Als Kind zeichnete er Comics und vertonte sie dann. Vorm Klavierüben drückte er sich lieber. Später, als Kompositionsstudent an der Kopenhagener Musikhochschule, ließ er bei der Aufführung seines ersten Violinkonzerts die Töne so ausdauernd nach oben und nach unten rutschen, dass das Publikum vor Lachen fast von den Stühlen fiel. Heute zählt er zu den größten Symphonikern unserer Zeit: Per Nørgård.
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Der "Glisando-Guy" wird 90
Ein Porträt des Komponisten Per Nørgård
Es ist die Lust am Neuen, die Per Nørgård antreibt. Und: die Lust sich frei zu machen von Erwartungen. Das ist vom dänischen Komponisten durchaus allumfassender gemeint als nur musikalisch.
Ein Beispiel: Auf dem Buchcover von "The Music of Per Nørgård" (ein Buch über seine Musik, das 1996 erschienen ist) hockt er nackt auf dem Geländer einer Holzveranda und sieht dabei ziemlich lässig aus. Sehr privat, wie sich der Däne, immerhin einer der größten Komponisten unserer Zeit, hier präsentiert. Sein Blick hängt dabei irgendwo im grünen Nirgendwo jenseits des idyllischen Sommerhauses, das man sich bei diesem Bild automatisch dazu denkt. Das Buch ist längst vergriffen, online findet der gewiefte Fan aber mit etwas Glück noch ein gebrauchtes Exemplar. Preis: um die 1.300 EUR. Solch ein horrender Preisanstieg dürfte Per Nørgård relativ egal sein – so wie ihm jeder Rummel um seine Person im besten Falle unwichtig, oft aber sogar unangenehm ist. Kein Wunder also, dass er, so freizügig er sich auf dem Buchcover zeigt, in Interviews doch ziemlich ausweichend auf Fragen zu seiner Person antwortet.
Ich glaube, dass alle Werke von mir neu sind, sonst würde ich aufhören.
Per Nørgård | Bildquelle: EvS Musikstiftung | Manu Theobald Per Nørgård gilt als Einzelgänger. Sich selbst anzupreisen liegt ihm nicht. Das Komponieren hingegen schon: Opern, Konzerte für Violine, Schlagzeug, Klavier und Cello, verschiedene Kammermusikwerke, viel Filmmusik und acht Symphonien hat Per Nørgård geschrieben, anfangs noch in der musiksprachlichen Tradition anderer nordischer Komponisten wie Carl Nielsen oder Jean Sibelius, spätestens ab den 1960er Jahren aber orientiert an der europäischen Avantgarde – und er komponiert auch im hohen Alter weiter und erfindet sich dabei immer wieder neu: "Ich glaube, dass alle Werke von mir neu sind, sonst würde ich aufhören. Ich bin immer mit neuen Ideen beschäftigt", sagt Per Nørgård. Es sei für ihn eine Inspiration, mit Musiker*innen zusammenzuarbeiten. "Diese Werke werden dann von den Musikern abhängig, mit welchen ich in einer besonderen Zeit arbeite. Und das ist immer neu für mich, weil jeder Mensch neu ist und ein neues Werk ist immer eine neue Herausforderung."
Und doch gibt es etwas, das sich durch viele seiner Stücke zieht: das Prinzip der unendlichen Reihe. Eine mathematische Idee, die Nørgård mit dem Goldenen Schnitt verbindet. Mal staucht, mal streckt, mal spiegelt er diese unendliche Reihe. Nur eins macht er nie: sie wiederholen. Getreu dem Nørgårdschen Credo, alles solle immer wieder neu sein. Fortsetzen und immer wieder neu beginnen: Die Unendlichkeit ist das musikalische Lebensthema des dänischen Komponisten.
Ich wiederhole mich nicht willentlich. Das wäre ein schrecklich Ding.
Psychologische Zustände interessieren Nørgård auch jenseits der eigenen Hirnregionen. Besonders prägend: die Begegnung mit den Arbeiten des schizophrenen Künstlers Adolf Wölfi in den 1980er Jahren. Nørgård ist gerade auf dem Weg zu einem Schönberg-Konzert, als er in einem Museum zufällig Wölfis Kunst entdeckte. Vielleicht eine der größten Inspirationsquellen, wenn man auf Nørgårds Schaffen blickt. Eine Symphonie, eine Oper und zahlreiche Chorwerke wie etwa "Wölfi, ein ausrangierter Unglückfall" entstanden im Laufe der folgenden Jahrzehnte rund um diesen Themenkomplex. Und das Schönberg-Konzert? Das hat Nørgård nie besucht.
Zum 90. Geburtstag von Per Nørgård
"Horizonte" am 14. Juli 2022 um 22.30 Uhr auf BR-KLASSIK
Sendung: "Allegro" am 13. Juli 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK.