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Kritik - Opernpremiere Götterdämmerung in Leipzig

Am Samstag feierte Wagners "Götterdämmerung" an der Oper Leipzig Premiere. Nach vielen provokanten und experimentellen Produktionen setzt das Haus jetzt auf eine konventionelle Inszenierung - ohne jeden Gegenwartsbezug.

Bildquelle: © Tom Schulze

Kritik - Opernpremiere

"Götterdämmerung" an der Oper Leipzig

Wagnerfans können leidenschaftlich darüber streiten, wer die "Götterdämmerung" eigentlich überlebt. Kritiker interessieren sich dagegen mehr für die Frage, wer im großen Weltenbrand stirbt: Nur die germanischen Götter? Oder etwa der Kapitalismus, der Kommunismus, die bürgerliche Gesellschaft, die Umwelt, die Weltreligionen, die Utopien, die ganze Menschheit? Das hängt natürlich ganz von der jeweiligen Interpretation ab, vorausgesetzt, der Regisseur will überhaupt interpretieren, also Wagners "Ring" politisch deuten.

Regisseurin bleibt offen

An der Oper Leipzig verweigerte sich die vom Tanztheater und Ballett kommende Rosamund Gilmore dieser Herausforderung, und zwar mit bemerkenswerter Konsequenz. Wer oder was in der "Götterdämmerung" zu Ende geht, blieb bei ihr völlig offen. Sie bebilderte Wagner ausgesprochen konventionell, ohne jeden Gegenwartsbezug. Zehn Tänzer und einige Statisten illustrierten zeitweise das Geschehen, symbolisierten mal die Wogen des Rheins, mal die Raben von Göttervater Wotan und mal Grane, das wundersame Pferd von Brünnhilde.

Szene aus der Wagner-Oper "Götterdämmerung" an der Oper Leipzig (Premiere am 30. April 2016) | Bildquelle: Tom Schulze Siegfried (Thomas Mohr) & Brünnhilde (Christiane Libor) | Bildquelle: Tom Schulze Was für sich genommen durchaus poetisch wirkte, zog leider immer wieder die Aufmerksamkeit von den Sängern ab und machte das Bühnengeschehen dadurch hektisch, unkonzentriert, ja gelegentlich unfreiwillig komisch - etwa, als sich ein Statist ausgerechnet im Bühnenhintergrund umzog, während Brünnhilde ihren großen Schlussgesang anstimmte. Auch die Idee, den toten Helden Siegfried auf einem Hirsch-Kadaver von der Bühne zu ziehen, war eher bizarr als eindringlich. Nun ist die Oper Leipzig in den letzten Jahren vom betont politischen Regietheater arg durchgeschüttelt worden: Immer wieder wurde das Haus von ehrgeizigen Intendanten mit provokanten oder experimentellen Produktionen buchstäblich leer gespielt. Der jetzige Chef und Generalmusikdirektor, Ulf Schirmer, hat also die Aufgabe, die Leipziger wieder mit ihrem Opernhaus zu versöhnen, und das ist ihm auf beeindruckende Weise gelungen, auch mit diesem denkbar harmlosen, in jeder Hinsicht mehrheitsfähigen "Ring". Die bevorstehenden Gesamtzyklen sind ausverkauft, übrigens überwiegend durch Wagnerfans, die aus nah und fern anreisen. Viel Zustimmung und rhythmischen Beifall gab es im Publikum auch für die "Götterdämmerung". Nur wenige lautstarke Proteste richteten sich gegen die Regie.

Optisch biederer Ansatz

Szene aus der Wagner-Oper "Götterdämmerung" an der Oper Leipzig (Premiere am 30. April 2016) | Bildquelle: Tom Schulze Siegfried (Thomas Mohr) liegt auf einem Flügel - mit Brünnhilde (Christiane Libor) und Gutrune (Marika Schönberg) | Bildquelle: Tom Schulze Angesichts der zahlreichen politisch ambitionierten und oft verstörenden Wagner-"Ringe" in Deutschland, hat natürlich auch mal ein weniger zeitgemäßer, optisch biederer Ansatz seine Berechtigung. Es muss ja nicht immer zugehen wie in Bayreuth, wo Frank Castorfs "Ring"-Regie bei der Premiere für ein halbstündiges Schreiduell im Publikum sorgte. Bühnenbildner Carl Friedrich Oberle hatte für die Leipziger "Götterdämmerung" eine graue Säulenhalle gebaut, der Blick geht durch eine riesige Glasfassade auf den Rhein, der hier aussieht wie eine Meeresbucht. Wie sich herausstellt, hausen in den fünf Säulen die germanischen Hauptgötter, die aus irgendeinem Grund gern hilfesuchend nach oben starren. Ebenso unklar bleibt, warum Siegfried und Brünnhilde auf einem weißen Konzertflügel zu Tode kommen, der wie in der einstigen Las-Vegas-Show des Starpianisten Liberace am Ende rot umzüngelt wird, also wohl in Flammen aufgeht. Rosamund Gilmore nutzt den eigentlich variablen, vielfältigen Raum leider selten aus, die Sänger stehen überwiegend an der Rampe.

Das hing auch damit zusammen, dass Ulf Schirmer das Gewandhausorchester gern mit geballter Faust zu kraftvollen und somit lautstarken Einsätzen antrieb. Angestrebt war wohl durchgehend Hochspannung, es fehlte dem Klangbild jedoch an Ausgeglichenheit sowie an Poesie. Wagners raffinierte Melancholie wurde selten hör- und erfahrbar. Thomas Mohr als Siegfried überzeugte in jeder Hinsicht: Mit Kondition, Verständlichkeit und Maskulinität. Christiane Libor als Brünnhilde hatte ein großartiges Fundament in der Tiefe, was hochdramatischen Sopranen oft fehlt. Allerdings hätte sie aber noch etwas behutsamer mit ihrer Energie haushalten müssen. Kathrin Göring als Waltraute und Jürgen Linn als Alberich waren großartig. Der Bass Rúni Brattaberg, der von den Färöer-Inseln stammt, war der Rolle des Hagen stimmlich gewachsen, aber leider schauspielerisch arg unbeweglich. Insgesamt eine "Götterdämmerung", die nicht polarisiert und insofern eine Ausnahmeerscheinung.

Wagners "Götterdämmerung" an der Oper Leipzig

Inszenierung: Rosamund Gilmore
Musikalische Leitung: Ulf Schirmer
Bühne: Carl Friedrich Oberle

Mit Christiane Libor (Brünnhilde), Thomas Mohr (Siegfried), Jürgen Linn (Alberich), Marika Schönberg (Gutrune), Karin Lovelius (Waltraude) und weiteren

Premiere: 30. April 2016
Weitere Termine: 8. Mai und 3. Juli 2016, 26. März und 2. Juli 2017 (ohne Gewähr)

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