Bei einem Blick in den Konzertbetrieb wird schnell klar: People of Color sind in der Klassik wenig präsent – ob im Publikum, im Orchestergraben oder durch Kompositionen und Engagements im Spielplan. Welche Stellschrauben müssen angepasst werden, um das zu ändern?
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"Ich will eigentlich nur singen", sagt die Schwarze Sopranistin Julia Bullock. Ohne Agenda, ohne besonderes Augenmerk auf ihre Hautfarbe, ohne das Gefühl, nur deswegen engagiert worden zu sein. Natürlich kann sie von Erfahrungen erzählen. Sie reihen sich ein in die lange Liste an Diskriminierungen im Klassikbetrieb.
Ich will eigentlich nur singen.
Die Sopranistin Julia Bullock hat Erfahrungen mit Diskriminierung in der Klassikbranche. | Bildquelle: Allison-Michael-Orenstein Wenn Musikerinnen und Musikern aufgrund ihrer Hautfarbe bestimmte Rollen angeboten bekommen und andere wiederum nicht, dann ist das Rassismus. Davon zu berichten, scheint oft die unhinterfragte Aufgabe von Betroffenen zu sein. Auch, was sich daran ändern sollte, wird Julia Bullock oft gefragt. Rassismus ist aber immer mehr als nur eine persönliche Erfahrung. Dahinter stecken Strukturen, die tief in der Gesellschaft verankert sind. Wie soll es Gleichberechtigung geben, wenn diverse Stimmen nicht gehört werden und Geschichte immer nur aus einer Perspektive erzählt wird, die als das Allgemeingültige, das Normale gilt?
Die Schwarze Musikwissenschaftlerin Neneh Sowe hat sich auf die Suche begeben: nach Schwarzen Stimmen in der Klassischen Musik. Und ist zu einem ernüchternden Ergebnis gekommen. In einer Allgemeinen Enzyklopädie der Musik hat Sowe keine einzige Schwarze Komponistin der Klassischen Musik gefunden. Die gibt es natürlich: Nora Holt zum Beispiel oder Margaret Bonds. Aber im Klassikbetrieb werden sie bisher nicht erwähnt. Auch aufgeführt werden sie bisher kaum: Erst dieses Jahr hat die Metropolitan Opera mit "Fire Shut Up in My Bones" von Terence Blanchard zum ersten Mal überhaupt die Oper eines Schwarzen Komponisten aufgeführt
Neneh Sowe hat sich auf die Suche nach Schwarzen Stimmen in der klassischen Musik gemacht – mit einem ernüchternden Ergebnis. | Bildquelle: privat Der Ruf nach Diversität in der Klassik wird lauter, die Sensibilität dafür wird größer – das Ziel: Alle Stimmen sollen gehört, gesehen und gespielt werden. Diversität, das ist Gleichberechtigung unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Religion sozialem Status, oder sexueller Orientierung. Und so gut sich das auch anhört – Neneh Sowe kann mit diesem Begriff wenig anfangen. Zu oft sei er für Marketing-Zwecke missbraucht worden, so ihre Meinung. Das eigentliche Problem werde mit plakativen Überschriften nicht behoben.
Für die Schwarze Komponistin Eleanor Alberga liegt ein Weg, den systematischen Rassismus zu überwinden, in Geschichten: In ihrer dreiteiligen Radioreihe “A History of Black Classical Music” berichtet sie unter anderem von einem Schwarzen Musiker im frühen 16. Jahrhundert: John Blanke, ein gefeierter Hoftrompeter von Heinrich VII. Heute ist Blanke den meisten kein Begriff. Das zeigt: Die Schwarze Perspektive der Geschichtsschreibung schlummert in den Archiven. Sie dort hervor zu holen und für alle sichtbar zu machen, ist ein Weg, auch Schwarze Stimmen stärker sichtbar zu machen.
Ihr ganz persönliches Interesse an diesen Biografien hat Eleanor Alberga auch wegen ihrer eigenen Diskriminierungserfahrungen entwickelt. Britische Auftraggeber wünschten sich von ihr Kompositionen über Sklaverei und Jazz. Dabei hat Alberga noch nie Jazz komponiert. Als müsse sie als Schwarze Komponistin Musik schaffen, die weiße Auftraggeber mit Schwarzer Musik verknüpfen. Statt als Auftraggeber reflektiert das Thema Gleichberechtigung im Blick zu haben, geben sie damit die Verantwortung für das Thema einfach weiter: Eigentlich will Eleanor Alberga einfach nur komponieren – so wie Sopranistin Julia Bullock einfach nur singen will. Immer wieder aber werden die beiden Künstlerinnen als Repräsentantinnen ihrer Hautfarbe angesprochen – ihnen wird damit die Verantwortung für ein Thema übergestülpt, das eigentlich die gesamte Gesellschaft betrifft.
Eleanor Alberga will deshalb eine Musikgeschichte abbilden und mit dem Publikum teilen, die multiperspektivisch ist. Deswegen sucht sie nach Schwarzen Komponistinnen, deswegen erzählt sie von ihnen. So sollen sie ihren Weg in den Kanon finden. Und zukünftig ganz selbstverständlich in unseren Spielplänen erscheinen.
Wie aber lassen sich Strukturen ändern? Ein Lösungsansatz ist zum Beispiel die Anti-Rassismus-Klausel, die von der Regisseurin Julia Wissert und der Rechtsanwältin und Dramaturgin Sonja Laaser entworfen wurde. Diese kann in Arbeitsverträge aufgenommen werden und soll Mitarbeitende an Theatern vor rassistischen Äußerungen und Übergriffen schützen. Die Institutionen entscheiden in der Klausel selbst, mit welchen Maßnahmen sie rassistische Handlungen einschränken oder bestrafen. Die Klausel gibt den Betroffenen Transparenz im Umgang mit Diskriminierung.
Einen anderen Weg sucht die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz. Sie hat mit André Uelner einen sogenannten Agenten für Diversitätsentwicklung eingestellt. Uelner setzt dabei auf Zahlen: Er hat unter 129 Berufsorchestern in öffentlicher Förderung mit 9.766 Planstellen in Deutschland nur 62 Musikerinnen und Musiker gefunden, die aus einem Land des Nahen oder Mittleren Ostens kommen und eine Festanstellung haben. Es gibt also Ideen, wie Strukturen aufgebrochen werden können, um es künftig allen Künstlerinnen und Künstlern zu ermöglichen, sich ganz ihrer Kunst zu widmen – ohne gegen Rassismen ankämpfen zu müssen. Klar ist aber auch: Das kann nur ein Anfang sein.
Kommentare (1)
Freitag, 19.November, 21:34 Uhr
Wilfried Schneider
RASSISMUS IN DER KLASSISCHEN MUSIK
Mit dem Begriff "RASSISMUS IN DER KLASSISCHEN MUSIK" sollte man vorsichtig sein! Es gab Herrschaften, die eine Quote in den Orchestern fordern, jetzt kommt die Rassismuskeule, aber jeder, der weiß, wie zum Beispiel die Auswahl der Musiker für ein Orchester erfolgt, wird auf dieser Schiene nicht weiterfahren: kein Mensch des Orchesters kennt beim Vorspiel Haut-, Haar-,Geschlecht- oder politisch- spezifische Eigenschaften des oder (weil es denn sein muss) der Vorspielenden Person hinter dem Vorhang. Hier zählt nur die Qualität, und das hat mit "Rassismus" mit Sicherheit nichts zu tun. Wer Frauen-Quoten oder ähnliches fordert, gefährdet die Qualität eines Orchesters und weiß in der Regel offensichtlich nicht, wovon er (oder sie) redet. Aber ich fürchte, dass auch diese meine unwesentliche Meinung wieder der inzwischen üblichen Zensur des BR zum Opfer fällt.
Antwort der Redaktion: Vorspiele hinter einem Vorhang sind keineswegs überall Standard. Und wenn, dann gibt es den Vorhang meist nur in bestimmten Runden, nicht in allen. Und: In den Kommentarspalten des BR gibt es keine „Zensur“ – wir achten aber auf die Einhaltung der Netiquette. Unsere Kommetarregeln finden Sie hier: https://www.br-klassik.de/kommentare-netiquette-richtlinien-108.html