Alljährlich am 21. März wird der Internationale Tag gegen Rassismus begangen. Wir nehmen den Tag zum Anlass für einen kritischen Blick auf die Klassikszene: Wo gibt es hier rassistische Praktiken und Strukturen?
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Zählen wir sie doch mal auf, die großen Meister der klassischen Musik, die wir so oft in Konzertprogrammen antreffen: Bach, Beethoven, Brahms, Bruckner, Berlioz, Bizet. Ihre Werke gelten gemeinhin als Maßstab der klassischen Musik.
Das ist eine Perspektive, die man auf solche Werke einnehmen kann. Und das natürlich völlig zurecht. Sie gehören aus guten Gründen zum klassischen Kanon. Aber auch aus weniger guten Gründen. Bach und Beethoven haben sich eben auch deshalb durchgesetzt, weil sie weiß und weil sie Männer waren. Mit Musik hat das erstmal gar nichts zu tun. Sondern mit der Frage, wer überhaupt gesehen wird – eine Frage des gesellschaftlichen Kapitals. Der Musikwissenschaftler George E. Lewis versucht die Szene seit Jahren dafür zu sensibilisieren.
Musikwissenschaftlerin Natasha Loges | Bildquelle: Hochschule für Musik Freiburg
Lewis ermutigt klassische Institutionen und Kuratorinnen dazu, mehr Vielfalt in ihren Programmen zuzulassen, nicht das Immergleiche zu reproduzieren, sondern auch Künstlerinnen und Künstler zu fördern, die es wegen ihrer Herkunft oder ihres gesellschaftlichen Status nicht in den klassischen Kanon geschafft haben. Komponisten wie Joseph Bologne etwa, eine Ausnahmeerscheinung der französischen Klassik, oder Florence Price, deren Symphonien sich unlängst Yannick Nézet-Séguin vorgeknöpft hat. Das Beispiel zeigt: Es gibt Bewegung in der Szene.
Für Natasha Loges jedoch nicht genug. Die Freiburger Musikwissenschaftlerin denkt seit Jahren über postkoloniale Strukturen in der Klassik nach. Ihr zufolge herrscht hier immer noch eine "Angst vor dem Unbekannten". Klassische Musik werde "wie eine Religion" behandelt, sagt sie. Loges geht dabei sogar noch weiter als Lewis. Ihr geht es nicht nur um eine Erweiterung des klassischen Kanons. Sie interessiert sich auch für das Verhältnis der Klassik zu anderen Musiksprachen. "Wenn ich etwas höre, ist es mir inzwischen völlig egal, ob Beethoven oder iranische Volksmusik", sagt Loges. Diese Offenheit wünscht sie sich auch für den Klassikbetrieb.
Besser zuhören – das ist das Stichwort. Auch bei der Debatte über sogenanntes Blackfacing an Opernhäusern. Obwohl es sich dabei um eine rassistische Praxis handelt, wird sie immer noch hier und da in Inszenierungen angewandt. Ursprünglich wurde Blackfacing in sogenannten "Minstrel Shows" betrieben. Vor allem im Amerika des 19. Jahrhunderts stellten sich schwarz angemalte, weiße Männer auf die Bühne und karikierten Schwarze Sklaven. Schon klar – die Oper ist ein ganz anderer Kontext. Das Spiel mit Identitäten gehört schließlich zu ihrem Wesen. Aber reicht das? Anderer Kontext, andere Bedeutung – ist es so einfach?
Der Countertenor Keymon Murrah sieht das nicht so. In dieser Spielzeit ist er unter anderem an der Bayerischen Staatsoper engagiert. Er liebt die Bühne als Ort der Überraschung und des Spiels. Blackfacing geht für ihn trotzdem nicht. "Weil mit Blackfacing ein schlimmer, ein absolut diskriminierender Teil unserer Geschichte verbunden ist, sollte es einfach nicht gemacht werden", meint er. "Aber ich finde deshalb nicht, dass Otello nur von einer schwarzen Person gesungen werden soll. Ich denke ja auch nicht, dass Prinzessin Turandot nur mit einer Asiatin besetzt werden darf. Ich denke, jeder darf jede Rolle singen."
Das ist die Idealvorstellung: Jeder darf alles singen, jede Musik spielen. Doch von diesem Ideal sind wir anscheinend noch gutes Stück entfernt. Das berühmte Chineke! Orchestra wurde auch deshalb gegründet, weil sich Schwarze Musikerinnen und Musiker zum Teil in bestehenden Orchestern diskriminiert fühlten. Gleichzeitig wird die Gründung solcher Ensembles in der Schwarzen Community kontrovers diskutiert: Wird den Musikerinnen und Musikern dadurch nicht wieder die Sonderstellung zuteil, die sie eigentlich loswerden wollten? Fest steht, die Perspektiven sind so verschieden wie wir Menschen sind. Und nur wenn wir uns austauschen, Probleme benennen und sie gemeinsam lösen, rücken wir unserer Idealvorstellung eines wirklich gemeinsamen Musikmachens ein Stückchen näher.
Sendung: "Allegro" am 21. März ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (8)
Dienstag, 21.März, 15:26 Uhr
Stichwort: Blackfacing
Der Vergleich zu den "Minstrel Shows" erschließt sich mir nicht ganz. Ich möchte zwei klassische Beispiele anführen, wo eine dunkelhäutige Figur keineswegs rassistisch, sondern ganz im Gegenteil rassismuskritisch angelegt ist und somit das Blackfacing seine Berechtigung hat.
1. Der Monostatos in Mozarts Zauberflöte. Man lese sich nur einmal den Text seiner Arie und seinen Monolog davor im Originaltext durch. Die ganze Szene ist eine deutliche Kritik an den Vorurteilen gegenüber Dunkelhäutigen. Die Rolle wird nur leider meistens durch eine rigorose Kürzung des Monologs ins Gegenteil verzerrt.
2. Der Othello. Durch Intrigen eines Weißen wird er zu Fall gebracht und zum Bösewicht gestempelt. Auch das: eine klare Absage an Rassismus. Diese Kritik wird extrem abgeschwächt, wenn man auf Blackfacing "verzichtet".
Ansonsten muss man diese Rassismuskritik anderweitig in der Inszenierung unterbringen. Ein überzeugendes Konzept ist mir in dieser Hinsicht aber bis jetzt nicht begegnet.
Dienstag, 21.März, 12:44 Uhr
Ragnar Danneskjoeld
Ach, Herr Strobel...
...die Franzosen haben das schon vor fünf Jahren getan. Rassismus gibt es dort aber weiterhin, machen Sie sich keine Sorge.
Dienstag, 21.März, 12:01 Uhr
Konrad
Bach & Beethoven
"Bach und Beethoven haben sich eben auch deshalb durchgesetzt, weil sie weiß und weil sie Männer waren. Mit Musik hat das erstmal gar nichts zu tun."
Niemand redet mehr über Hautfarben als vorgeblich Antirassisten. Ein Schelm, wer arges dabei denkt.
Dienstag, 21.März, 10:28 Uhr
Dr. Michael Strobel
Geht's noch?
Die Grünen wollten den Begriff Rasse aus der Verfassung streichen lassen. Gibt es keine Rassen, kann es auch keinen Rassismus geben. Dann ist der Artikel so überflüssig, wie er ist.
Montag, 20.März, 19:27 Uhr
Hannes S.
Sehr viel Luft nach oben
Viel Luft nach oben ist bei der Qualität dieses Artikels ... Frau Wieser scheint sich in der aktuellen Orchester-, Musiker- und Komponistenszene nicht wirklich auszukennen, bzw. sich informiert zu haben. Orchester sind Vorreiter in Sachen Diversität! Und die Musikgeschichte verzerrt sie in dem Artikel auch.
Die Komponisten, die noch heute gehört werden waren unglaubliche Meister ihres Fach, die Komponisten Diletantinnen (darum werden sie auch nicht mehr aufgehört). Die Zeiten und die Gesellschaft waren eine andere und hat sich verändert - und das ist auch gut so!
Montag, 20.März, 18:38 Uhr
Andrea Fischer
So ein Nonsense!
Bach und Beethoven haben sich nicht durchgestzt, weil sie weiße Männer waren, sondern weil sie ganz besonders begnadet waren!
Und was Frau Wieser vergißt, daß sich die gesellschaftlliche Konstellation erheblich verändert hat: heute dürfen z.B. Frauen auch große Orchester dirigieren - nur weil sie Frauen sind und nicht wirklich die Besten.
Der Artikel ist wirklich sehr eindimensional!
Liebe Andrea Fischer,
hm, ich kann Ihnen da nicht folgen. Die Autorin argumentiert doch eigentlich ziemlich differenziert: Natürlich ist die künstlerische Leistung von Bach und Beethoven ein Grund dafür, dass sie sich etabliert haben. Aber Geschlecht und Hautfarbe spielen eben auch eine Rolle. Ein weißer Mann zu sein war lange Zeit eine Voraussetzung, um sich in europäischen Gesellschaften Gehör zu verschaffen. Ich glaube sogar, das müsste Ihnen einleuchten, Sie argumentieren im zweiten Teil ihres Kommentars ja nach demselben Schema – nur vielleicht etwas eindimensionaler, denn Sie sind ja der Meinung, dass heute Frauen "nur" weil sie Frauen sind am Pult stehen.
Herzlich
Tobias Stosiek (BR-KLASSIK)
Montag, 20.März, 18:11 Uhr
Hans Schwengler
Frau Wieser scheint nicht wirklich Ahnung von der Szene zu haben - es gibt kaum eine Gruppierung in der Gesellschaft, wo Integration aller so gut gelingt wie im Orchester. Schauen Sie doch nur einmal in das Staatsorchester: dort spielen Homosexuelle, transsexuelle, Behinderte, Menschen aus allen Herren Ländern zusammen und sind wie eine Familie.
Manchmal frage ich mich schon, wie so man nicht besser recherchiert ...
Montag, 20.März, 17:30 Uhr
Aldo Graziani
Luft nach oben
Wenn die Autorin der Ansicht ist, die Klassik hinke in ihrem Verständnis hinterher,
muss das gleich mit 'Postkolonialismus' und 'Rassismus' begründet werden? Ein fragwürdiger Gebrauch heute allzu gängiger Schlagwörter