Im Musiktheater sind die Genderidentitäten fließend – und das seit der ersten Stunde. Die Oper liebt das Spiel mit den Geschlechterrollen. Doch ist die Opernwelt wirklich so offen, wie die traditionelle Opernliteratur es vermuten lässt? Wie finden Menschen hier ihren Platz, die sich mit ihrem biologischen Geschlecht nicht identifizieren können? Drei unterschiedliche Geschichten von Transgender-Sängern und -Sängerinnen auf der Opernbühne.
Bildquelle: Josh New
Zum Diversity-Day
Transgender auf der Opernbühne
Lange lockige Haare, roter Lippenstift. Unter dem dunklen Outfit zeichnet sich ein kurviger Frauenkörper ab. So zeigt sich Lucia Lucas gerne auf der Bühne. Lucia ist als biologischer Mann geboren. Geoutet hat sich Lucia vor sieben Jahren, als ihre Gesangskarriere im Baritonfach längst lief. Eigentlich wäre sie lieber Sopranistin geworden, doch sie hat den Stimmbruch als Teil ihres Lebens akzeptiert und spricht von ihrer "Heldenbaritonistinnenstimme", in der sich ihre ganz persönliche Geschichte widerspiegelt. "All das ist in meinem Leben passiert. Und für mich ist es besser, als Baritonistin auf der Bühne zu singen, als ein anderes Leben zu führen."
Als Heldenbaritonistin ist Lucia Lucas auf Rollen festgelegt, die mitunter toxische, übergriffige Konzepte von Männlichkeit verkörpern, wie zum Beispiel Falstaff oder Don Giovanni. Es mag zunächst etwas paradox klingen, aber Lucia Lucas meint, dass es einer Frau leichter fallen würde, solche Charaktere zu verkörpern, als einem männlichen Sänger. Vor allem, was die Zusammenarbeit mit den anderen Darstellerinnen angeht. "Wenn ich diese Typen spiele, dann bin ich ganz klar nicht auf der Seite von diesem Mann. Und meine Kolleginnen können mir besser vertrauen, weil sie weniger Angst vor mir haben."
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Lucia Lucas falstaff
Auf ihr Coming Out reagierten die Kolleginnen und Kollegen an der Oper sehr positiv, und das Opern-Publikum hätte die Masken sowieso nie hinterfragt, sagt Lucia Lucas. Für die Opernwelt wünscht sich die Baritonistin, dass sich hier alle möglichen Identitäten repräsentiert sehen – gerade wegen der langen Tradition mit dem Spiel der Geschlechterrollen. "Aber am Ende geht es doch um gute Stimmen – das ist das Wichtigste."
Holden Madagame | Bildquelle: Jeremy Amar
Nach seinem Coming Out als Mann stellte sich für den indigen-amerikanischen Sänger Holden Madagame nach Jahren des Gesangsstudiums als Mezzosopran vor allem die Frage, was mit seiner Stimme durch die Testosterontherapie passieren würde. Vorbilder gab es keine, auch keine Studien, die er hätte zu Rate ziehen können. Holden wagte trotzdem den Schritt einer Therapie. "Nach vier Monaten unter Medikation gab es eine deutliche Veränderung in meiner Stimme", erzählt der Tenor. "Die Qualität der Stimme wurde schlechter, die Stütze, Bruststimme und Kopfstimme wurden schwächer." Nach acht Monaten Behandlung verschlechterte sich Holdens Stimme so sehr, dass er fast aufgehört hat zu singen. "Ich musste viel Geduld haben – und dann ging es doch wieder aufwärts."
Der Stimmwandel unter Testosteron-Medikation ist vergleichbar mit dem natürlichen Stimmbruch, aber schneller und heftiger. Und er brachte für Holden Madagame noch weitere Probleme mit sich: "Ich war sehr traurig darüber, mein altes Repertoire aufzugeben, denn ich liebe das Mezzosopran-Repertoire. Ich wollte schon immer den Rosenkavalier singen, aber das konnte ich nicht mehr." Erst langsam machte sich Holden Madagame mit den Tenor-Rollen vertraut. Heute hat er sich als Spieltenor neu erfunden und arbeitet gerade an der Partie des Mime aus Wagners "Ring des Nibelungen". Außerdem steht er anderen Transgender-Personen, vor allem jenen die singen, mit Rat und Tat zur Seite. Dem Tenor ist es wichtig, dass gerade in der Opernwelt alte Stereotype kritisch hinterfragt werden. Denn sonst würden die Queer- und Transmenschen weiterhin nur als Clowns oder Hexen besetzt werden, sagt er. "Ich liebe Hexenrollen, aber es ist auch gefährlich, wenn der Horror ist, dass ein Mann die Hexe ist, der 'Genderhorror' sozusagen. Genau an diesen Punkten können wir die Oper weiterentwickeln."
Prinz Orlofsky aus der Fledermaus ist eine der berühmtesten Hosenrollen der Operngechichte. Für den norwegisch-samischen Mezzosopranisten Adrian Angelico hat diese Rolle eine besonders große Bedeutung: "Als ich meine ersten Hosenrollen gesungen habe, habe ich gespürt: Das ist mein wahres Ich." Denn auf der Bühne, als Frau einen Mann singend, fühlte sich Adrian zum ersten Mal richtig angesprochen als "Er".
Adrian Angelico wurde als biologisches Mädchen geboren, machte bereits in jungen Jahren Karriere, gewann Wettbewerbe und studierte an international renommierten Musikinstituten. Vor vier Jahren passte Adrian Angelico seine Identität offiziell an. Er ließ sich die Brüste abnehmen, verzichtete aber auf Hormone. Denn seine hohe Stimme möchte er nicht verändern. "Ich empfinde meine Stimme als die eines sehr femininen Mannes, und sie ist Teil meiner Identität", sagt Adrian Angelico.
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Die Fledermaus - Adrian Angelico
Im August dieses Jahres wird Adrian Angelico zum ersten Mal einen Transgender-Mann auf der Opernbühne verkörpern: Im Opernpasticcio "Begaerets mysterier – begehrte Geheimnisse", das am Königlichen Dänischen Theater zum Anlass der Pride Week aufgeführt wird. Zu sehen gibt es dann einen vielfältigen Opernabend mit Musik aus "Rigoletto", der "Zauberflöte" und auch Songs von Queen oder Conchita Wurst.
Sendung: "Allegro" am 18. Mai 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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