Der Corona-Lockdown hält trotz vorgelegtem Stufenplan vorerst an. Pianist Igor Levit kritisiert im BR-KLASSIK-Interview die Politik dafür, Künstlerinnen und Künstler in der Krise nicht ausreichend zu unterstützen. Gerade wurden Notenblätter des Pianisten verkauft, um durch den Erlös Musikerinnen und Musiker in Not zu helfen.
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BR-KLASSIK: Herr Levit, im ersten Lockdown führten Sie das Stück "Vexations" von Erik Satie auf. Digital übertragen, über fünfzehn Stunden lang. Nun wurden die 840 Notenblätter einzeln über das Internet verkauft und gingen weg wie warme Semmeln. Der Erlös soll Musiker und Musikerinnen in der Pandemie unterstützen. Ich glaube, das sind jetzt 84.000 Euro, die reingekommen sind. Das ist ein toller Erfolg.
Igor Levit: Plus die 25.000, die wir ja bei der ersten Versteigerung hatten. Also im Grunde sind es insgesamt 109.000 Euro. Also es ist irre und ich bin wirklich sprachlos und glücklich und sehr, sehr dankbar.
BR-KLASSIK: Warum ist das so wichtig? Gerade in der jetzigen Situation?
Igor Levit: Es gibt immer weniger Plattformen und Orte, an denen man Wehrhaftigkeit zeigen kann und Solidarität. Die Orte, an denen wir das normalerweise tun können, die bleiben geschlossen. Das war wahrscheinlich der schönste Gedanke heute Morgen, als ich aufgewacht bin und merkte, zwölf Stunden nach Ankündigung ist im Grunde alles weg: Was für eine unfassbare Solidarität seitens der Menschen da draußen mit Musikerinnen und Musikern. Was für eine Solidarität und was für ein Gefühl: Wir lassen euch nicht alleine. Als das begreife ich diese Erfahrung nämlich: als Solidarität und auch als Wehrhaftigkeit. Da ist bei mir jetzt auch etwas aufgebrochen, wie auch überhaupt die letzten Wochen. Und das wird nicht die letzte Aktion dieser Art bleiben.
BR-KLASSIK: Wehrhaftigkeit gegen die Politik, die zwar natürlich einen absolut notwendigen Sachzwang verfolgt, aber dabei die besondere Lage der Künstler viel zu wenig zur Kenntnis nimmt? Oder Wehrhaftigkeit gegen was?
Pianist Igor Levit | Bildquelle: © Gregor Hohenberg Igor Levit: Wir sind in einer Pandemie und der muss man mit Demut und Respekt begegnen. Jede und jeder, der das nicht tut, macht einen wirklich gravierenden Fehler. Es sterben zu viele Menschen. Und da muss man sich verantwortlich verhalten ohne Wenn und Aber. Wir wurden geschlossen, dann helft uns aber auch finanziell. Und Fakt ist, die meisten Musikerinnen und Musiker fallen durch alle Gitter und Netze. Das, was als Hilfe angekündigt wurde, ist häufig der Rede nicht wert. Von denen, die in zweiter und dritter Reihe stehen und die uns Musikern überhaupt helfen, auf die Bühne zu gehen, also Agenturen etc. ganz zu schweigen. Die haben noch nicht mal ein Kästchen, das sie ankreuzen können, um Hilfe beantragen zu können. Also seit einem Jahr versuchen wir den Politikerinnen und Politikern klarzumachen, was unsere Lebensrealität ist. Und jetzt sieht man, dass es im Grunde umsonst war. Das macht ungeheuer wütend. Seit Monaten erleben wir – drücken wir es mal nett aus – eine unglückliche Politik in Sachen Impfung. In diesem Kontext, wissend, dass wir eigentlich schon viel weiter sein könnten, kommt jetzt die Politik und sagt: Hier ist die Beschlusslage. Und Räume, die keine Gefahr bieten, kommen in der letzten Welle dran, wenn überhaupt. Mein Hauptvorwurf an die Politik ist, was zwischen den Zeilen steht. Zwischen den Zeilen wird suggeriert, Kultur ist Gefahr. Und zwar gesundheitliche Gefahr.
BR-KLASSIK: Dabei gibt es Studien, die belegen, dass von Kultur viel weniger Infektions-Gefahr ausgeht, als in vielen anderen Lebensbereichen.
Igor Levit: Und dieses "Kultur ist Gefahr" ist wahrscheinlich das Niederschmetterndste von allem. Kombiniert damit, dass die allermeisten unserer Branche im Grunde finanziell alleine gelassen werden. Und in der Kombination weiß ich an dem heutigen Tag gar nicht, wohin mit meiner Wut, meiner Verzweiflung und Bestürzung.
Sendung: "Allegro" am 03. März 2021 ab 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK