BR-KLASSIK

Inhalt

Pianistin Alice Sara Ott "In der Musik können wir uns begegnen"

Pianistin Alice Sara Ott hat kein Problem damit, im Konzert zwischen zwei Sätzen zu klatschen. Benimmregeln im Konzertsaal findet sie veraltet. Ihr geht es in der Musik ums Miteinander, um die Begegnung von Mensch zu Mensch.

Album "Echoes of life" | Bildquelle: Pascal Albandopulos

Bildquelle: Pascal Albandopulos

BR-KLASSIK: Alice Sara Ott, für Ihre CD "Echoes of Life" haben Sie das Booklet selbst entworfen und die Texte geschrieben. Ein halbes Jahr saßen Sie dafür auf Ihrem Sofa – Corona hat's möglich gemacht. Ist das Schreiben, Zeichnen, Entwerfen für Sie wie ein stabiler Gegenpol zur Flüchtigkeit, zur Momenthaftigkeit der Musik?

Alice Sara Ott: Ich habe immer eine Affinität für Design gehabt und wie man die Ästhetik mit dem Praktischen verbinden kann. Das ganze Booklet-Design und auch das Texteschreiben kommt eher daher, dass ich mich jetzt schon seit ein paar Jahren sehr damit beschäftige, was es bedeutet, eine klassische Künstlerin in der heutigen Zeit zu sein. Wir beschäftigen uns viel mit der Musik aus der Vergangenheit. Wir spielen Musik, die vor 200, 300 Jahren geschrieben worden ist, aber bringen sie einem Publikum nahe, das in der heutigen Zeit lebt. Wir sollten uns viel mehr Gedanken darum machen, uns nicht nur mit der Musik und ihrer Geschichte auseinanderzusetzen, sondern uns auch zu fragen: Was bedeutet das, dass wir diese Musik in der heutigen Zeit repräsentieren? Wie ist sie denn heute noch relevant?

BR-KLASSIK: Was haben Sie für Antworten gefunden? Wie bringt man Musik, die 200 oder 300 Jahre alt ist Leuten heute nahe, sodass auch Sie das Gefühl haben, Sie sind authentisch?

Alice Sara Ott: Es ist ein Prozess, der bei mir tatsächlich lange gedauert hat. Manchmal wünsche ich mir, dass ich mich mit solchen Fragen vielleicht schon früher auseinandergesetzt hätte, auch schon in meiner Ausbildung. Und das hat in der Tat nicht stattgefunden. Aber es fängt allein schon damit an, dass man doch oft den Eindruck hat, dass die klassische Konzertszene sehr elitär ist. Dass es unausgesprochene Regeln und einen Dresscode gibt. Und all das macht es natürlich Menschen in meinem Alter schwerer, in diese Konzerte zu gehen, weil man das Gefühl hat, man gehört nicht dazu. Oder man wird angeschaut, weil man plötzlich enthusiastisch nach dem ersten Satz einer Symphonie oder einer Sonate klatscht. Und allein, dass ich angefangen habe, mich damit auseinander zu setzen, hat mich natürlich auch dazu gebracht, darüber nachzudenken: wie schaffe ich es, ein breiteres Publikum zu erreichen? An der Musik liegt es nicht. Klassische Musik ist zeitlos und kann dieselben Emotionen hervorrufen wie populäre Musik, Rockmusik oder Jazz. Aber man muss viel am Rahmen ändern.

Das soll ein Miteinander sein und nur so findet Musik in ihrer reinsten Form statt.
Alice Sara Ott

BR-KLASSIK: Klatschen Sie denn nach einem Sonatensatz?

Alice Sara Ott und Esa-Pekka Salonen mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks im Herkulessaal in München. | Bildquelle: Astrid Ackermann/Unitel Alice Sara Ott mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks | Bildquelle: Astrid Ackermann/Unitel Alice Sara Ott: Ja, das passiert schon (lacht). Wenn die Musik so emotional und so aufbrausend ist, dass man dann selber mitgerissen wird, passiert das schon, dass ich anfange zu klatschen. Es ist mir auch schon mal passiert, dass ich damals noch im Gasteig als einzige geklatscht habe. Dann kam plötzlich aus allen Ecken: "Psst!" Und das ist das, was ich so schade finde. Denn wenn wir uns vorstellen, dass jemand zum allerersten Mal in ein klassisches Konzert geht und dann so begeistert ist und klatscht, und dann wird diese Person von der ganzen Umgebung verurteilt dafür – dann wird sie sich nie wieder in ein Konzert trauen. Und ich denke, wenn wir Künstlerinnen und Künstler nicht wollen, dass zwischen dem ersten und dem zweiten Satz geklatscht wird, dann haben wir auch die Möglichkeit, das zu zeigen, ohne dass wir dem Publikum andeuten, ihr seid nicht gebildet. Ich habe das zum Beispiel einmal mit dem dritten Klavierkonzert von Beethoven erlebt. Da wollte ich den ersten Satz mit dem zweiten Satz verbinden. Und deswegen habe ich das Orchester und auch den Dirigenten damals gebeten, dass wir alle verharren in dem Moment, und das versteht das Publikum genauso. Und so kann man diese unglaubliche Spannung zwischen dem ersten und zweiten Satz auf eine natürliche Weise dem Publikum nahe bringen, ohne dass irgendjemand das Gefühl hat, er sei nicht intelligent genug, das zu verstehen.

Alice Sara Ott: "Echoes of Life"

Erfahren Sie hier mehr über Alice Sara Otts Album.

BR-KLASSIK: Ja, dieses Erzieherische. Auch so ein bisschen: Wir haben es gecheckt und du hast das nicht gecheckt.

Alice Sara Ott: Ich meine, die Musik ist wirklich der einzige Ort, an dem wir uns begegnen können. Egal, was für eine Religion, was für einen kulturellen Hintergrund man hat, welche politische Parteien man wählt. In dem Moment, wo wir uns in der Musik begegnen, spielt das keine Rolle. Sie ist etwas, was wir miteinander teilen können. Das soll ein Miteinander sein, und nur so findet Musik in ihrer reinsten Form statt. Und wenn man da versucht, auszugrenzen, dann ist das absolut etwas, was sich gegen die Musik bewegt.

Sendung: "Leporello" am 14. Februar ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

Kommentieren ist nicht mehr möglich.

Donnerstag, 16.Februar, 11:59 Uhr

Dr. Rüdiger Mayer, Untersiemau

Unausgesprochene Regeln für Konzertbesucher

Unausgesprochene Regeln und ein Dresscode sind für mich nicht elitär, sondern
ein Ausdruck von Respekt gegenüber dem Orchester.
In München und auch in Bamberg sind die Zuhörer ja noch einigermassen adrett
angezogen. Hier in Coburg komme ich mir manchmal schon deplaciert vor, wenn
ich ein Jackett und eine Krawatte trage.
Das gilt übrigens auch für manche Kommentatoren des BR!

    AV-Player