beschrieben, die mit ihren Dolchen und blutverschmierten nackten Oberkörpern eher an Kämpfer aus islamistischen Propagandavideos erinnerten als an einen frommen Orden, der durch Spiritualität zusammengehalten wird. Aber für fromm halten sich ja auch Selbstmordattentäter.
Szene im "Parsifal" mit Bass Michael Wagner und Katherine Lerner. | Bildquelle: Reinhard Winkler / Landestheater Linz Und so gab es viel Diskussionsstoff und geteilte Meinungen zur Inszenierung. Einhellig allerdings war der Beifall, als zum Schlussapplaus ein Schild mit der Friedenstaube aus dem Schnürboden auftauchte. Einigen Solisten gelangen wirklich großartige Rollenporträts, allen voran dem niederösterreichischen Bass Michael Wagner als viel beschäftigtem Erzähler Gurnemanz. Er gab einen Intellektuellen ohne jeden "Karfreitagszauber" und geriet nie ins sonore Röhren, sondern artikulierte stets schneidend scharf. Er hätte Parsifals Propagandaminister sein können.
Auch Katherine Lerner als Kundry und Adam Kim als Klingsor waren von ungewöhnlich intensiver Präsenz und Ausstrahlung. Sie kämpften jeweils nur für sich und ignorierten jede Aussicht auf "Erlösung", die Wagner doch so wichtig war. Der aus Bayreuth stammende Ralf Lukas war als Amfortas kurzfristig eingesprungen und meisterte seinen Part sehr souverän. Heiko Börner imponierte als Parsifal mit sehr robuster Stimme und "heroischer" Figur, ließ allerdings die Leuchtkraft vermissen, die mit dieser Rolle üblicherweise verbunden wird. Womöglich hätte das zu einem derart düsteren Negativ-Helden aber auch gar nicht gepasst.
Sehr viel Applaus bekam völlig zu Recht Dirigent Markus Poschner, so herrlich ausbalanciert und hervorragend geprobt, wie sich das Orchester präsentierte. Das klang transparent, lichtdurchflutet, beseelt, nicht pompös und weihrauchschwanger. Auch die Chöre trugen zu diesem Eindruck ganz entscheidend bei. Insgesamt ein "Parsifal" für eine "abgestürzte" Zeit, wie die unsere nun mal ist. Hoffen wir, das von ihr mehr übrig bleibt als Gefallene und Verwundete. Und der Gral? Der dient auf dem Berghof offenbar als Nachtischlampe.
Sendung: "Allegro" am 14. März ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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